Österreich wird alt

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Der Demograph Wolfgang Lutz erwartet, daß in Österreich der Anteil der Über-60jährigen bis 2030 von einem Fünftel auf ungefähr ein Drittel steigt.

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Der Demograph Wolfgang Lutz erwartet, daß in Österreich der Anteil der Über-60jährigen bis 2030 von einem Fünftel auf ungefähr ein Drittel steigt.

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dieFurche: Welche Probleme kommen auf demographischem Gebiet auf den Generationenvertrag zu?

Wolfgang Lutz: Wir haben das Problem, daß das Pensionssystem, bei uns so strukturiert ist, daß die im Erwerb stehende Bevölkerung im Umlageverfahren die Kosten für die Bevölkerung, die bereits im Pensionsalter ist, trägt. Nun war das durchaus sinnvoll, solange immer stärkere, jüngere Geburtenjahrgänge nachgerückt sind. Es gab immer mehr Erwerbstätige und relativ wenige Pensionisten. Nun hat sich in den letzten Jahrzehnten die Lage sehr stark verändert. Wir hatten einerseits eine weitere Zunahme der Lebenserwartung, das heißt, die mit 60 oder 65 Jahren in Pension Gehenden hatten immer mehr Jahre in der Pension noch vor sich. Gleichzeitig und das ist fast noch entscheidender, schaut die Alterspyramide gar nicht mehr wie eine Pyramide aus, sondern wird sehr stark kopflastig, mehr wie ein Wasserturm, der oben breiter ist.

Das liegt am Geburtenrückgang seit den siebziger Jahren. Es werden immer weniger Kinder geboren, gleichzeitig kommen auch immer weniger in das Haupterwerbsalter. Wir hatten in Österreich in den sechziger Jahren den sogenannten Baby-Boom, es gab starke Jahrgänge, und da haben wir jetzt noch eine besonders günstige Situation, weil die Baby-Boom-Generation noch im Haupterwerbsalter ist. Dramatisch wird es allerdings, wenn diese starken Jahrgänge nach 2015 ins Pensionsalter kommen.

dieFurche: Nach dem Baby-Boom kam der "Pillenknick"?

Lutz: Die Bevölkerungswissenschaftler hören das Wort Pillenknick nicht so gern, weil es nicht die Pille ursächlich war, die zu dem Geburtenrückgang geführt hat. Die gewünschte Kinderzahl ist zurückgegangen, die Pille war nur die Methode, mit der man das erreichen konnte. Es zeigt sich in fast allen westeuropäischen Industrieländern, daß ab den frühen siebziger Jahren die Geburtenraten stark abgenommen haben. In Österreich liegen wir derzeit im Durchschnitt bei etwa 1,4 Kindern pro Frau.

dieFurche: Wie erklären Demographen die Diskrepanz zwischen dem Kinderwunsch - der liegt ja höher - und dieser Realität: 1, 4 Kinder?

Lutz: Es ist eindeutig so, daß sich im Laufe des Älterwerdens der Kinderwunsch und die Realisierung verändern. Wir haben in empirischen Studien gesehen, daß sich jüngere Frauen und Männer in der Regel zwei Kinder wünschen, daß sich aber im Lauf des Lebens diese Wünsche verringern oder nicht erfüllen. Es kann sein, daß man glaubt, beruflich nicht wegen eines Kindes aussetzen zu können, oder daß es mit der Partnerschaft nicht so klappt, wie man es sich vorgestellt hat. Der Kinderwunsch wird oft aufgeschoben, und aufgeschoben bedeutet dann häufig auch aufgehoben.

dieFurche: Wenn die erwerbstätige Generation für zunehmende Pensionen aufkommen muß, sieht sie sich dann nicht noch weniger in der Lage, auch noch für Kinder aufzukommen?

