Mehr Vertrauen durch Experten an der Macht?
Die Coronakrise ist zur Vertrauenskrise geworden. Expert(inn)en - wie der neue Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein - gelten vielen als letzte vertrauenswürdige Instanz. Doch das macht sie nicht automatisch zu besseren Politikern. Ein Gastkommentar.
Die Coronakrise ist zur Vertrauenskrise geworden. Expert(inn)en - wie der neue Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein - gelten vielen als letzte vertrauenswürdige Instanz. Doch das macht sie nicht automatisch zu besseren Politikern. Ein Gastkommentar.
Die Lehren der Corona-Pandemie für die Wissensgesellschaft sind hochgradig paradox. Einerseits nimmt die Wissenschaft in der Pandemiebekämpfung eine Schlüsselfunktion ein. Die Politik ist auf das Expertenwissen von Virologen, Epidemiologinnen, Vakzinologen und Intensivmedizinerinnen, von Simulationsforschern, Komplexitätsforscherinnen und Modellrechnern, von Ökonomen, Sozialforscherinnen und Psychologen angewiesen. (Lesen Sie hier das Interview mit Peter Klimek und Andreas Sator darüber, wie man komplexe Sachverhalte erklärt.) Andererseits produziert das Covid-Virus ein Ausmaß an Ungewissheiten, das der Wissensgesellschaft und ihrer Politik eine große Kränkung zufügt. Die nächste Virusmutation kann alle wissensbasierten Prognosen und Öffnungspläne über den Haufen werfen. Kollektiv verunsichernd wirkt die Erfahrung des Kontrollverlustes – und alle mühsamen Versuche, die Kontrolle über das Geschehen zurückzugewinnen, werden durch die permanente Ungewissheit der weiteren Entwicklung infrage gestellt. Die Vorstellung, alles sei planbar und beherrschbar, ist tief erschüttert.
Planbares Risiko?
Die Coronakrise ist zur Vertrauenskrise geworden. Erschüttert ist das Vertrauen in die Politik, die den Bürgern verspricht, aus der Ungewissheit einer globalen Gefahr zumindest ein planbares Risiko zu machen. Die Politik wiederum misstraut den Bürgerinnen und Bürgern, welche je länger, desto weniger bereit sind, harte Maßnahmen zur Eindämmung des Virus einzuhalten. Gesunken ist auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger untereinander, weil sich diejenigen, welche noch die Verordnungen der Regierungen und Behörden befolgen, als die Dummen vorkommen, wenn sich andere über die Vorschriften hinwegsetzen, ohne dass es für sie persönliche Folgen hat.
Wem kann man in der Krise noch vertrauen? Die Frage hat letztlich eine geradezu metaphysische Dimension. In der Wissensgesellschaft lautet der politische Appell, „der Wissenschaft“ zu vertrauen. Die gleiche Forderung erheben Klimaschützer. Der Glaube an „die“ Wissenschaft kann geradezu religiöse Züge annehmen, wie wir sie aus dem Positivismus des 19. Jahrhunderts und andererseits aus dem Marxismus und seiner vermeintlich streng wissenschaftlichen materialistischen Geschichtsphilosophie kennen. Interessant ist, in welchem Maße auch Theologie und Kirche wie selbstverständlich die gesellschaftliche und politische Dominanz der Wissenschaft in der Coronakrise akzeptieren, etwa wenn es um das Aussetzen von Gottesdiensten geht.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!