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Der Mißstand ist die „Schweinerei”

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Abgeordnetenbezug, Spesenentgelt und Arbeitslosengeld: „Die Optik”, sagt die „wilde” Abgeordnete Gabrielle Traxler selbst, „ist verheerend”. Mißbrauch wird ihr vorgehalten. Tatsächlich geht es aber um einen Mißstand, von dem sie profitiert, und den der Gesetzgeber zu verantworten hat. Der sonst ja - siehe Kasten rechts -das Ruhen des Arbeitslosengeldes penibel regelt.

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Abgeordnetenbezug, Spesenentgelt und Arbeitslosengeld: „Die Optik”, sagt die „wilde” Abgeordnete Gabrielle Traxler selbst, „ist verheerend”. Mißbrauch wird ihr vorgehalten. Tatsächlich geht es aber um einen Mißstand, von dem sie profitiert, und den der Gesetzgeber zu verantworten hat. Der sonst ja - siehe Kasten rechts -das Ruhen des Arbeitslosengeldes penibel regelt.

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Nehmen wir an, jemand hat sein Haus versichert. Es brennt ab und die Versicherung lehnt den Ersatz des Schadens mit der Begründung ab, der Betroffene habe ohnedies ein hohes Einkommen. Absurd, nicht wahr? Schließlich sorgt man ja mit entsprechenden Prämien für den Fall der Fälle vor.

Gesagtes gilt - wie schon der Name sagt - grundsätzlich auch für die Sozial-Versicherung in die wir alle unsere Beiträge zahlen. Man erinnere sich an den geradezu leidenschaftlichen Kampf von Politikern aller Couleurs gegen die mittlerweile abgeschafften Ruhensbestimmungen. Wo kämen wir da hin, wurde argumentiert, wenn die Versicherung für Alter und Erwerbsunfähigkeit nur deswegen beeinträchtigt würde, weil man weiter verdient und der Gesellschaft nützlich ist? Also her mit der ungekürzten Pension -auch bei vollem Arbeitseinkommen!

Unter diesem Gesichtspunkt erscheint die Aufregung über Gabrielle Traxler, die als Abgeordnete nach Verlust ihres „zivilen” Berufseinkommens das Arbeitslosengeld bezieht, einigermaßen inkonsequent. Allerdings ist hier die Rechtslage etwas differenziert zu betrachten. Es geht nämlich dabei um die Frage, ob man als aktiver Abgeordneter überhaupt

„arbeitslos” sein kann; dies natürlich nicht im Sinn des allgemeinen Sprachgebrauchs verstanden, sondern der gesetzlichen Definition des Versicherungsfalles.

Nun ist man das nicht, wenn man weiterhin „beschäftigt” ist. Kein Arbeitsloser ist nach dem Gesetz, wer als Arbeitnehmer oder auch Selbständiger (Bauer, Gewerbetreibender) einem Erwerb nachgeht. Ob diese Verneinung des Versicherungsfalles auch für Politiker gilt, die ihren versicherten Arbeitsplatz verloren haben, war schon vor drei Jahren strittig und wurde vom Verwaltungsgerichtshof entschieden. Einem Bürgermeister wurde damals das Arbeits-lo sengeld verweigert und er beschwerte sich. Mit Recht, wie das Höchstgericht feststellte. Hätte nämlich der Gesetzgeber gewollt, daß auch Politikerbezüge die Arbeitslosigkeit im sonstigen Beruf ausschließen, dann hätte er das ausdrücklich sagen müssen (siehe Kasten unten).

So festgestellt seit 1990. Es wirkt daher schon befremdlich, wenn ein prominenter Vertreter eben jenes Gesetzgebers Traxler-wörtlich - „Schweinerei” vorwirft. Sie hat sich eigentlich dem Gesetz entsprechend verhalten. Daß man es ändern will, ist legitim, aber bisher geschah solches eben nicht.

Nun war auch zu erfahren, daß man gleichsam unter dem Druck der empörten öffentlichen Meinung eine andere höchstgerichtliche Meinung einholen will und zu diesem Zweck das bereits gewährte Arbeitslosengeld wieder streicht.

Zum Zeitpunkt der Zuerkennung stand die Rechtslage jedenfalls auf der Seite von Gabrielle Traxler - auch wenn dies sehr unbefriedigend sein mag. Die Arbeitslosenversicherung ist j a keine Armenfürsorge und wird auch von anderen Menschen in Anspruch genommen, die nicht am Hungertuch nagen. Notstandshilfe stand nicht zur Diskussion. Auch ist Gabrielle Traxler zuzugeben, daß sie nur mit dem Arbeitslosengeld ihren Versicherungsverlauf für die ASVG-Pension komplett hält. Und daß man Abfertigung und Arbeitslosengeld nebeneinander bekommt, gilt schon seit Jahren für alle.

Dahingestellt sei freilich, ob das Vorgehen der Abgeordneten für die öffentliche Meinung verträglich ist. Bevor man Steine wirft, soll man aber die Sache von allen Seiten betrachten. Wie die Dinge liegen, kann die sogenannte Privilegierte bald Job und Mandat los sein. Sie hat es sich ja mit ihrer Partei verscherzt.

Dies mag auch die verwendeten Kraftausdrücke erklären. Die vermißte man, als andere „Schweinereien” passierten, wo es aber nicht dem Gesetz entsprechend zuging.

Man wird sich einmal entscheiden müssen, ob Sozialgesetze für alle gelten oder ob man vor Inanspruchnahme von deren Leistungen quasi ein Armutszeugnis vorlegen muß. Das könnte manche treffen, die heute mit der Kritik sehr rasch da sind und morgen mit dem Krankenschein gratis zum Arzt gehen. Ohne Prüfung ihrer Gehaltshöhe. Selbstverständlich. Oder?

Der Autor ist Volksanwalt.

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