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Wähler auf Wanderschaft

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Wenn es gelingt, die Wahlbeteüigung, sie lag 1979 knapp bei 59 Prozent, zu steigern, dann könnten wir erstmals die Mehrheit erringen", hoffte der Tiroler ÖAAB-Spit-zenkandidat Ekkehard Abendstein Ende März im Gespräch mit der FURCHE (13/1984) mit Blick auf die Arbeiterkammerwahlen am 8. und 9. April.

Es gelang. Mit einer Wahlbeteiligung von 68,5 Prozent erreichte der Tiroler ÖAAB einen Stimmenanteil von 53 Prozent (1979: 48,2), während die Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter auf 45,2 (48,7) Prozent absackte; die FPÖ-Riege wurde auf 1,6 (2,8) Prozent dezimiert.

Der Erfolg, 1979 für Abendstein bereits zum Greifen nahe, blieb damit nicht aus: 15 Jahre nachdem Bertram Jäger in Vorarlberg den Sozialisten die Domäne des Arbeiterkammerpräsidenten streitig gemacht hat, eroberte der langjährige Swarovski-Betriebs-ratsobmann den Tiroler Präsidentensessel.

Dieser spektakuläre Coup ist aber nur ein Teilaspekt des ÖAAB-Durchbruchs bei den heurigen Arbeiterkammerwahlen, gemessen an der Zahl der über zwei Millionen Wahlberechtigten, dem nach National- und Bundespräsidentenwahlen drittgrößten Urnengang Österreichs.

Sämtliche Versuche, die Bedeutung des Wahlganges herabzuspielen, mißlangen, was nicht zuletzt in der Wahlbeteiligung Niederschlag fand: Gegenüber 1979 ist sie bundesweit sogar leicht auf 62,6 Prozent gestiegen, lediglich in der Bundeshauptstadt ist sie um rund einen Prozentpunkt auf 53,2 Prozent zurückgegangen.

Und obwohl der ÖAAB seinerzeit bei den AK-Wahlen 1974 noch mehr Stimmenprozente zulegen konnte (nämlich 23,8), landete er diesmal einen „Erdrutsch"-Sieg. Der wird dann besonders deutlich, wenn dem Vergleich nicht allein die Steigerung des Stimmenanteils in Prozentpunkten, sondern die prozentuelle Zunahme zugrunde gelegt wird (siehe Tabelle im Kasten).

So bedeutet in der Endabrechnung der Verlust von 5,9 Prozentpunkten für die Sozialisten (Stimmenanteil nunmehr 58,4 Prozent) ein Minus von 9,1 Prozent gegenüber 1979, das schlechteste Ergebnis seit 1949. Hingegen konnte der ÖAAB durch Erhöhung seines Stimmenanteils um' 5,7 Prozentpunkte auf 36,7 Prozent letztlich nicht weniger als 18,3 Prozent zulegen. Und auch die freiheitliche Niederlage wird augenscheinlicher, wenn man vor Augen hat, daß der Verlust von „lediglich" 0,7 Prozentpunkten (Stimmenanteil 2,5 Prozent) in Wahrheit einem Minus von 21,8 Prozent gleichkommt.

Für den ÖAAB - und damit für die ÖVP — brachten diese AK-Wahlen das beste Ergebnis seit 1949: Neben dem Gewinn des Tiroler AK-Präsidenten wurde auch im Wahlkörper Angestellte erstmals die relative Mehrheit mit einem Stimmenanteil von 49,3 erreicht, während die Sozialisten mit 44,8 Prozent auf den zweiten Platz absackten. Dramatisch das FPÖ-Abschneiden in diesem (ehemaligen Hoffnungs-)Be-reich: Jeder dritte Wähler ging der Steger-Partei da verloren.

Und auch in den Wahlkörpern Arbeiter und Verkehr schnitt der ÖAAB deutlich besser ab, besser als es die Stimmenanteile vermuten ließen: Praktisch jeder vierte ÖAAB-Wähler bei den Arbeitern schenkte erstmals dem ÖVP-Bund sein Vertrauen (siehe Tabelle).

Das heißt: Unübersehbar haben Arbeitnehmer diesmal direkt von einer Partei zur anderen gewechselt, eine Tendenz, die sich schon bei den Landtagswahlen in Niederösterreich und zuletzt in Salzburg angedeutet hat.

Eine Sonderstellung beim ÖAAB-Abschneiden kommt dem Vorarlberger Ergebnis zu: Dort hat Bertram Jäger nach dem besten Ergebnis seit 1949 bei den Wahlen im Jahr 1979 heuer nur das zweitbeste erreicht. Mit einem Stimmenanteil von 56,4 Prozent hat er gegenüber 1979 jedoch 8,5 Prozentpunkte verloren, während die Sozialisten um 8,2 Prozentpunkte auf 38,3 Prozent Stimmenanteil zulegen konnten.

Mehrere Ursachen dürften den Ausschlag gegeben haben: Erstens entsprach der zum Vergleich herangezogene triumphale Wahlerfolg 1979 (nach einer üblen Verleumdungskampagne gegen Jäger) nicht den strukturellen Gegebenheiten. Zweitens hat sich die Ländle-SPÖ diesmal erfolgreicher um die Gastarbeiter bemüht — und der Wahlkörper Arbeiter gab den Ausschlag zum Endergebnis. Drittens bekam Jäger in Vorarlberg das zu spüren, was in acht anderen Bundesländern Sozialisten auf den Kopf fiel: Unzufriedenheit mit der AK-Politik insgesamt, Protest gegen die „Großkopferten da oben".

Dieser Protest einerseits, die Auflehnung gegen die rot-blaue Regierungskoalition und ihre Politik andererseits (mit dramatischen SPÖ-Verlusten in den wirtschaftlichen Problemregionen), dazu noch strukturelle Verschiebungen in der Arbeitnehmerschaft: Seit Beginn der siebziger Jahre hat es keine so tiefgreifende Veränderung des Wahlverhaltens mehr gegeben. Wähler sind auf Wanderschaft. Es kommt endgültig Leben in die politische Landschaft.

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