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Neckische Spiele
Eines ist der Primaria Dr. Ingrid Leodolter — vor rund hundert Tagen vom „Minister ohne Portefeuille” zum „Minister ohne Kompetenzen” avanciert — in dieser Zeit gelungen: die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, daß so Gesundheitspolitik nicht betrieben werden kann. Ob es die Regierungspartei auch schon weiß? Wohl kaum — und Dr. Kreisky hat sogar bei der einzigen „gesundheitspolitischen” Entscheidung des Parteitags, der Abstimmung über die Fristenlösung des 144, den Saal verlassen.
Eines ist der Primaria Dr. Ingrid Leodolter — vor rund hundert Tagen vom „Minister ohne Portefeuille” zum „Minister ohne Kompetenzen” avanciert — in dieser Zeit gelungen: die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, daß so Gesundheitspolitik nicht betrieben werden kann. Ob es die Regierungspartei auch schon weiß? Wohl kaum — und Dr. Kreisky hat sogar bei der einzigen „gesundheitspolitischen” Entscheidung des Parteitags, der Abstimmung über die Fristenlösung des 144, den Saal verlassen.
Was bei der Beratung des Kompetenzengesetzes klar nachgewiesen wurde, daß nämlich die vorgesehenen Kompetenztatbestände ein erfolgreiches Arbeiten eines „Ministeriums für Gesundheit und Umweltschutz” unmöglich machen, pfeifen jetzt die Spatzen vom Dach. Nur Frau Minister — die noch im Herbst auf eine Erweiterung ihrer Befugnisse hoffte, „falls sich das Ungenü-gen der vorgesehenen Regelung erweisen sollte” und im März dieses Jahres „erbittert” feststellte: „Mir” gehört ja fast nichts” (beide Stellungnahmen wurden dem „Kurier” abgegeben) — zeigte sich wenig später relativ zufrieden, da „ja Verordnungen genügend da” seien.
Nun soll nicht bestritten werden, daß es — fein säuberlich über eine Unzahl von Gesetzen verteilt — einen Wust von Vorschriften gibt, die sich mit für die Gesundheit relevanten Sachverhalten beschäftigen, verschiedenste Ministerien und vor allem die Länder zu gesundheitspolitischem Handeln verpflichten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen sind diese Bestimmungen nur Beiwerk, mehr zufällig als im Rahmen eines globalen Konzeptes oder auch nur ausgereifter Vorstellungen von Gesundheit oder Umweltschutz entstanden nistf ms wüwraiotsvol Nun braucht man allerdings nicht nur Kompetenzen, sondern auch Ideen — und Ideen könnte man auch ohne Kompetenzen haben — sei's auch nur, um klar darlegen zu können, was notwendig wäre. An einem Gesündheitsplan wird denn auch gearbeitet. Er ist in Arbeit — er ist fertig — er wird Anfang April veröffentlicht, nein, Ende April... Dieses neckische Spiel geht jetzt schon geraume Zeit. Dann und wann gibt es zarte Andeutungen über den Inhalt: Gesundenuntersuchun-gen, Spitalskonzept, Organisationsideen für die Krankenanstalten, Fortbildung der Apotheker (?), Empfängnisverhütung, Sorge um Selbstmordgefährdete. Was geschehen soll und wie es geschehen soll, darüber konnte noch niemand der Primaria etwas entlocken. Nur was es kostet, das steht schon geraume Zeit fest. 2,5 Milliarden Schilling.
Aber offenbar doch auch wieder nicht. Die Frau Minister hofft auf Finanzierung über die Krankenkasse und Vizekanzler Häuser sorgt in der 29. Novelle zum ASVG vor. Allerdings mit einem unüberhörbaren „bis hierher und nicht weiter”: die ab 1. Jänner 1974 geplante Beitragserhöhung ist zweckgebunden für die damit ins ASVG eingebaute Prophylaxe. Damit ist — so Vizekanzler Häuser — die Größenordnung fixiert für den Rahmen, in dem sich die Krankenversicherung an den Aktionen des Gesundheitsministeriums beteiligen wird. Auf die Fertigstellung des Gesundheitsplanes konnte man nicht warten. Warum eigentlich nicht? ASVG-Novellen gibt es üblicherweise mehrmals im Jahr. Ob man nur nicht warten wollte?
Die Vermutung liegt nahe: denn mit einigen harmlos erscheinenden Gesetzesänderungen werden so ganz nebenbei in dieser 29. ASVG-Novelle die Weichen in Richtung „Staatlicher Gesundheitsdienst” gestellt. Der Ausbau von Ambulatorien wird erleichtert, die Ärztekammer aus den Honorarverhandlungen ausgeklammert, die Vorsorgemedizin „sozialisiert”.
Übrigens: was bleibt dann noch für den Gesundheitsplan?
Doch, natürlich: die Organisation der Vorsorgemedizin und die Reorganisation des Krankenanstaltenwesens — beides Im vorgegebenen wirtschaftlichen Rahmen. Das sind 1974 aus der Anhebung des Beitragssatzes um 0,2 Prozent rund 300 Millionen für die Gesundenunter-suchungen und für die Krankenanstalten Pflegegebührenersätze bestenfalls im gleichen Anteil an den tatsächlichen Kosten wie bisher. Bestenfalls, denn die stufenweise Anhebung der Höchstbeitragsgrundlage auf zwei Drittel der Pensionsversicherung läßt nur bis 1973 eine aktive, 1974 und 1975 unter Verwendung der bis dahin erzielten Uberschüsse eine ausgeglichene Gebarung erwarten. So errechnete es jedenfalls die Krankenversicherungs-Enquete. Nun, mit 300 Millionen für Gesundenuntersuchungen ließe sich immerhin schon ein Anfang machen, vor allem dann, wenn man gesellschaftspolitische Überlegungen aus dem Spiel läßt und — statt teure Untersuchungsstellen einzurichten — die niedergelassenen Ärzte für die Gesundenuntersuchungen heranzieht. Vorbilder gibt es in Vorarlberg und Wien, Pläne vom Gesundheitsausschuß der ÖVP.
Und dann die Reorganisation des Krankenanstaltenwesens: hier fehlen Kompetenzen und .Geld, wobei das Geld wichtiger erscheint, als die Kompetenzen. Wer zahlt, schafft an, das haben auch die Niederösterreicher erkannt und durch eine Novelle dem Land über die Finanzierung die Möglichkeit in die Hand gegeben, allzu üppig ins Kraut schießende Prestigebauten und -einrichtungen zu verhindern. Da man die solcherart an die Zügel genommenen Spitalserhalter anderseits entlastete, waren sie mit dieser Lösung einverstanden und das Modell könnte auch für ganz Österreich passen.
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