"Das ökonomische Angebot noch stärker formulieren"

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Die Politikwissenschafterin Sieglinde Rosenberger sieht die Grünen unter dem Druck des Wertewandels. Sie rät der Partei eine neue Themen-Gewichtung.

Sieglinde Rosenberger war bis 2007 Leiterin des Instituts für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Sie ist Professorin und Universitätsrätin in Wien und Graz. Sie ist Autorin zahlreicher Fachbücher über österreichische Politik.

Die Furche: Als die Grünen in den frühen 80er Jahren gegründet wurden, waren sie vor allem für junge Wähler eine moderne Alternative zu den etablierten Großparteien. Jetzt erscheinen sie demgegenüber weniger kreativ, weniger angriffig, weniger innovativ. Was hat das für Ursachen?

Sieglinde Rosenberger: Die Grünen verkörperten in den 80er Jahren eine Strömung des Post-Materialismus. Damals fragte man sich, was nach der klassischen Aufteilung der Politik in ein linkes und ein rechtes Lager komme, was also "beyond left and right" liege. Dieses "beyond" waren die Grünen. Die Bewegung kritisierte die Folgen des Kapitalismus auf die Umwelt, thematisierte die durch Ausbeutung entstehende soziale Ungerechtigkeit. Die Grünen waren das Angebot für Menschen, die sich für libertäre, grundrechtliche, emanzipative Ideen begeisterten. Das sprach vor allem eine Wählerschicht an, die über gute Bildung und ausreichend Einkommen verfügte und die sich nach einem alternativen Weltmodell sehnte.

Die Furche: Was hat sich seither verändert?

Rosenberger: Es hat ein starker Wandel der Parteien, aber auch ein Wandel der Themen stattgefunden. Seit dem 19. Jahrhundert definieren sich die Parteien über gesellschaftliche Konflikte. Dazu gehören Konflikte entlang der Klasse, der Religion und der Nation. Den Liberalismus, den wir etwa in Großbritannien finden, gibt es in Österreich nicht, beziehungsweise wurde er von den Nationalsozialisten ausgerottet. Die Grünen haben in den 80er Jahren dem bestehenden Spektrum die Ökologie hinzugefügt. Heute aber stellt sich für viele Menschen wieder die Frage der Ökonomie stärker als jene der Ökologie. Viele den Grünen Nahestehende gehören zunehmend einer ebenfalls vom Prekariat bedrohten Gruppe an.

Die Furche: Dann ist es an der Zeit, sich stärker den ökonomischen Problemen zu widmen …

Rosenberger: Die Grünen müssten ein "ökonomisches" Angebot sicher stärker formulieren, alleine deshalb, weil sich ihre Sympathisanten neu zusammensetzen. Das ist nicht einfach, weil dabei durchaus die Gefahr besteht, in eine politische Falle zu tappen. Denn mehr Ökologie bedeutet tendenziell Beschränkungen der Wirtschaft. Aber was passiert, wenn die Wähler und Wählerinnen selbst zunehmend unter ökonomischen Druck kommen?

Die Furche: Dazu kommt noch, dass die Großparteien selbst ökologische Inhalte in ihre Programme aufgenommen haben.

Rosenberger: Das gilt vor allem für die ÖVP, die ideologisch der Tradition und dem Naturschutz schon aufgrund ihrer christlichen Tradition verpflichtet erscheint. Zusätzlich ist, nicht zuletzt krisenbedingt, eine starke Sehnsucht der Menschen nach stabiler, kultureller Identität zu bemerken. Das widerspricht einem multikulturellen bzw. pluralen Ansatz. Es ist also keineswegs so, dass das aktuelle Themengemenge ein Startvorteil für die Grünen wären.

Die Furche: Viele parteiinterne Kritiker sagen, die Führung der Partei habe sich den klassischen Parteien zu sehr angenähert.

Rosenberger: Dies trifft zu, allerdings ist hier auch die Medienlogik mit ausschlaggebend. In vielen Kommentaren wird immer wieder kritisiert, man wisse nicht, wofür die Grünen stünden. Gleichzeitig gibt es von Seiten der Medien einen starken Hang zur Personalisierung. Das ist für die Grünen problematisch: Ihr Image ist es, für Themen einzutreten, die sich schlecht als "Story" erzählen lassen: Gerechtigkeit, Umweltschutz, Wahrung der Grundrechte.

Die Furche: Eva Glawischnig sagt, die Grünen sollten wieder eine Protestpartei werden.

Rosenberger: Eine Positionierung als Protestpartei ist schwierig für die Grünen. Hans Peter Martins Stärke liegt etwa nicht darin, Probleme zu lösen, sondern sich als Anti-Politiker zu etablieren. Die Grünen können da als etablierte politische Kraft nicht mithalten. Die FPÖ erzeugt bei ihren Anhängern über das gezielte Ansprechen von Ängsten ein Wir-Gefühl. Was bleibt da noch für die Grünen? (tan)

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