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Kokette Parteien

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Österreichs Politiker verhalten sich gelegentlich wie verhemmte Gymnasiasten: Sie kokettieren mit der vorzeitigen Wahl und keiner traut sich an sie heran. Jeder möchte den anderen animieren, es zu versuchen — in der stillen Hoffnung, selbst der Nutznießer zu sein, sobald einmal das Eis gebrochen ist.

Warum, so müssen wir fragen, sollten die Sozialisten auch die Tage der Alleinregierung nicht bis zuletzt auskosten, da doch die bisherigen Regionalwahlresultate kaum die Hoffnung auf eine neuerliche absolute Majorität zulassen? Warum wollen sie jetzt nicht — wie schon einmal — einen Mißtrauensantrag der Opposition niederstimmen, sondern wären bereit, vorzeitige Neuwahlen auszuschreiben? Und warum sträubt sich die Opposition gegen dieses Offert?

Sie kann dadurch doch nur gewinnen — ob wenig oder vieil ist eine andere Frage, aber gewinnen auf alle Fälle. In einigen Bundesländern scheute die ÖVP keineswegs die vorzeitige Auflösung, und sie hat ihr nicht geschadet (wenn auch kaum genützt). Kreisky hingegen verdankt sogar seinen spektakulären Sieg von

1971 einer vorzeitigen Auflösung des Nationalrats.

Der Background zu diesem kuriosen Schattenboxen sind wirtschaftliche Probleme: niemand weiß so recht, wie es im nächsten Jahr weitergehen wird. Frei nach Oskar Karlweis könnten wir singen: „Mal schaut sie rechts, mal schaut sie links, die Konjunktur ist eine Sphinx.“

Die Regierung strahlt routinemäßig Optimismus, aber es ist ihr nicht ganz vyohl in ihrer Haut. Wird sie bis zum nächsten Herbst zur Inflation auch noch die Arbeitslosigkeit dazu haben? Diese braucht nicht schlimm zu sein, aber sie würde genügen, die Regierung mit ihrem Trumpf der Vollbeschäftigung, zu desavouieren und möglicherweise eine Panikreaktion bis hinein in ihre Stammwählergruppen auszulösen.

Darüber hinaus dürfte sie vor der Administrierunig des Budgets 1975, dessen Ansätze im Entwurf — vorsichtig ausgedrückt — nicht immer ganz realistisch sind, ein wenig Angst haben — speziell in einem Wahljahr. Ein Monsterdefizit, das noch weit über die Ansätze hinausgeht, 1st zu erwarten — mit entsprechenden inflationären Impulsen. Die Verantwortung dafür mit einer anderen Partei zu teilen, muß verlok- kend sein.

Die ÖVP macht — ihrer Öpposi- tionsrolle gemäß — in Pessimismus. Es wird ihr von der Resierungspar- tei sogar vorgeworfen, sie rede die Krise herbei. Nun, herbeireden läßt sich immer nur eine Krise, die irgendwie schon vorhanden ist. Und lie Wirkung von „Seelenmassage“ —

im positiven wie im negativen Sinne

— wird oft überschätzt.

Dazu kommt, daß die Krisenwarnungen der ÖVP von vielen Leuten nicht ganz emstgenommen werden, denn ihre „Kassandren vom Dienst" haben die Böllerschüsse viel zu früh losgelassen und schon in Zeiten von Rezessionsgefahren gesprochen, in denen noch Überkonjunktur bevorstand. Wer aber einmal falschen Alarm geschlagen hat, dem glaubt man nicht recht.

Wenn nun aber die Situation im nächsten Jahr trist aussehen wird —• und manches spricht dafür —, dann ist. die Opposition besser beraten, keine vorzeitigen Neuwahlen zu provozieren und auch in keiner Weise der Regierung den Absprung zu erleichtern, sondern die Legislaturperiode auslaufen zu lassen, so daß die Verantwortlichkeit der Regierung den Wählern klar vor Augen steht. Anderseits muß die Regierung — ohne Rücksicht auf die absolute Majorität — bestrebt sein, den Umengang abzuhalten, ehe sich das Konjunkturbild allzusehr verdüstert.

Dem steht gegenüber, daß die Konjunkturforscher für die meisten europäischen Staaten und für die USA im kommenden Jahr eine Konjunkturbesserung Voraussagen. In einem solchen Fall könnten Herbstwahlen für die Regierung günstiger sein, stünde sie doch dann — allerdings zu einem sehr hohen Inflationspreis — als Überwinderin der Krise da. Aber Prognosen sollen schon öfters nicht eingetroffen sein.

Die Unsicherheitsfaktoren sowohl hinsichtlich der Konjunktur als auch hinsichtlich der Wähleremotionen sind groß, ürtd dies erklärt das Zögem beider Parteien. Denn letzten Endes steht noch nicht fest, ob die Wähler die Volkspartei als die bessere Krisenmanagerin akzeptieren werden. Ausrutscher wie derjenige eines Funktionärs, dem die ÖVP in falscher Loyalität noch immer eine Plattform für seine Meinungsäußerung zur Verfügung stellt und der rundheraus erklärte, ihm sei „etwas“ Arbeitslosigkeit lieber als die Inflation, dürften jedenfalls nicht passieren. Genau damit stärkt man die — zweifellos falsche — These der Sozialisten, daß Inflation eine Alternative zu Arbeitslosigkeit sei. Wer so argumentiert, zeigt, daß er in Konjunkturfragen auch noch nicht weiter gekommen ist als die SPÖ.

Die Situation ist zweifellos konfus. Dies ändert aber nichts daran, daß Chancen und Nachteile parteiintern sachlich ausdiskutiert werden müssen, daß dann aber zielstrebig gehandelt werden muß. Die Wahlterminkoketterie in aller Öffentlichkeit wirkt jedenfalls penetrant und sollte — bei beiden Großparteien — endlich aufhören.

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