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Allahs Gebote reichen bis ins Ländle

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Die Pflege der eigenen Religion in einem westlichen Land kann für Muslime zum Hindernis für eine dauerhafte Integration werden.

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Die Pflege der eigenen Religion in einem westlichen Land kann für Muslime zum Hindernis für eine dauerhafte Integration werden.

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Die Welt der Muslime in Österreich ist von einem regen religiösen Leben erfüllt. Detaillierte Forschungsergebnisse liegen vor. Der türkische Soziologe Adnan Gümüs hat für seine Dissertation 150 muslimische Vorarlberger Schulkinder befragt, unter anderem über ihre religiösen Gewohnheiten und jene ihrer Eltern. Eine Hauptfrage war, welche Bolle die islamische Beligion für die Integration der muslimischen Bevölkerung in die österreichische Gesellschaft spielt.

Alles in allem werden die religiösen Vorschriften recht streng beachtet. Die Moscheen, welche sowohl religiöse Zentren als auch die wichtigsten gesellschaftlichen Begegnungsorte sind, werden viel besucht, von mehr als der Hälfte der männlichen Türken mindestens einmal wöchentlich. Zwei Drittel praktizieren das Freitagsgebet.

Allerdings - und das ist eines von Gümüs' interessantesten Ergebnissen - sind doch sehr deutliche Unterschiede im religiösen Verhalten zwischen der Elterngeneration und der meistens bereits in Österreich geborenen - Kindergeneratkin zu bemerken: der Moscheebesuch geht etwas zurück; das Ramadanfasten wird weniger streng eingehalten. Während die Elterngeneration praktisch kein Schweinefleisch ißt, tut dies der Nachwuchs doch manchmal. Das berühmte Kopftuch tragen nur mehr 24 Prozent der rl ochter „häufig” oder „sehr häufig”, hingegen noch 43 Prozent der Mütter.

Innerhalb der Gruppe der Jugendlichen wiederum ist ein Unterschied zwischen den Geschlechtern feststellbar: die Mädchen sind weniger religiös, aber mehr an Osterreich orientiert als die Burschen. Es liegt die Vermutung nahe, daß der von Gümüs belegte starre Geschlechtsrollenzwang, dem viele türkische Mädchen unterworfen sind (zum Beispiel wird Mädchen seltener als Buben die Erlaubnis erteilt, an Schulausflügen teilzunehmen), zu dem nur scheinbar paradoxen Ergebnis führt, daß sich die Mädchen von der eigenen ethnischen Gruppe, ihrer Beligion und ihren kulturellen Normen stärker distanzieren als dies die Burschen tun. Die Mädchen dürfen bei einer Annäherung an die österreichischen Normen und Werte auf eine relative Verbesserung ihrer sozialen Position hoffen, für die männlichen Jugendlichen trifft das nicht zu.

Insgesamt wird sehr deutlich: je religiöser der familiäre Hintergrund und je strikter die religiöse Erziehung ist, desto weniger gut fühlen sich die Kinder in die österreichische Gesellschaft integriert. Die Beligiösen äußern die stärksten Fremdheitsgefühle. Ursache und AVirkung sind zwar schwer auseinanderzuhalten, zweifellos gibt es aber eine Negativspirale: wenn Menschen aufgrund ihrer Beligion ausgegrenzt, diskriminiert, lächerlich gemacht werden, dann fühlen sie sich umso intensiver an ihre Beligion als Zufluchtsort und Quelle von Identität gebunden.

Es wäre nun sehr aufschlußreich, die Vorarlberger Ergebnisse, mit solchen aus einer großstädtischen Begi-on wie etwa Wien zu vergleichen. Der Wiener Stadtschulrat verbot Gümüs aber, die Befragung in den Schulen durchzuführen. Und das, obwohl Gümüs alle vom Stadtschulrat aufgeworfenen Fragen und Einwände akri-bisch beantwortete und entkräftete und auf die erfolgreich durchgeführte Vorarlberger Befragung verwies.

Ist es denn für die Zukunft dieses Landes unwichtig, herauszufinden, welchen Einfluß die praktizierten Be-ligionen auf das soziale, wirtschaftliche, politische Verhalten seiner Bewohner haben? Wenn sich herausstellt, daß die Kraft des Islam von Generation zu Generation abnimmt und dies gleichzeitig die Integration -wenn nicht gar die Assimilation - in die österreichische Gesellschaft fördern könnte, so ist das für manche ein Hoffnungsstrahl, für andere ein Alarmzeichen.

Ein Hoffnungsstrahl ist es für jene, die offen oder insgeheim auf eine langfristige Lösung des „Fremdenproblems” durch Assimilation setzen, das heißt des Aufgehens der islamischen Bevölkerung in einem neuen österreichischen Menschentum, das Elemente aller Kulturen enthält.

Ein Alarmzeichen ist es für jene, die zwar Integration sagen, aber getrennte Entwicklung meinen. Wenn gesellschaftspolitisch so zentrale Fragen wie zum Beispiel jene der Geschlechterbeziehungen und der Familienordnung durch den Islam in einer bestimmten und endgültigen Weise geregelt sind, so ist eine Integration mit der sozialen Entwicklung Österreichs kaum vorstellbar. Da bleibt nur mehr das Modell einer Gesellschaft, die auf zwei Schienen läuft. Natürlich friedlich nebeneinander, aber eben doch nicht miteinander.

Es bestehen wenig Zweifel, daß Ahmed Abdelrahimsai, der nicht nur in Kleidungsfragen strenge Fachinspektor für islamische Beligion, eher zu jenen gehört, die Alarmzeichen vernehmen. Seine Beaktion hat nichts mit wissenschaftlicher Aufklärung zu tun.

Und weil sich's der Stadtschulrat mit ihm nicht verderben will, da sonst womöglich die fundamentalistischen Koranschulen Fuß fassen, hieß es im letzten Bescheid an Gümüs, daß seine wissenschaftlichen Fragen „in hohem Maße die inneren Angelegenheiten der islamischen Glaubensgemeinschaft berühren” und damit nicht gestellt werden dürfen. Wie sagte schon Khomeini? - „Ohne Politik ist der Islam nichts.”

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