Auf den Kopf kommt es an

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Schleier oder Kopftuch sagen nichts darüber aus, was die muslimische Frauen dahinter oder darunter denken. Ob liberal oder konservativ eingestellt, ob säkular oder religiös motiviert, entscheidet sich im Kopf und nicht am Tuch.

Vor allem als Symbol für die Unterdrückung der muslimischen Frau werden Kopftuch und Schleier in der abendländischen, westlichen Öffentlichkeit interpretiert. Dabei übersieht man, dass Kopftuch und Schleier Teil eines Ganzen sind, das der Koran "Al-hijab" nennt. Al-hijab ist auf Grund von Ereignissen aus dem Leben des Propheten Mohammed entstanden:

Das erste historische Ereignis, auf das die Entstehung von Kopftuch und Schleier beruht, ist die Auswanderung des Propheten von Mekka nach Medina im Jahr 622. Während der Wanderung war das Zelt des Propheten für seine Anhänger immer offen. Sie konnten ihn besuchen, gemeinsam essen, trinken, über den Islam diskutierten und den Koran lesen. Das Zelt war stets voller Menschen und die Frauen des Propheten beschwerten sich bei ihrem Mann, dass sie von den männlichen Besuchern manchmal belästigend angeschaut oder angesprochen werden.

Lästige, tratschende Männer

Weiters beschwerten sich die Frauen darüber, dass sie von den Männer, die in der Nacht das Zelt verlassen, bei ihrer Toilette im Freien gestört werden. Diese Begebenheit fand im Vers 31, "Licht"-Sure 24 und in Vers 59, Sure 33 "der Verbündeten" ihren Niederschlag im Koran.

Die zweite Geschichte handelt von der Hochzeit des Propheten. Fast alle Muslime Medinas kamen zum Fest. Am Ende der Feier verließen die Gäste das Haus, bis auf drei Männer, die sich unterhielten und nicht bemerkten, dass der Prophet mit seiner Braut alleine sein wollte. Nach vielen Stunden verabschiedeten auch sie sich. Zwischen dem Propheten und seinem Vertrauten Anas Ibn Malik kam es daraufhin zu einem Gespräch, in dem der Prophet zwischen sich und seinem Vertrauten einen leichten Vorhang (Hijab) zog, um die Trennung zwischen öffentlichem und privatem Raum zu symbolisieren. Diese Begebenheit fand Eingang in den Koran: Vers 53, Sure 33 "Der Verbündeten".

Aus diesen Textstellen sind die verschiedenen Interpretationen der Schambedeckung von muslimischen Menschen - in diesem Fall der muslimischen Frau - entstanden. Die Palette, wie diese Vorgaben in den verschiedenen muslimischen Gesellschaften interpretiert wird, ist jedoch groß. Die Bedeutung von Al-hijab - von dem das Kopftuch nur eine, aber nicht die einzige Art der Bedeckung ist - unterscheidet sich von einer muslimischen Gesellschaft zur anderen. Sie ist abhängig von der jeweiligen sozialen Tradition und davon, ob diese oder jene politische Ideologie, die Religion für ihre Machtinteressen instrumentalisiert und missbraucht.

Das abendländische vorurteilsbehafte Bild von Kopftuch und Schleiers konzentriert sich aber nur auf einen schmalen Ausschnitt der muslimischen Realität. Daneben gibt es aber noch viele andere Ausformungen der Frauenwelt in islamischen Ländern. Muslimische Frauen sind zuallererst Menschen, die liberalen, säkularen, religiös konservativen oder politisch ideologisierten Richtungen angehören. Dabei habe ich die Erfahrung gemacht - als muslimische Frau, die kein Kopftuch trägt -, dass es zwei Gruppen von muslimischen Frauen gibt, die das Kopftuch tragen:

* Zur ersten Gruppe gehören gebildete, moderne, säkularisierte und aus liberalen Familien stammende Frauen, die aus eigener Überzeugung heraus das Kopftuch tragen.

* Die zweite Gruppe besteht aus Frauen, die auf Grund konservativer sozialer Traditionen und Gewohnheiten (aus Überzeugung oder Zwang) verpflichtet sind, das Kopftuch zu tragen.

Schleier ist kein Kriterium

Kopftuchtragen ist jedoch in keinem Fall ein Maßstab, an dem gemessen werden kann wie extrem oder wie fundamentalistisch eine muslimische Frau ist. Das Kopftuch wird in den liberalsten, aber auch in den konservativsten und politisch stark ideologisierten Teilen jeder muslimischen Gesellschaft getragen. Die abendländische, westliche, christliche Welt sollte sich deshalb vor Vorurteilen hüten, nur weil sich das Gegenüber anders kleidet als man es gewohnt ist. Zuerst muss man den jeweiligen Menschen, sein oder ihr Denken und Handeln, kennenlernen und dann erst entscheiden, wie man mit ihm oder mit ihr umgeht.

Die Autorin ist Lektorin für Journalismus an der Al-Petra Universität Amman.

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