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Sexualerziehung in der deutschen Schule

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Eine Meldung aus einem Bonner Ministerium — daraus läßt sich eine Schlagzeile machen, wie sie sich nicht jeden Tag bietet. Di£ deutsche Boulevardpresse ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen. Dem Gesundheitsminister, Frau Käte Strohe!, wurden ein paar passende Worte in den Mund gelegt, die sie an anderer Stelle einmal gesagt hat: Es geht um den Sexualunterricht in den Schulen, aus dem flugs ein neues Fach, nämlich Sexualkunde, gemacht wurde. Aber ein solches Fach gibt es nicht und wird es auch nicht geben; es gibt noch nicht einmal „den“ Sexualunterricht in Biologie oder einem anderen geeigneten Lehrfach, und Gesundheitsminister Strobel hat sich auch nicht in Dinge eingemischt, die Sache der Kultusminister der deutschen Länder sind, in deren Kompetenz die Kultur und damit der Schulunterricht fällt. Informiert man sich genauer über den „Sexatlas“ -— allein für dieses Wort opferte eine Massenzeitung so viel Platz, wie die größten Typen ihrer Setzerei eben brauchten —, so ergibt sich das folgende Bild:

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Eine Meldung aus einem Bonner Ministerium — daraus läßt sich eine Schlagzeile machen, wie sie sich nicht jeden Tag bietet. Di£ deutsche Boulevardpresse ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen. Dem Gesundheitsminister, Frau Käte Strohe!, wurden ein paar passende Worte in den Mund gelegt, die sie an anderer Stelle einmal gesagt hat: Es geht um den Sexualunterricht in den Schulen, aus dem flugs ein neues Fach, nämlich Sexualkunde, gemacht wurde. Aber ein solches Fach gibt es nicht und wird es auch nicht geben; es gibt noch nicht einmal „den“ Sexualunterricht in Biologie oder einem anderen geeigneten Lehrfach, und Gesundheitsminister Strobel hat sich auch nicht in Dinge eingemischt, die Sache der Kultusminister der deutschen Länder sind, in deren Kompetenz die Kultur und damit der Schulunterricht fällt. Informiert man sich genauer über den „Sexatlas“ -— allein für dieses Wort opferte eine Massenzeitung so viel Platz, wie die größten Typen ihrer Setzerei eben brauchten —, so ergibt sich das folgende Bild:

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Anfang Oktober 1968 gab die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder, die in Bonn ein Büro unterhält, Empfehlungen zur Sexualerziehung in den Schulen heraus. Darin heißt es einleitend: „Sexualerziehung als Erziehung zu verantwortlichem geschlechtlichem Verhalten ist Teil der Gesamterziehung. Sie ist notwendig, um die individual- und sozialethischen Aufgaben der Erziehung zu erfüllen. Sie ist in erster Linie Aufgabe der Eltern. Die Schule ist auf Grund ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags verpflichtet, bei dieser Aufgabe mitzuwirken.“ Der zweite Teil dieser Empfehlungen befaßt sich mit Vorschlägen zur praktischen Durchführung. Sexualerziehung — „wissenschaftlich fundiert und methodisch durchdacht“ — kann darnach in die Unterrichtsfächer Biologie, Sozial-und Gemeinschaftskunde oder, je nach Schulform, im Rahmen von Gesundheitslehre oder Säuglingspflege einbezogen werden. In den geisteswissenschaftlichen und künstlerischen Fächern kann über Sexualität im Zusammenhang mit Literatur und Kunst gesprochen werden, im Religionsunterricht über das theologische Verständnis der Geschlechtlichkeit. Für die Lehrer werden geeignete Lehrgänge angeregt, auch sollen sie innerhalb des Kollegiums ihre Arbeit über das Thema koordinieren. Die „Empfehlungen“ schließen mit einem Hinweis, daß zur Sexualerziehung die einschlägige Literatur und sonstiges Unterrichtsmaterial herangezogen werden müsse.

Die Empfehlungen der Kultusminister waren natürlich, bevor sie endgültig formuliert wurden, schon lange beraten worden. Gleichzeitig hatte die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Köln, die dem Bundesgesundheitsministerium untersteht, in enger Zusammenarbeit mit den Kultusministern Vorbereitungen getroffen, damit das nötige Material am „Tag X“ vorhanden ist. Mitte Oktober, also nachdem die Kultusminister sich geäußert hatten, berichtete die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in ihrem Pressedienst über „Schwerpunktaktion 1968/69: Sexualerziehung“. Fünf Punkte werden aufgezählt: die Herausgabe einer Broschüre „Psychosexuelle Grundlagen der Entwicklung“, die für Lehrer gedacht ist; eine Diareihe von 25 Bildern zum Thema Geschlechtererziehung; eine Neuauflage der erstmals 1966 erschienenen Broschüre „Schriften und Lehrmittel zur Geschilechtserziehung“; eventuell auch fünf große, wandkartenartige Schaubilder; und schließlich ein „Sexualkundeatlas“, an dem eine Ärztin und Sexualpädagogin bei der Bundeszentrale, Frau Dr. Topfmeier, zur Zeit mit einem Team weiterer Wissenschaftler noch arbeitet.Von diesen fünf Vorschlägen hat ausgerechnet der -„Sexatlas“, der noch gar nicht fertig ist, Schlagzeilen gemacht. Er wird aus einem Bild- und einem Textteil bestehen. Auf etwa zwölf Tafeln sollen Anatomie, Befruchtung, Schwangerschaft und Verlauf einer Geburt „ohne Feigenblatt“ dargestellt werden, ferner Vorgänge der Genetik, der Empfängnisverhütung sowie mögliche Komplikationen (zum Beispiel der „Rhesusfaktor“) und die Symptome von Geschlechtskrankheiten. Diesem Bildmaterial wird ein Text folgen, der teilweise die Tafeln erläutert, teilweise aber auch darüber hinausgehende Informationen liefern wird. Dazu gehören Vorgänge der geschlechtlichen Entwicklung in physischer und psychischer Sicht. Ob das Thema auch von einem Soziologen bethandelt werden soll, ist noch nicht entschieden.

In welcher Form und auf welcher Altersstufe in den Schulen diese Informationen vermittel werden, kann und will weder das Bundesgesundheitsministerium noch die Bundes-zentrale für gesundheitliche Aufklärung vorschreiben. Der sexual-kundliche „Atlas“ kann auch keineswegs kostenlos geliefert werden, da er ziemlich teuer wird. Schon deshalb wird man nicht überall damit arbeiten.

Auch über die anderen Lehrmittel und Vorschläge aus Köln und Bonn besteht in neun von zehn Bundesländern, wie bereits erwähnt, noch keine Einigkeit. Es war auch gar nicht zu erwarten, daß sich die Experten schon auf ihrer ersten Sitzung alle einigen würden. Sie haben sich mit Einwendungen auseinanderzusetzen, die aus der Bevölkerung, der Lehrerschaft oder der Kirche kommen können; auch Mediziner, Psychologen und Soziologen dürften verschiedene Meinungen zu Gehör bringen. Die Bürokratie arbeitet in der Bundesrepublik gerade auf dem Gebiet der Kultur von Land zu Land verschieden, und über die Bemühungen, dennoch ein halbwegs einheitliches Konzept zu finden, geht viel Zeit verloren. Immerhin hofft man, im Herbst dieses Jahres mit dem Unterricht beginnen zu können.

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