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Klassenkampf mit Stethoskop?

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Das neue Ministerium für Gesundheit und Umweltschutz ist Wirklichkeit. Der Nationalrat hat nur mit den Stimmen der Regierungspartei einer Ärztin die Hauptverantwortung für jene beiden Bereiche, die in den nächsten Jahren für jeden einzelnen Staatsbürger unmittelbar Bedeutung erlangen werden, übertragen.

Die Kompetenzen des neuen Ministeriums sind falsch gelagert, ungenügend und unpraktisch. Damit ist eine bedauerliche und falsche Weichenstellung erfolgt, die sich noch bitter rächen wird — auf deren Konsequenzen aber schon an dieser Stelle („Furche“ Nr. 44/1971) hingewiesen wurde.

Tatsächlich besteht die bisherige Tätigkeit von Frau Minister Doktor Leodolter in der Abgabe von Absichtserklärungen, die noch kein klares Profil ihrer Vorstellungen erkennen lassen. Das von ihr als Primat bezeichnete „Gesamtkonzept der Vorsorgemedizin“, die „ärztliche Versorgung der Bevölkerung im ländlichen Raum“, die „Reorganisation des Spitalwesens“, die „Klärung der Zuständigkeiten“ und die „Termini-logie der Aufgaben“) des Umweltschutzes lassen nur Schlagworte erkennen und wiederholen Dringlichkeiten, die schon von der Ärzteschaft, von den Krankenkassen und von der interessierten Öffentlichkeit aufgestellt wurden. Da ist nichts Neues — vor allem nichts, was über das Katalogsystem von Wunschvorstellungen hinausgeht und Lösungsideen erkennen läßt.

Um so fragwürdiger erscheint daher auch die Methode, ohne eine Konfrontation der Öffentlichkeit mit Lösungsvorschlägen, bereits anzukündigen, daß für den noch nicht einmal zur Diskussion gestellten sogenannten „Gesundheitsplan“ „insgesamt 2,5 Milliarden Schilling aufzubringen sein werden“ (Sozialistische Korrespondenz, 12. Jänner 1972). Das heißt, sich auf ein Fahrrad setzen, ohne zu wissen, wohin die Fahrt überhaupt geht. So werden bereits heute „Blut und Tränen“ von der Bevölkerung eingefordert, ohne dieser auch zu sagen, wofür die Opfer überhaupt gebracht werden sollen.

Minister Dr. Leodolter hat aber auch festgestellt, daß die Erhaltung der Gesundheit „nicht länger Privatsache“ sei, „sondern als Gemein-schaftsaufgabe anzusehen“ ist. Und diese These führt mitten hinein ins Grundsätzliche.

Die Leodolter-These fügt sich ein In die Bemerkung des Regierungschefs, eine „Volksabstimmung“ könnte bestimmen, „was der Bevölkerung die Gesundheit wert ist“. Nun ist tatsächlich bisher niemand gefragt worden, ob ihm die Leistungen eines Zwangsversicherungssystems, wie wir es derzeit praktizieren, auch die Krankenkassenbeiträge wert sind, oder ob die „Dynamisierung“ dieser Beiträge ebenfalls „Volksabstimmungen“ zu unterziehen sind. Tatsächlich aber geht es hier ja auch um mehr als um eine Frage nach dem Geld. Es geht um das Prinzip, ob der Staat auf fiskalischem Weg Inkassant spielt, um administrativ Geld zu verteilen und damit Einfluß zu nehmen — oder ob etwa das Versicherungsprinzip als eine grundsätzliche Überlegung Vorrang auch in der weiteren Diskussion um die Gesundheitspolitik hat. Man muß, sich allen Ernstes fragen, was die Tendenz der „Entprivatisie-rung“ im Gesundheitswesen bedeutet; und daß wir es hier nicht mit einer Einzelaktion einer sozialistischen Regierung in Österreich zu tun haben, zeigt die Entwicklung in der Bundesrepublik, wo die Regierung Brandt schon 1969, insbesondere aber durch das Krankenhausfinanzie-rungsgesetz das Spitalwesen zur „öffentlichen Aufgabe“ erklärt hat — ganz genauso wie den Straßenbau und das Bildungswesen. In der Praxis führen solche Legaldefinitionen aber zum staatlichen Gesundheitsdienst, der über Bedarf, Organisation und Leistung der medizinischen Hilfe an denPatienten bestimmt.

Man mag freilich mit Recht einwenden, daß wir mit zunehmenden Aufgaben nicht um eine Neuorganisation des Bestehenden herumkommen und von einer „Verstaatlichung“ in Österreich weit entfernt sind. Tatsächlich soll auch weder dem Regierungschef noch dem neuen Minister unterstellt werden, solche Systemänderungen unmittelbar im Auge zu haben — nur muß das Instrumentarium erstaunen, mit dem bisher an die Fragen herangegangen wird, auch muß die Leichtfertigkeit angeprangert werden, mit dem Schlagworte in den Raum gestellt werden.

Gerade aber auch der Konnex mit dem Problemkreis Umweltschutz läßt Tendenzen aufklingen, die nicht unwidersprochen bleiben dürfen. Der schon in der Regierungserklärung lapidar mit dem „Verursacherprin-zip“ ausgesprochene Schuldspruch zielt offenbar auf eine höchst verdächtige Simplifizierungstaktik der Regierungspartei (wobei die größten „Verschmutzer“ in Österreich ja Großgemeinden und die verstaatlichte Grundstoffindustrie sind!); sie will eine Beseitigung der Ursachen erreichen — und bemüht dazu sogar die Ankündigung von Verfassungsänderungen, wenn es sich um „un-abweisliche Anliegen“ handelt. Im Klartext sprechen sozialistische Experten freilich schon aus, worum es geht — wie etwa das Institut für Stadtforschung, das als ökonomisches Primärziel nicht mehr das Wirtschaftswachstum, sondern den Einbau von staatlich verordneten Bremsklötzen vorsieht, indem die „Kosten für die Umweltsanierung bereits einberechnet“ werden.

Nun wird jede ernsthafte Maßnahme für einen verbesserten Umweltschutz ein Abwägen von Indi-vidual- und Kollektivinteressen erfordern. Aber es kommt bei der Diktion der Rezepte der Verdacht auf, als sollte der Umweltschutz nichts anderes sein als der Code für einen Eingriff in die Wirtschaft — dieser aber die Ursache eines neuen „Klassenkampfes“ — ein Wort, das der Bundeskanzler sicher nicht leichtfertig in die Welt gesetzt hat. Durch die Aufrüstung an beiden Fronten dieses „Klassenkampfes“ aber werden die Flüsse nicht sauberer, wird die Luft nicht reiner, verschwinden keine Schutthalden aus dem Weichbild der Städte, wird Lärm nicht gedämpft und Gestank nicht verhindert.

Einer sachlichen Diskussion über diese Problemlawine hingegen steht nichts entgegen. Sie kann beginnen — sie hätte schon einsetzen sollen.

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