Die verwelkenden Grünen

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Die Grünen bräuchten dringend eine Schärfung ihres sozialen und wirtschaftlichen Profils. Die Bedürfnisse ihrer Stammwähler ändern sich dramatisch, während die Partei erstarrt.

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Die Grünen bräuchten dringend eine Schärfung ihres sozialen und wirtschaftlichen Profils. Die Bedürfnisse ihrer Stammwähler ändern sich dramatisch, während die Partei erstarrt.

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Es war anders als sonst in den Straßen Salzburgs, einer Stadt, in der seit den achtziger Jahren grünes Gedankengut sprießt und gedeiht, wie kaum sonstwo in der Republik. Cyriak Schwaighofer, der umtriebige Chef der Salzburger Grünen, wollte noch einmal mobilmachen. Kurz vor der Europawahl zog er noch einmal mit Broschüren und Flugzetteln durch die Gassen und trällerte seine Botschaft von der Einzigartigkeit der grünen Kraft in Europa. Doch selbst bei alten Gefährten in grünen Banden holte sich Schwaighofer in diesen Tagen eine Abfuhr: "Viele haben mir gesagt: Sonst wähl' ich immer euch, aber diesmal bitte nicht." Auf diese Weise abgewimmelt, unterboten die Grünen in ihrer Hochburg Salzburg sogar noch die vom Wähler zerlegte SPÖ: Nur noch 16,7 Prozent, ein Minus von sieben Prozent im Vergleich zu den Wahlen 2004: Den Grünen war damit ein Drittel ihrer Wähler abhanden gekommen.

Das Desaster setzte sich bundesweit fort: Ein Sturz von knapp 13 auf 10 Prozent, mit Hängen und Würgen das zweite Mandat im EU-Parlament gehalten - aber innerparteilich vollends aus dem Tritt geraten - das ist das Bild, das Österreichs jüngste Partei derzeit bietet. Im europäischen Vergleich ist der Kontrast noch verheerender, angesichts von satten Zugewinnen der deutschen und französischen Grünen. Nach der schwersten Niederlage bei bundesweiten Wahlen seit Bestehen der Partei dröhnten aus dem grünen Urgestein schon am Tag nach der Wahl erste Rücktrittsforderungen. Vor allem Johannes Voggenhuber, durch seine Abhalfterung zum Intimfeind von Obfrau Eva Glawischnig geworden, tobte gegen Wien.

Unterstützung fand Voggenhuber dabei vornehmlich bei den Medien. Zuletzt griff Gerfried Sperl im Standard in die Tasten, um der "bald zweifachen Mutter" Glawischnig den Rückzug nahezulegen.

Aber reicht es aus zu behaupten, Glawischnig habe sich mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit dem Boulevard und den Klatschspalten angedient und die Grünen damit beliebig gemacht, grüne Prinzipien verwässert und damit dem Wählerverdruss Tür und Tor geöffnet? Sind die Grünen tatsächlich so langweilig, überangepasst und phantasielos, wie die Kleine Zeitung kommentiert, oder so unattraktiv für Protestwähler, wie der Kurier meint? Tatsächlich bewegt sich die ehemalige Protestpartei mit den etablierten Parteien SPÖ und ÖVP im Gleichschritt, was die Wählerablehnung betrifft: Seit 2006 haben die Grünen keine Wahl mehr gewonnen.

Dass die Gründe für die Krise also nicht nur bei einer Parteichefin liegen können, die vor einem halben Jahr bestellt wurde, scheint einleuchtend. Glawischnig selbst ahnt "tiefere Ursachen", ist aber nicht imstande, diese zu benennen: vermutlich ihr derzeit größtes Handicap.

Die Politik des No-na

Dabei gibt es durchaus Ansätze grundsätzlicher Analysen. Die Politikwissenschafterin Sieglinde Rosenberger etwa meint, einen deutlichen Wandel der potenziellen Grün-Wählerschaft zu erkennen. Entscheidend dabei: Der sorgenfrei lebende Jungakademiker mit Weltverbesserungstendenzen und Jobgarantie ist ebenso eine verschwindende Minderheit geworden wie der moderne Weltbürger, der in allem Multikulturellen zwangsweise etwas Positives erkennt. Zudem nagen die Großparteien und stark politisch agierende Organisationen wie Attac zunehmend an der klassischen Umweltkompetenz der Grünen.

Doch weder Akademiker im Prekariat noch nach Halt und Identität suchende Mittelständler noch globalisierungskritische Jungwähler kann mobilisieren, wer als Losung ausgibt, man wolle "wieder eine Protestpartei" werden und sich mit dem Slogan "Grün statt rechts" von der Lethargie befreien. Die Reaktionen auf solche "Ansagen" fallen entsprechend geharnischt aus: "Das ist eine No-na-Politik", sagt der ehemalige Grünen-Chef Christoph Chorherr. Auch Peter Pilz fordert eine schonungslose Debatte: "Nach sechs verlorenen Wahlen ist es Zeit, die Probleme und damit die Lösungen endlich auch bei uns zu suchen. Nur wenn wir uns die Fragen nicht ersparen, werden wir die Antworten finden."

Politikwissenschafterin Rosenberger wüsste bereits eine der vielen neuen Ausrichtungen: Die Schärfung des sozialen Profils in Zeiten der Wirtschaftskrise. Doch Mindestlohn und Umverteilung vertreten die Grünen seit Jahren laut und hörbar - wenn auch ohne Erfolg. "Von der Energiewende bis zur Integration haben wir die besten Antworten erarbeitet", sagt Pilz, "aber sie spielen in der öffentlichen Debatte eine viel zu geringe Rolle. Wenn wir zur Präsentation eines Programms einladen, bleibt der Pressekonferenz-Raum meist leer. Aber wenn wir streiten, sind sie alle da." Ist der mediale Hang zur Personalisierung ein Schlüssel für die grünen Probleme? Der Wiener Grüne Martin Margulies kann das aus Erfahrung bestätigen: "Wenn einer gegen die Parteispitze wettert, kommt er vor, sonst nicht." So wie für Magulies ist es für manchen in der Parteizentrale der Grünen ein Treppenwitz, dass nun gerade jene Medien inhaltliche Werte vermissen wollen, die seit Jahren die Grünen mit einer Model-Agentur verwechseln.

Reformkraft oder Halbierung

Margulies ist für ein schärferes Profil der Partei und er würde dafür auch auf vieles verzichten - auch auf Wähler: "Entweder wir werden nach der Reform zur zentralen verändernden Kraft oder wir halbieren uns." Doch viel Zeit bleibt den Grünen in keinem Fall, aus dem thematischen Phlegma herauszufinden. Vermutlich schon im Frühjahr 2010 wird in Wien der Gemeinderat gewählt. Eine Fokussierung des Wahlkampfs auf das Duell zwischen SPÖ und FPÖ könnte die Grünen zur marginalisierten Kleinpartei schrumpfen.

In Wien schrillen deshalb schon die Alarmglocken. Was immer in der Bundespartei an Richtungswechseln angedacht ist: Die Wiener Spitzenkandidatin Maria Vassilakou scheint nicht mehr auf Eingebungen warten zu wollen. Sie vollzieht den Schwenk von Umwelt zu sozialem Profil bereits. Während grüne Bezirksvertreter noch wacker für die Rettung jedes Grünstreifens in der Stadt und gegen den Bau von Tiefgaragen zu Felde ziehen, setzt Vassilakou voll auf die Wirtschaftsschiene. In konkreten Forderungen heißt das: Ausbau und Verbilligung des öffentlichen Verkehrs, Ausweitung des Gratiskindergarten-Angebots, eine Bildungsoffensive, die massive Förderung neuer und grüner Technologien. Mit diesem Paket hofft die Spitzenkandidatin, den "grünen Passionsspielen" der letzten Wochen zu entkommen.

Einen Vorgeschmack auf die neue Politik soll eine "Unternehmenstour der Grünen Wien" bilden, die am Mittwoch begann. Der Titel der Initiative könnte dabei auch als Auftrag an die eigene Partei verstanden werden: "Wer redet hier von Krise?"

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