Lutz: Außer Zweifel steht, daß die Frage der Generationengerechtigkeit noch verschärfend hinzukommt. Die heute 20- bis 30jährigen haben ja in ihrem Berufsleben durch die immer noch steile Einkommenskurve sehr niedrige Eingangsgehälter, verglichen mit älteren Arbeitnehmern. Das fällt zusammen mit relativ hohen Kosten für Wohnungsbeschaffung - da haben ja die Neueinsteiger immer die höchsten Kosten zu tragen, während die älteren meist schon ausbezahlte Wohnungen haben und besser dastehen. Dazu käme jetzt noch die finanziell signifikante Belastung durch Kinder. Da können ökonomische Erwägungen dafür sprechen, Kinder hinauszuzögern: Schauen wir, daß wir erst wirtschaftlich Luft haben. Auch hier heißt das oft: Aufgeschoben ist aufgehoben.

dieFurche: Wie hoch ist heute der Anteil der Pensionisten, wie wird sich das voraussichtlich entwickeln?

Lutz: Derzeit sind es noch unter 20 Prozent der Bevölkerung, 19,7 Prozent, die über 60 Jahre alt sind. Dieser Anteil wird deutlich zunehmen, aller Voraussicht nach bis zum Jahr 2010 auf 23 und bis 2030 auf über 30, in der wahrscheinlichsten Variante auf 32 Prozent. Das sind keine Horrorszenarien, die an die Wand gemalt werden, nein, wir wissen es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, weil ja diese Menschen schon leben. Wenn nicht eine ganz unvorhergesehene Katastrophe eintritt, bei der große Teile der Bevölkerung sterben, wird es so kommen.

dieFurche: Welche Rolle spielt Migration? Könnte Zuwanderung das Problem im Generationenvertrag entschärfen helfen?

Lutz: Migration ist sicher das am schwierigsten einschätzbare Element in der Bevölkerungsentwicklung, und zwar deshalb, weil es stark von kurzfristigen politischen Entwicklungen abhängt. Das Öffnen des Eisernen Vorhangs hat zu einer nicht erwarteten Einwanderungswelle nach Westeuropa geführt. Generell ist es so, daß die Einwanderung nach Österreich den Alterungsprozeß nicht aufhalten könnte. Man müßte derart große Mengen von Migranten nach Österreich einlassen, und das in einem von Jahr zu Jahr steigenden Ausmaß, um den Alterungsprozeß abzufangen, daß das jenseits aller politischen Möglichkeiten und Realitäten steht.

Ganz im Gegenteil: Es besteht ja derzeit in der Politik die Tendenz, den Balken stärker herunterzulassen und noch weniger Einwanderer als bisher hereinzulassen, was auch heißt, daß der Alterungsprozeß eher beschleunigt wird, denn die Einwanderer kommen in der Regel im jüngeren Erwachsenenalter.

dieFurche: Kann der bisherige Generationenvertrag demnach noch halten?

Lutz: Der Generationenvertrag, wie er die letzten Jahre funktioniert hat, wird nicht mehr funktionieren. Da sprechen die Zahlen dagegen. Wie kann er am Leben erhalten, reformiert werden? Die Erhöhung des Pensionsalters - derzeit bei uns de facto 57 Jahre, am niedrigsten in Europa - ist problematisch. Durch die frühere Pensionierung wurde ja auch das Problem der Altersarbeitslosigkeit unter den Tisch gekehrt. Auch das Übergehen auf Privatvorsorge ist kein Patentrezept, weil die jüngere und mittlere Generation ja dann zugleich erstens für ihre eigene Pension vorzusorgen hat, zweitens den jetzigen Pensionisten ihre Pension bezahlen muß und als drittes noch die eigenen Kinder finanzieren soll, die in Zukunft das System aufrechterhalten sollen.

Das Problem ist, daß verschiedene Dimensionen der Gerechtigkeit zu berücksichtigen sind. Bisher hat man meist von der sozialen Gerechtigkeit zwischen den Ärmeren und Reicheren gesprochen, in den letzten Jahren hat das Thema der Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern zunehmend an Bedeutung gewonnen. Was nun neu in die Debatte gehört, ist die dritte Dimension, die Gerechtigkeit zwischen den Generationen.

Wolfgang Lutz ist leitend am Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse in Laxenburg und am Österreichischen Institut für Familienforschung tätig. Mit ihm sprach Heiner Boberski.

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