Climate - © Foto: Pixabay

Ein System, das Arbeit und Umwelt ruiniert

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Die Globalisierung wird der Welt heute verordnet, als gäbe es keine Alternative. Sie ist ein Feind jeder Feingliedrigkeit und damit ein grundsätzlich unökologisches, ja lebensfeindliches Prinzip.

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Die Globalisierung wird der Welt heute verordnet, als gäbe es keine Alternative. Sie ist ein Feind jeder Feingliedrigkeit und damit ein grundsätzlich unökologisches, ja lebensfeindliches Prinzip.

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Die Debatte über die ideale Größe eines Marktes wird nicht geführt. Es wird einfach globalisiert. Die Interessen des Großkapitals werden zum Naturgesetz erklärt. Was zumindest fehlt, ist eine Debatte darüber, ob es vorteilhafter ist, wirtschaftliche Großstrukturen oder Kleinstrukturen zu fördern. Anhand von zehn Thesen möchte ich zeigen, warum wirtschaftliche Großräume nicht zukunftsfähig sind.

1.

Zentrale Massenproduktion ist ihrem Wesen nach ökologisch destruktiver als lokale oder regionale Fertigung und Verteilung. Transportstrecken sind umso länger und das Transitaufkommen umso höher, je größer der Wirtschaftsraum ist. Mit der Osterweiterung wird sich das Straßengüterverkehrsaufkommen in der EU noch einmal verdoppeln, auch Wien wird im Transit ertrinken. Parallel zur Globalisierung wächst der weltweite Verbrauch von Energie, Materialien, Wasser und Fläche. Schon jetzt entnimmt und emittiert die Menschheit mehr, als die Biosphäre bewältigen kann. Die Symptome der ökologischen Krise nehmen zu. Jede weitere Anhebung des Konsumniveaus sollte vermieden werden, eine Absenkung auf die Hälfte wäre dringend ratsam. Nur: Große Wirtschaftsräume beruhen auf der Wachstumslogik.

2.

Je größer Wirtschaftsräume sind, desto schlimmer steht es um die Verteilungsgerechtigkeit. Nicht nur, weil in großen Wirtschaftsräumen die größten Unternehmen viel größer sind als die kleinen, sondern auch, weil dort die Großunternehmer und Vermögensbesitzer eine gerechte Verteilungspolitik erfolgreich verhindern. Globalisierung schafft zusätzliche Polarisierung, weil sich die Einkommenseliten nicht mehr im Binnenmarkt, sondern transnational formieren. In den letzten 30 Jahren hat sich die Kluft zwischen dem reichsten und dem ärmsten Fünftel der Menschheit verdoppelt. Laut UNO besitzen 225 Milliardäre soviel wie 47 Prozent der Menschheit. Gleichzeitig beginnen Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit und Armut selbst in den reichsten Industrienationen zu grassieren - trotz beharrlichen Wirtschaftswachstums, trotz beständiger Zunahme des Welthandels und trotz sprunghaften Anstiegs der ausländischen Direktinvestitionen - oder wegen alledem?

3.

Große Wirtschaftsstrukturen sind gegenüber kleinen Nettoarbeitsplatzzerstörer, weil sie "effizienter" produzieren: mit weniger menschlichen Arbeitskräften, dafür mit umso mehr Energie, Material und Transport. Wenn agrarische Monokulturen Subsistenzbauern ersetzen, wird Arbeit zerstört; wenn Großfabriken Kleinbetriebe und Kunsthandwerk ersetzen, wird Arbeit zerstört; wenn Supermärkte Nahversorger ersetzen, wird Arbeit zerstört; wenn Fast food-Ketten lokale Gastronomie ersetzen, ebenso. Die 500 erfolgreichsten Unternehmen setzen 25 Prozent des Weltbruttosozialprodukts um und kontrollieren 70 Prozent des globalen Handels, sie beschäftigen aber nur 0,05 Prozent der Weltbevölkerung. Zwischen 1980 und 1995 haben sie jedes Jahr netto 400.000 Arbeitsplätze abgebaut. Biobauern, Handwerker, Nahversorger und (dynamische, flexible, innovative) Kleinbetriebe beschäftigen die meisten Menschen. Wir sollten entscheiden, ob wir billigstmöglich bei hohen Arbeitslosenraten oder zu mäßigen Preisen bei Vollbeschäftigung produzieren wollen.

Egal, ob die rollende Fusionswelle mit Monopolen oder "nur" mit Oligopolen enden wird, beide Optionen bedeuten das Ende des freien Wettbewerbs. Politische Kontrolle von Unternehmen funktioniert nur in Kleinstrukturen, gegen die Kolosse und Elefanten des Weltmarktes hat nationale Politik keine Chance mehr. Der Leiter des deutschen Kartellamtes spricht vom "ordnungspolitischen GAU". Ein Öko-Landwirt ist keine Wettbewerbsgefahr, ein "Life Science"-Konzern jedoch nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine ökologische, kulturelle, ethische.


5.

Globalisierung bedeutet den Anfang vom Ende der Demokratie oder den schleichenden Tod der nationalen Politik. Während die Bändigung des nationalen Kapitalismus in diesem Jahrhundert mit Sozial-, Umwelt- und Arbeiterschutzgesetzen gelang, ist die Regulierung des Weltmarktes (der Waren und Finanzen) nicht möglich. Denn die Regierungen nehmen gegenüber den globalen Wirtschaftsakteuren eine ganz andere Rolle ein als gegenüber den nationalen: nicht die der rahmenlegenden Kontrollbehörde, sondern die des buhlenden Standort-Gastgebers, der glaubt, auf den Gast (das transnationale Kapital) angewiesen zu sein und sich somit beliebig erpreßbar macht. Egal, ob man die Steuern auf Kapital nicht weiter absinken lassen, die Energiepreise mit Rücksicht auf den Klimawandel anheben oder die Arbeit aufteilen will, sofort ertönt die Abwanderungsdrohung und die Erpressung mit Stellenabbau. Umwelt-, Sozial- und Steuerdumping sind nur im globalen Markt möglich, wo das frei bewegliche Kapital die Nationalstaaten gegeneinander ausspielen kann.

Im globalen Wettbewerb werden Staaten zu Standortkonkurrenten und Standortgegnern. Nicht jedes der 190 Länder ist der beste Standort für ein globales Produkt, nicht jeder kann in einem Bereich Marktführer werden. Der offene Weltmarkt führt somit zwingend zu Standortgewinnern und Standortverlierern. Wer aber kümmert sich in einem freien Markt um Verlierer (ganze Länder und sogar Erdteile)? Die Rangliste der reichsten Länder hat sich in den letzten 100 Jahren kaum verändert. Aus dem Abseits kommt so schnell keiner heraus. Die OECD ist und bleibt mit 84 Prozent aller Wirtschaftsleistung das "Gravitationszentrum" des Weltmarktes.

7.

Große, komplexe Wirtschaftsgebilde sind weit krisenanfälliger als überschaubare Kleinstrukturen. Allein die schrankenlose Kapitalmobilität bedeutet strukturelle Währungsinstabilität infolge der von ihr verursachten Wechselkursschwankungen. Das Kapital fluktuiert immer zum sonnigsten Plätzchen und wirbelt in seiner Sogwelle alles gründlich durcheinander. Die persönliche Bereicherung auf Kosten von Volkswirtschaften ist möglich. Kleinräumige Wirtschaftssysteme entbehren der Tendenz zur Währungsinstabilität. Die Krise von 1929 war weltweit. Eine Wiederholung kündigte sich 1994 in Mexiko und 1997 in Südostasien an. Beide Male wurden gigantische Beträge von Steuermitteln (50 Milliarden beziehungsweise 100 Milliarden US-Dollar) in die Epizentren gestopft, um ein überregionales Ausbreiten der Krise zu verhindern. Der jüngste Kandidat ist Brasilien (42 Milliarden Dollar). Eine neue Methode, Steuergeld den Spekulanten zuzuspielen, ist gefunden. Wer im Notfall entschädigt wird, verliert den Mut zum Risiko nicht. Die Feuerwehreinsätze des Internationalen Währungsfonds werden weiter zunehmen. 1998 war er erstmals erschöpft.

8.

Wenn den Großkonzernen durch den GATT-WTO-MAI-Prozeß (internationale Einrichtungen, die den freien Welthandel ausbauen und die internationalen Investitionen absichern sollen, Anmerkung) das reibungslose globale Ausbreiten ermöglicht wird, dann werden wir bald überall das gleiche essen, dieselben Kleider tragen, uns mit denselben Transportmitteln fortbewegen und denselben Freizeitbeschäftigungen nachgehen: globale Monokultur.

9.

Massenproduktion am Standort des geringsten Widerstandes bewirkt mindere Qualität bei den Grundgütern. Das bedeutet in der Nahrung: mehr Chemie und Gentechnologie; in der Kleidung: schnelleren Verschleiß; bei den Haushaltsgeräten: Irreparabilität; generell: kürzere Produktlebensdauer. Billige Massenware, die in jeden Winkel des Erdballs beinahe zum Nulltarif verfrachtet wird, verdrängt erfahrungsgemäß alle lokalen (nachhaltigen, arbeitsintensiven) Qualitätserzeugnisse, die preislich nicht konkurrieren können.

10.

Der Weltmarkt schafft Anonymität. Zu Großstrukturen gehören Supermärkte und Einkaufszentren, Flughäfen, Vergnügungswelten und Massentourismus - Einsamkeit im Hyperrummel. Beschleunigung: Wenn sich meine (tägliche) Lebenwelt ausdehnt, muß ich mobiler werden, weitere Wege bedeuten aber höhere Geschwindigkeiten, denn die Tage werden trotz Globalisierung nicht länger. (Im Weltmarkt hat Streß Struktur.) Die Globalisierung läuft genau in den falschen Bereichen ab: bei Waren und Finanzen. Diese sollten möglichst lokal und im Kreis geführt werden. Dann wären Wirtschaftssysteme stabil. Die Selbstversorgung mit (biologischer) Nahrung und (erneuerbarer) Energie sind die beiden zentralen Stützpfeiler einer menschengerechten und naturverträglichen Binnenkreislaufwirtschaft. Eine Globalisierung und Öffnung verdienen hingegen Geist, Bewußtsein, Sorge um die anderen (nicht deren Ausbooten und Niederrüsten) und gemeinsames politisches Bemühen um ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Weltfrieden. Der Austausch sollte sich - neben lokalen Spezialitäten - auf immaterielle Güter konzentrieren: Wissen, Weisheit, Sprache, Kunst, (Gast-) Freundschaft ...

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