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Digital In Arbeit

Arbeitsmarkt und Rentner

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Wir vergessen ganz, daß uns eine Reservearmee zur Verfügung steht, die bereit wäre, leichtere Ganztagsund Halbtagsarbeiten zu verrichten, wenn man sie von den Fesseln befreien würde, die ihr unsere Sozialversicherung angelegt hat. Es ist das mehrere Hunderttausendmannheer unserer Rentner. Durch kluges Umdisponieren in den Betrieben wird man nach Einstellung von Rentnern ohne weiteres vollwertige Kräfte freibekommen und sie neuen Aufgaben zuführen können.

Was aber hindert die Rentner, gemeint sind die Altersrentner, Männer über 65 und Frauen über 60 Jahre und die Witwenrentnerinnen jeglichen Alters, sich in den Arbeitsprozeß wiederum einzugliedern? Hierzu möchten wir noch erklärend bemerken, daß die Vitalität der fünfundsechzigjährigen Männer heute noch so groß ist, daß Prof. Bürger, der Senior der deutschen Altersforschung, vor kurz- zem erst vorschlug, einen Menschen nicht nach seinem Lebensalter, sondern nach seinem objektiv meßbaren „Leistungsalter“ zu beurteilen. Daß dem so ist, ist ein Erfolg der Medizin, der Hygiene, der modernen Lebensform.

Wenn heute nun ein Rentner wieder eine Beschäftigung antritt, so muß er zunächst neuerlich Beiträge zur Sozialversicherung zahlen, ohne daß er jemals etwas davon hat, und überdies wird ihm, wenn sein Entgelt den Freibetrag überschreiten sollte, die Rente teilweise zum Ruhen gebracht. Wenn er da erst zu rechnen beginnt, dann schaut für ihn trotz intensiver Arbeit nur sehr wenig heraus. Und wenn er weiß, daß es nach Aufgabe der Arbeit viele Vf.oche dt em wir .-eh r wieder zü seiner ungekürzten Rente kommt;,, dänn, verzichtet,. JHęJ er"das ganze Experiment und begnügt sich mit seiner Rente.

Aber muß denn das so sein, müssen denn diese Fesseln die Rentner weitet'

belasten? Sie waren ursprünglich von der Versicherungspflicht ausgenommen, wenn sie neuerlich eine Beschäftigung antraten, und erst als in der Zwischenkriegszeit der Würgegriff der Arbeitslosigkeit immer stärker empfunden wurde, zwang man sie wiederum zur Beitragszahlung, um sie dadurch vom Arbeitsmarkt womöglich fernzuhalten und die jungen Arbeitnehmer von einer billigeren Konkurrenz zu befreien. Nach vorübergehender Aufhebung in der NS-Zeit gelangte die Beitragspflicht für Rentner dann mit 1. Oktober 1951 wiederum zur Einführung. Damals gewährte man ihnen dafür allerdings noch nach Erwerb von je zwölf Beitragsmonaten einen zusätzlichen Steigerungsbetrag in der Höhe von 1,2 Prozent des Entgeltes. Aber anläßlich der Einführung des ASVG, also ab 1. Jänner 1956, wurde dieses Recht nur mehr den Vor-ASVG-Rentnern vorbehalten, und seit der 8. Novelle zum ASVG, seit 1. Jänner 1961, gingen auch sie dieses Privilegs verlustig. Leistung ohne Gegenleistung, soll das Rechtens sein? — Über die Verfassungswidrigkeit des Ruhens von Rententeilen bei Antritt einer entgeltlichen Beschäftigung durch den Rentner, deren hier so oft schon gedacht wurde, noch zu sprechen, hieße, Eulen nach Athen tragen. Die für den Herbst geplante 9. Novelle zum ASVG wird hoffentlich den § 94 ASVG endgültig aufheben.

Man hat es immer wieder hervorgehoben, wie elastisch unsere Sozialversicherung stets sein und wie sie die wirtschaftliche und soziale Dynamik der Zeit berücksichtigen muß. Nun wohl — sie hat es sich, obwohl es nicht ihre Aufgabe war, seinerzeit zum Ziel "gesetzt,-die* Rentner vom Arbeitsmarkt fėlnžtilialten.'*Kf1 ist es eben jetzt -WfedeWIoMt itttov Rßj i c h tp" i li‘jiWn den Weg dorthin freizumachen, zum Wohl unserer Wirtschaft, von der sie ja selbst getragen wird, von der sie lebt.

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