"Kampf gegen herrschenden Konfessionalismus“

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Die libanesische Intellektuelle Mona Fayad über die religiös-politische Situation in ihrem Land. Sie kritisiert die Aufteilung des Öffentlichen nach Religions- und Konfessionszugehörigkeit.

Mona Fayad, geboren 1950 in Anssar (Südlibanon), studierte Sozialpädagogik in Beirut und Brüssel und promovierte an der Université Paris-Sorbonne in Angewandter Psychologie. Sie ist seit 1980 als Professorin für Sozialpsychologie an der staatlichen Libanesischen Universität in Beirut tätig und gilt als eine der angesehensten öffentlichen Intellektuellen im arabischen Raum. In zahlreichen Werken befasst sie sich u. a. mit den Themen Identität, Religion in der Politik sowie Frauen in den arabischen Gesellschaften.

DIE FURCHE: In einem bestimmten Lebensabschnitt trugen Sie Kopftuch (Hijab), heute nicht mehr …

Mona Fayad: Als die israelischen Truppen im Jahre 1982 in den Südlibanon einmarschierten, war ich 32 Jahre alt. Damals erschütterten mich die Plünderung und Zerstörung meines Heimatdorfes Anssar zutiefst. Mit dem Hijab, einem Element des markanten Erscheinungsbildes traditionell gekleideter Frauen im Südlibanon, wollte ich mich von den israelischen Soldaten abgrenzen. Mir war es damals sehr wichtig, meine Identität und Zugehörigkeit zu einer anderen Kultur und Religion den israelischen Soldaten gegenüber zu betonen. Das Tragen des Hijab war für mich andererseits ein Schritt zur Versöhnung mit der arabisch-muslimischen Tradition, da ich zuvor gedacht hatte, sie wäre für all unsere Niederlagen verantwortlich.

DIE FURCHE: An arabisch-muslimischen Symbolen mangelt es nicht. Warum entschieden Sie sich ausgerechnet für den Hijab?

Fayad: Weil ich damals dieses Stück Stoff für einen Teil eines bewusst ausgewählten Erscheinungsbildes hielt, mit dem sich eine Gemeinschaft identifiziert und ihre Zugehörigkeit und Differenzen zum Ausdruck bringt. Es war für mich wie etwa die traditionelle indische Kleidung von Indira Gandhi.

DIE FURCHE: Warum legten Sie den Hijab wieder ab?

Fayad: Weil mir eine weitere Funktion des Hijab, die darin besteht, die Frau zu kontrollieren und ihre Freiheit einzuschränken, klar wurde. Ich stellte fest, dass der Hijab nicht nur ein Symbol zur Betonung der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kulturkreis ist - wie im Falle der Kleidungen von Gandhi. Er ist weitaus mehr als das. Der Hijab schränkte meine Bewegungsfreiheit ein. Ich hätte es nicht verstanden, wenn ich nicht selbst darunter gelitten hätte. Ich konnte ohne Kopftuch nicht mehr spontan meinen Kopf aus dem Fenster lehnen, ohne davor nach etwas zu suchen, mit dem ich mich "bedecke“. Ich begriff, was "Bedeckung“ bedeutet, und was die Tatsache, dass die Frau in der arabisch-muslimischen Tradition als hurma (verbotene Domäne) des Mannes behandelt wird, die es nötig hat, sich hinter einem Hijab zu verstecken, um sich vor den Augen anderer zu schützen. Diese Augen sind natürlich die Augen anderer Männer. In den Augen der Traditionalisten würde jede Frau, die ihre Schönheit zeigt, von fremden Männern begehrt. Deswegen muss die Frau sich bedecken, nicht nur um ihre Keuschheit zu bewahren, sondern um zugleich die Keuschheit des Mannes zu schützen.

DIE FURCHE: Sie legten nicht nur den Hijab ab, sondern ließen die Angaben zu Religion und Konfession aus Ihrem Personalausweis und Ihren Personenstandsurkunden löschen. Welche Motivation stand dahinter?

Fayad: Ich bin zwar eine schiitische Muslima, aber ich bin in erster Linie eine Bürgerin des Libanons. Ich verurteile alles, was zu Ungleichheit und Entrechtung von Menschen führt und soziale Gerechtigkeit verhindert. Hierzu gehört der hierzulande vorherrschende Konfessionalismus. Meine Entscheidung, Religion und Konfession aus Personalausweis und Personenstandsurkunden löschen zu lassen, war ein aktiver Beitrag im Kampf gegen den Konfessionalismus. Nachdem ich diesen Schritt unternommen hatte, fühlte ich mich frei. Endlich wurden mein Glauben und meine Religiosität zu Privatangelegenheiten, die ich nicht als Erkennungs- und Identifizierungsmerkale mit mir herumtragen muss. Endlich wurde nicht sofort meine konfessionelle Zugehörigkeit über meine Persönlichkeit gestellt. Endlich dient meine konfessionelle Zugehörigkeit nicht als Ursache für die Bevorzugung oder Benachteiligung meiner Person.

DIE FURCHE: Welche politischen Reformen wären am wichtigsten?

Fayad: Am dringlichsten sind Reformen im öffentlichen Dienst, vor allem im Bereich der Personalgewinnung. Es geht um die Durchführung von fairen und transparenten Auswahlverfahren und die Festlegung von sachlichen Kriterien für die Auswahl von Staatsbediensteten - unabhängig von der Religions- und Konfessionszugehörigkeit. Die aktuelle Personalpolitik macht aus einem Staatsbediensteten einen Diener der jeweiligen Konfessionsgruppe. Das Öffentliche, sprich die Verwaltung, wird mit dem Privaten, also der Konfessionszugehörigkeit, vermischt. Es werden Vertreter von Konfessionsgruppen in der öffentlichen Verwaltung eingesetzt. Dies fördert nicht die Loyalität zum Staat, sondern zu den Konfessionsführern und öffnet dadurch der institutionalisierten Korruption Tür und Tor.

DIE FURCHE: Wie lässt sich diese korrupte Gesamtstruktur aufbrechen?

Fayad: Indem sie durch die Strukturen eines Zivilstaates (dawla madaniyya) ersetzt werden.

DIE FURCHE: Wodurch zeichnet sich ein arabischer Zivilstaat aus?

Fayad: Ein Zivilstaat ist ein moderner demokratischer Staat. Er garantiert die rechtliche, soziale und politische Gleichstellung aller Bürger. Der Schutz der Menschenwürde, Bürgerrechte und Freiheiten bildet die Grundlage allen staatlichen Handelns. Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Die politische Führungsspitze des zivilen Staates besteht weder aus Militärs noch aus Religionsgelehrten oder Konfessionsführern, sondern aus Zivilisten. Pluralismus, Gewaltenteilung, politische Partizipation durch freie und geheime Wahlen sind die Kernelemente seiner Verfassung. Die höchste Autorität im zivilen Staat besitzt die Judikative. Sie ist jedem Bürger zugänglich. Die Legislative verabschiedet Gesetze, die der Selbstjustiz von Individuen und Gruppen vorbeugen und sie unter Strafe stellen. Der Schutz der Religionsfreiheit ist eine zentrale Aufgabe des zivilen Staates. Er basiert jedoch auf der Trennung von Religion und Politik bei gleichzeitiger Akzeptanz aller Religionen.

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