Entpolitisierung des Kopftuchs

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Für die einen ist es eine Provokation, für die anderen Ausdruck von Religionsfreiheit. Kein Stück Stoff hat in den letzten Jahren für mehr Diskussionen und Polarisierung gesorgt als das Kopftuch. Warum eigentlich? So genau weiß das niemand. Denn weder ist jede Kopftuchträgerin eine unterdrückte Frau, noch hat jede Kopftuchträgerin ein Problem mit demokratischen Grundwerten. Das Bild von kopftuchtragenden muslimischen Akademikerinnen irritiert sogar manche, weil es nicht in das stereotypische Schema passt, das Kopftuch stehe im Gegensatz zur Moderne, zur Bildung, zum starken Selbstbewusstsein usw.

Wir sagen den jungen Mädchen: "Integriert euch und identifiziert euch mit unserer Gesellschaft!", vermitteln ihnen aber im gleichen Atemzug: "Was euch wichtig ist, das verbieten wir euch!".

Die nun beschlossene Aufhebung eines pauschalen Kopftuchverbots für muslimische Lehrerinnen an öffentlichen Schulen durch das deutsche Bundesverfassungsgericht hat diese Diskussion neu entfacht. Das Urteil sorgt aber auf jeden Fall für Normalität. Dadurch soll sich die Debatte entspannen und entpolitisieren. Was normal ist, kann weder zu einem Politikum noch zu einem Zeichen von Ab- und Ausgrenzung instrumentalisiert werden, denn es ist schlichtweg normal.

Die Schule ist ein Ort, an dem auch Werte vermittelt werden. Keine Frage. Gegner des Kopftuchs an Schulen argumentieren, dass es patriarchale Werte symbolisiere. Mit solchen Argumenten wird in das Kopftuch jedoch viel zu viel hineininterpretiert. Nicht das Kopftuch ist die Herausforderung, sondern eben patriarchale Strukturen, und diese können ihren Ausdruck im Verbannen der Frau aus dem öffentlichen Leben, aber genauso im Missbrauch des weiblichen Körpers für Werbezwecke finden. Wir benötigen daher eine Wertedebatte, in der es um die Stellung der Frau in unserer Gesellschaft geht und nicht um ein Stück Stoff.

Der Autor leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Uni Münster

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