6685539-1962_15_01.jpg
Digital In Arbeit

Wählen: ja, aber wann?

Werbung
Werbung
Werbung

% Wählen oder nicht wählen — in diesem Herbst: das ist nun wieder einmal die Frage. Seitdem zu Jahresbeginn für so manche Auguren unserer Innenpolitik die Vorverlegung der im Frühjahr 1963 in zeitlicher Nähe der Volkswahl des Bundespräsidenten termingemäß fälligen Nationalratswahlen beschlossene Sache war, sind drei Monate vergangen. Wer, wie wir es immer taten und immer tun werden, bekennt, daß er aus prinzipiellen Gründen dagegen ist, Legislaturperioden unseres Parlaments nach Gutdünken wie eine Ziehharmonika zu dehnen oder zusammenzudrücken, wird heute nicht mehr laut als Prinzipienreiter oder weltfremder Theoretiker verschrien. Das nicht, weil man sich vielleicht rechts oder links dazu durchgerungen hätte, es sei dem Geist der Verfassung entsprechender, den Nationalrat vier statt dreieinhalb oder gar nur drei Jahre arbeiten zu lassen; aber eine Gegenströmung gegen die beinahe schon so gut wie beschlossene vorzeitige Auflösung des Parlaments in diesem Herbst ist doch deutlich spürbar, ja, sie gewinnt von Woche zu Woche mehr Fürsprecher. Und zwar gehen hier — wie ja heute in so vielen Dingen — die Fronten quer durch die Parteien. Dazu kommt, daß die gegenwärtig recht weit vorgeschrittene Auflösung und Parzellierung unserer Innenpolitik jeden Entschluß — und sei es auch selbst den, die Karten zusammenzuwerfen und ein neues Sp!el zu wagen — üu einem wahren Kraftakt macht, für den man zwischen Galaempfängen und Auslandsreisen bisher kaum Zeit, geschweige denn, richtig Lust hatte.

Und so vergehen die Wochen. Die politischen Osterferien stehen vor der Tür. Bis Pfingsten ist es auch gar nicht mehr lange, und ehe wir uns versehen, steht die Sonne hoch am Himmel. Sie bringt alles politische Leben zum Erliegen. Leicht kann es dann im Herbst passieren, daß man eines Tages betroffen auf den Kalender blickt und sich erinnert: Wollten wir nicht eigentlich im November wählen? Achselzuckend und ein wenig resigniert erkennt man: dazu ist es nun wohl zu spät.

Spaß beiseite. Wie kam es zu dieser doch ziemlich einmalig grotesken Situation, daß sich die beiden Parteien bis in ihre obersten Gremien bis heute noch nicht klar geworden sind, wann sie das Bundesvolk zur Urne rufen werden.

Es begann am Scmmering. Die erste Regierungspartei war guten Mutes. Sie hatte die Budgetschlacht erfolgreich geschlagen. der Koalitionspartner zeigte deutlich Abnützungserscheinungen und auf keinen Fall mehr soviel

politischen Appeal und Siegeszuversicht wie noch ein Jahr zuvor. Jetzt könne man, jetzt müsse man das Spiel bald wagen. So meinten die Sachverständigen in Sachen Meinungsforschung. Vor einem allerdings wurde gewarnt, und das auch mit gutem Recht: einseitig den politischen Landfrieden aufzukündigen.

Der in seiner Konsumentemuhe aufgeschreckte Bundesbürger beliebte nämlich bisher immer den Störenfried am Wahltag zu bestrafen. Soweit war man also bereit, die Lehren vergangener Urnengänge zu beherzigen. Der Koalitionspartner sagte kein klares Nein, aber auch kein einwandfreies Ja. Auch er hat seine Leute, die dem Volk den Puls fühlen. Eine klare Ablehnung des Vorschlages hätte doch zu leicht als Angst vor dem Votum Seiner Majestät des Wählers, als Sesselkleberei, als Zugeständnis innerer Unsicherheit gewertet werden können. Also zeigte man sich auf der linken Reichshälfte durchaus willig, im Herbst in den Ring zu steigen, verband aber mit dieser Bereitschaft die Bedingung zur Fortführung der „sachlichen Arbeit“. Wie eine solche aussieht, sobald das Wort Wahl einmal nur laut ausgesprochen wurde, das haben wir seither an genügend Beispielen links und rechts demonstriert bekommen Daneben erleben wir aber seit Wochen das neckische Spiel, wie Volkspartei und Sozialisten versuchen, einander möglichst unauffällig und diskret den Schwarzen beziehungsweise den Roten Peter der vorverlegten Neuwahlen in die Tasche zu mogeln.

Dazu kommt, daß verschiedene Ressortminister, die noch besondere Wünsche an den Gesetzgeber haben, einsehen, daß es kaum möglich sein werde, diese in zwei, höchstens drei Monaten zu einem guten Ende zu bringen. Auch melden sich wieder unsere Abhorchposten von der Front der Massenpsychologie. Nachdem sie zuerst der ersten Regierungspartei zugeredet haben, ihr Licht nicht unter den Scheffel zu stellen und klar die Gretchenfrage nach der Führung in diesem Land zu stellen, kommt jetzt das alte ,,Gleichgewicht“ in neuer Variation auch wieder zu Ehren. In der Nähe der Präsidentenwahl, für die Doktor Schärf, so er wieder antritt, zweifellos Favorit ist, wäre gewiß die Abneigung der Wähler gegen den Alptraum SPÖ-Rundespräsident, SPÖ-Bundeskanzler, SPÖ-Nationalratspräsident mit Erfolg zu mobilisieren.

Alle diese Überlegungen lassen eines außer acht: Die Lautsprecher der Wahlpropaganda sind seit Monaten aufgedreht, und alles, was geschieht beziehungsweise nicht geschieht, steht unter dem Gesichtspunkt der für den Herbst vorausgesagten Nationalratswahlen.

Kann man den Mechanismus des Wahlkampfes heute überhaupt noch zurückdrehen? Gehorcht der Besen den Zauberlehrlingen? Diese Frage ist bei der gegebenen Situation entscheidend. Man versuche es rasch. Gelingt es, so soll es uns freuen, wenn da“ erste Mal seit 1945 bis 1949 ein Nationalrat sein volles Lebensalter erreicht. Wenn nicht, dann ist es jetzt schon das kleinere Übel, den Wähler im Herbst zu den Urnen zu rufen. Dann aber wird man gut tun, konsequent zu sein, und nicht länger zögern dürfen, daD Datum der kommenden Nationalratswahlen endlich gemeinsam i festzusetzen. Je früher, desto besser.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung