Schuluniform - © Foto: imago/Design Pics

Bauchfrei-Debatte: Kleidung ist Teil von Körpersprache

19451960198020002020

Die Debatte darüber, wie viel Haut bei Jugendlichen (in einem formellen Kontext) zu sehen sein darf, erhitzt die Gemüter. Unser Gastautor findet: Man darf auch als Mann sagen dürfen, dass man sich sexuell belästigt fühlt. Eine argumentative Herausforderung.

19451960198020002020

Die Debatte darüber, wie viel Haut bei Jugendlichen (in einem formellen Kontext) zu sehen sein darf, erhitzt die Gemüter. Unser Gastautor findet: Man darf auch als Mann sagen dürfen, dass man sich sexuell belästigt fühlt. Eine argumentative Herausforderung.

Werbung
Werbung
Werbung

„Bauchfrei in die Schule gehen? Wenn du dagegen bist, denkst du patriarchal“ – so erscheint mir der Tenor zur Debatte rund um den verunglückten Versuch einer Salzburger Schuldirektorin, Bekleidungsvorschriften zu erlassen. Mir stellt sich hier die Frage: Verlernen wir als Gesellschaft zunehmend, Themen des Zusammenlebens in ihrer Komplexität wahrzunehmen und zu diskutieren? Zwei große Bereiche könnten wir anlässlich dieser Causa diskutieren: das Zusammenleben der Geschlechter einerseits und den vielfältigen, doch selten genauer definierten Auftrag von Schule in der heutigen Zeit andererseits. Stattdessen aber gleitet das Thema in eine Banalisierung ab: Mädchen sind zu schützen, egal wie sie sich kleiden, und Burschen sind keinesfalls hormongesteuerte Opfer derselben (beides ist unbestritten).

Ich hatte versucht, in einem Facebook-Posting zu differenzieren, die Vielschichtigkeit aufzuzeigen. Die Folge: Ich wurde mitunter von Usern abgemahnt, der Täter-Opfer-Umkehr bezichtigt, mit Mullah-Vergleichen bedacht.

Frauen spielen offensiv mit Optik

Ich wünsche mir aber kein Schwarz-Weiß-Denken, sondern eine sachliche Auseinandersetzung. Reicht es für die Emanzipierung einer Gesellschaft, wenn Mädchen und Frauen zum Einfordern und Leben ihrer Rechte ermutigt und der männlichen Seite Pflichten und Verantwortung zugeschoben werden? Gilt es nicht vielmehr, Rechte in den Kontext von Pflichten und Verantwortung zu setzen? So hat ein 16-Jähriger das Recht, Alkohol in der Öffentlichkeit zu trinken. Aber damit hat er auch die Pflicht, sich zu überlegen, in welchem Ausmaß er das praktiziert, und die Verantwortung, was er unter diesem Alkoholeinfluss macht. Beim Bekleidungsthema wünsche ich mir einen vergleichbaren Zugang: Ja, du kannst tragen, was du möchtest – aber damit geht die Pflicht einher, ein Gespür zu entwickeln, wo welches Outfit angemessen ist. Auch sehe ich den Träger, die Trägerin in der Verantwortung, mitzubedenken, was die jeweilige Kleidung bei anderen auslösen könnte. Der Auftrag von Schule: Jugendliche dafür zu sensibilisieren, dass auch Kleidung ein Teil der Körpersprache ist. Jeder Mensch muss dabei lernen, dass durch Kleidung gesendete Signale von der Empfängerin und vom Empfänger durchaus anders erfahren werden, als sie von der oder dem Sendenden gedacht sind. Das müssen speziell Burschen lernen, aber nicht, weil sie blöder oder hormongesteuerter sind, sondern weil sich eines bei aller Weiterentwicklung unserer Gesellschaft nicht wesentlich geändert hat: Frauen spielen viel öfter gezielt und offensiv mit Optik und Zurschaustellung. Viel Dekolleté, Bauch und Beine zeigen und gleichzeitig verlangen, dass dort niemand hinschaut? Selbst Lehrerinnen und Trainerinnen – hetero – bestätigen mir, dass das nicht funktionieren kann: „Manche der Mädchen hatten einen so tiefen Ausschnitt, dass ich selbst Mühe hatte, die Blicke abzuwenden. Wie willst du einen so starken erotischen und visuellen Reiz ignorieren? Dabei war ich als Frau eh nicht einmal das Ziel, sondern die männlichen Trainer.“ Ich halte es für höchst wichtig, mit den Burschen zu arbeiten. Sie müssen lernen, dass ein Minirock oder ein bauchfreies Oberteil keine Einladung sind, hinzufassen. Sie sollen aber auch lernen, ihre Gefühle in passende Worte zu fassen. Statt übergriffig „Geiler Ausschnitt!“ zu rufen, dürfen sie durchaus sagen, dass sie die Kleidung ihres Gegenübers irritiert oder ablenkt. Oder auch dass sie sich davon sexuell belästigt fühlen, so wie ich das auf Facebook geschrieben habe. Diesbezüglich musste ich erfahren, dass eine solche Empfindung offenbar nur Frauen vorbehalten ist. Ist das aufgeklärt und emanzipiert? Als Auftrag unserer Gesellschaft sehe ich neben der Arbeit mit Burschen daher auch, junge Frauen zur Reflexion anzuleiten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung