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Katholiken sind Haider-resistent

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Warum haben sich welche Wähler so und nicht anders entschieden? - Meinungsforscher auf der Suche nach den Motiven für den „Umsturz der Parteienlandschaft“.

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Warum haben sich welche Wähler so und nicht anders entschieden? - Meinungsforscher auf der Suche nach den Motiven für den „Umsturz der Parteienlandschaft“.

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Der Einzug des Liberalen Forums als fünfte Parlamentspartei, der Absturz der SP’Ö unter die 40-Prozent-Marke sowie der Aufstieg der FPÖ zur Mittelpartei haben die politische Landschaft Österreichs erstmals seit 1945 grundlegend verändert, meinen die Wahlforscher Fritz Plasser und Peter Ul- ram. Denn der Traditionsbruch am 9. Oktober, neben dem Rückgang der Wahlbeteiligung und dem dramatischen Schrumpfen des gemeinsamen Stimmenanteils der staatstragenden Traditionsparteien SPÖ und ÖVP zeige den noch nicht abschätzbaren Prozeß der „Dekonzentration“ der politischen Lager. Während SPÖ und ÖVP (siehe Graphik) noch bei den Nationalratswahlen 1979 die Stimmen von rund 85 Prozent der Wahlberechtigten auf sich vereinigen konnten, so waren es 1994 nur mehr 48 Prozent.

Dramatisch verändert hat sich neben der geschrumpften Machtbalance zwischen SPÖ und ÖVP auch der Abstand zwischen ÖVP und FPÖ. In vielen Bereichen gelang es der rv’Oitcnnmi]il^rTu’n FPO. die OVP zu überholen und zum direkten Herausforderer der SPÖ zu werden: so wurde die FPÖ mit einem Stimmenanteil von 28 Prozent zur zweitstärksten Partei unter den männlichen Wählern *(SPÖ 34 Prozent, ÖVP 25 Prozent), auch bei den Jungwählern ließ die FPÖ mit einem Anteil von 25 Prozent die ÖVP klar hinter sich (19 Prozent).

Die „neuen“ Mittelschichten — eine wahlentscheidende Gruppe — spiegeln bereits das nunmehrige Fünfparteiensystem wider: So entschieden sich lediglich fünfzig Prozent der Wähler aus den Angestellten- und Dienstleistungsberufen für die Regierungskoalition, die andere Hälfte wählte eine der drei Oppositionsparteien.

Den schwersten Einbruch erlebte die SPÖ jedoch in ihrer Kemwähler- schicht. Bereits knapp 30 Prozent der Arbeiterschaft schlossen sich Jörg Haiders national-sozial motivierter Wählerbewegung an. Die SPÖ hat ihre einst als unantastbar empfundene absolute Mehrheit in diesem Kernwählerbereich verloren.

Das Wahlergebnis birgt, so Plas ser und Ulram, auch eine ungewöhnlich brisante sozialpolitische Konfliktlinie in sich: Auf der einen Seite eine mit den sozialpartnerschaftlich abgestützten Interessensvertretungen der Arbeitnehmer verbundene SPÖ, auf der anderen Seite die FPÖ mit ihrer Kritik an den sozialpartnerschaftlichen Institutionen und dem Anspruch, die „kleinen, fleißigen Leute“ besser zu vertreten.

WIE WÄHLTEN KIRCHGÄNGER?

Auffallend ist auch die Entscheidung der „regelmäßigen Kirchgänger“ (27 Prozent jener Bürger, die am Sonntag ihre Stimme abgaben): in diesem Personenkreis konnte Haiders FPÖ so gut wie gar nicht punkten, während die ÖVP nach wie vor klar voran liegt (siehe Graphik).

Welche Ereignisse beziehungsweise welche Themen beeinflußten das Wählerverhalten am nachhaltigsten? — Laut Ulram waren die Zweier-Konfrontationen der Spitzenkandidaten am Runden Tisch im Fernsehen, die Diskussion über die Spitzeneinkommen in der steirischen Ar beiterkammer sowie das berüchtigte ORF-Interview mit dem sozialdemokratischen AK-Präsidenten Heinz Vogler („…ein ganz, ganz großer Erfolg…“) ausschlaggebend für den gewaltigen Absturz der Kanzlerpartei. Der Themenkomplex Privilegienwirtschaft sowie die Zurückhaltung der Ergebnisse der Arbeiterkammer-Wahlen (laut Plasser „nur mehr in Mexiko und Brasilien üblich“) wurde zum Bumerang für SPÖ und ÖVP. Denn bis dahin hätten die Koalitionsparteien jeweils nur rund 2,5 Prozent der Wählerstimmen eingebüßt.

Die SPÖ wurde vornehmlich aufgrund traditioneller Bindungen wie Familientradition und Interessensvertretung gewählt, gefolgt von der Person des Spitzenkandidaten, der guten Regierungsarbeit und dem Engagement der SPÖ für Arbeitsplätze und Rentensicherung. Auch beim Koalitionspartner ÖVP spielten traditionelle Bindungen die Hauptrolle, daneben honorierte der ÖVP- Wähler den Einsatz seiner Partei für den EU-Beitritt, begleitet vom Wunsch nach mehr Machtausgleich in der Regierung.

Bei den Grünalternativen dominierte neben dem Umweltschutz die fernsehgerecht gestylte Person der Spitzenkandidatin Madeleine Petro- vic sowie deren Einsatz gegen Ausländerfeindlichkeit und für Minderheiten als wahlentscheidende Motive. Das Liberale Forum wiederum profitierte speziell bei Frauen von der Person Heide Schmidts, deren Gegnerschaft zur FPÖ und einer wahlarithmetisch möglichen schwarz-blauen Koalition.

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