SPÖ - © Foto: APA / Florian Wieser

SPÖ: Neuer Kurs oder neue Partei?

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Nach der Wahl in Salzburg, wo die ÖVP nun mit der FPÖ verhandelt, befragt die Sozialdemokratie bis 10. Mai ihre Mitglieder. Wie soll sie sich programmatisch ausrichten? Ein Gastkommentar.

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Nach der Wahl in Salzburg, wo die ÖVP nun mit der FPÖ verhandelt, befragt die Sozialdemokratie bis 10. Mai ihre Mitglieder. Wie soll sie sich programmatisch ausrichten? Ein Gastkommentar.

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Die Wahlen in Salzburg samt Einzug einer Liste „KPÖ plus“ in den Landtag haben nicht nur in Salzburg selbst, sondern bundesweit ein Erdbeben ausgelöst. Sogleich tauchten Mutmaßungen über die Renaissance von Marxismus-Leninismus und Planwirtschaft auf, als ob die ehemals Jungen Grünen, die sich der Strukturen der KPÖ bedienen, mit einer Wiederbelebung des 1989 untergegangenen Kommunismus gesiegt hätten. Sämtliche Wahlanalysen haben gezeigt, dass die neue Partei mit einem einzigen Thema ihren Wahlerfolg erreicht hat: mit dem Wohnungs- und Mietenthema, das die anderen Parteien sträflich vernachlässigten.

Dienstag dieser Woche hat die Salzburger ÖVP nun einstimmig beschlossen, mit der FPÖ über die nächste Landesregierung zu verhandeln. Das wird in der SPÖ erneut die Frage befeuern, wie man bei den Nationalratswahlen Schwarz-Blau und einen Kanzler Kickl verhindern kann.

Die meisten Debattenbeiträge gehen hier von einer falschen Analyse aus: Die FPÖ gewinnt nicht wegen des Ausländer-, Asyl- und Migrationsthemas; Untersuchungen des SORA-Instituts haben gezeigt, dass die tiefere Ursache die allgemeine soziale Unzufriedenheit ist, die Ausländerhetze ist nur ein Ventil. Die FPÖ ist heute zur größten Arbeiterpartei geworden.

Seit 30 Jahren Niedergang

In ihrer derzeitigen Verfassung ist die SPÖ nicht imstande, diese sozialen Ursachen zu analysieren und danach zu handeln. Die Funktionäre ignorieren die existenziell wichtigen Fragen und haben den Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern verloren, sie sind eine geschlossene Clique, fixiert auf Intrigen und eigenes Einkommen. Das erbärmliche Schauspiel, das die Partei derzeit bietet, der Kampf zwischen der Parteichefin und ihren beiden Herausforderern samt allen Pannen bei der Vorbereitung der Mitgliederabstimmung (vierte Alternative: „Keiner“) ist an Absurdität nicht zu überbieten.

Falsch wäre es, die Fehler für das Desaster allein an der politischen Hilflosigkeit von Pamela Rendi-Wagner oder dem kommunikativen Antitalent ihres Geschäftsführers, Christian Deutsch, festzumachen. Beide sind nur Symptome für den Niedergang der einst mächtigen Arbeiterbewegung, ein Niedergang, der vor 30 Jahren begann.

Die österreichische Sozialdemokratie hat, wie die meisten europäischen Sozialdemokraten, die Entstehung eines ganz neuen Kapitalismus nach 1989 weder zur Kenntnis genommen noch seine sozialen Folgen verhindert. Im „Washington Consensus“ von 1990 haben US-Ökonomen zusammen mit Bankern die drei Forderungen des neuen, neoliberalen Kapitalismus formuliert: Liberalisierung, Privatisierung, Deregulierung. Mit anderen Worten: mehr privat, weniger Staat. Helmut Schmidt, nicht gerade als Linker in der SPD verschrien, sprach bald vom „Raubtierkapitalismus“ und warnte vor dessen Folgen. Inzwischen gibt es unzählige Analysen dieser Entwicklung, die offenkundig nicht bis in die Löwelstraße vorgedrungen sind.

Erfolgloser „Dritter Weg“

Die Sozialdemokraten übernahmen einen Großteil der neoliberalen Forderungen – auf dem „Dritten Weg“, den Tony Blair in Großbritannien und Gerhard Schröder in der Bundesrepublik propagierten. 1998 beschloss die SPÖ ein Parteiprogramm, das den Schröder-Blair-Kurs propagierte. Er brachte den Sozialdemokraten freilich nicht die erhofften Wahlerfolge; im Gegenteil, die Sozialdemokraten bauten seit Franz Vranitzky von Wahl zu Wahl ab. Die Wählerzustimmung halbierte sich in 30 Jahren von 42 auf 21 Prozent. Kreisky war mit 47 Prozent 1983 noch zurückgetreten, die Vorsitzenden seither dachten trotz permanenter Verluste (Ausnahme: Alfred Gusenbauer 2006) niemals an Rücktritt. Und Christian Kern, der den Parteivorsitz 2018 entnervt und ohne Begründung hinschmiss, will jetzt wieder zurück auf die politische Bühne.

Der Niedergang hat viele Ursachen. Zentral ist und bleibt die Frage einer gerechten Gesellschaft.Alle empirischen Untersuchungen belegen, wie krass sich die Einkommens- und Vermögensunterschiede entwickelt haben: oben eine relativ schmale Schicht von etwa zehn Prozent, die reich und reicher werden, unten die untersten 30 Prozent, die immer ärmer werden – und als neues Phänomen die Verarmungstendenz, die immer mehr die Mittelschicht zu erfassen beginnt.

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