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Duisburg — Beispiel ?

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Unter den praktischen Versuchen zur Lösung der sozialen Frage nimmt das Experiment der Kupferhütte von Duisburg ein besondere Stellung ein. Eine Broschüre („Ein neuer Weg“, von A. Heinz, Verlag Aloys Herrn, Ratingen), die nunmehr die neuen Wege, die dort versucht werden, im System zusammenfaßt, verdient daher allgemeine Beachtung.

Die 1876 als Aktiengesellschaft gegründete Kupferhütte beschäftigt rund 2700' Belegschaftsmitglieder. Ihr Bemühen um soziale Gerechtigkeit geht von dem Grundsatz aus, daß der Sinn jeder menschlichen Tätigkeit darin liegt, dem Menschen in geistiger und in materieller Hinsicht zu dienen, weil auch die Wirtschaft keine andere Aufgabe zu erfüllen hat. Die treibende Kraft aller Wirt- schaft ist in erster Linie das natürliche Erwerbsstreben des Menschen als Ausdruck seine Selbsterhaltungstriebes. Es ist daher selbstverständlich, daß für den Arbeiter der Lohn eine sehr wichtige Rolle spielt. Deshalb muß man in dem Bestreben, zum sozialen Frieden zu kommen, die freudige Mitarbeit des Arbeiters zu sichern und auch den besten wirtschaftlichen Effekt zu erzielen, bei der Lohnfrag beginnen. Nun gehen di Überlegungen des Duisburger Systems davon aus, daß jedes wirtschaftliche Unternehmen auf zwei Trägern beruht, auf Kapital und Arbeit, wobei das Kapital dem wirtschaftlichen Streben erst die erforderliche Grundlage gibt. Dies ist meines Erachtens ein Grundsatz, der mit den Bestrebungen, die in Österreich im Gange sind, nicht im Einklang steht, denn Kapital und Arbeit sind keineswegs gleichwertig. Die Arbeit erfließt aus der menschlichen Persönlichkeit, während das Kapital eine tote Angelegenheit ist, die so lange unproduktiv bleiben muß, als sie nicht durch die menschliche Arbeitskraft verändert wird. Werte schafft also nur die Arbeit, das Kapital ist bloß Mittel zum Zweck. Gewiß soll nicht verkannt werden, daß auch dem Faktor Kapital eine Bedeutung zukommt, seine Funktion ist aber wesentlich verschieden von der Funktion der Arbeit. Nach der Duisburger Auffassung wird zwar die Arbeit als gleichberechtigter Partner anerkannt, aber nicht mehr, während ihr doch der Vorrang gebührt. Von dieser wesentlichen Unterscheidung hängen alle weiteren Schlußfolgerungen ab.

Wie hat nun die Kupferhütte Duisburg praktisch die Lösung versucht? Sie gibt dem Arbeiter einen Anteil am Gewinn, beteiligt ihn ąlso am Ertrag des Betriebes und gewährt ihm auch ein gewisses Mitbestimmungsrecht. Zur Verwirklichung der Gewinnbeteiligung erhält der Arbeiter zunächst seinen Lohnabschlag in der Gestalt des laufend gezahlten Tariflohnes, der als Individual lohn bezeichnet wird. In gleicher Weise erhält das Kapital eine den allgemeinen Wirt- schaftsverhältnissen entsprechende Verzinsung. Nach Erfüllung der beiden Abschlagszahlungen an Kapital und Arbeit bleibt ein Rest, der als Gemeinschaftslohn Zu betrachten ist, als verteilbares Ergebnis. Davon steht beiden Partnern ein Anteil zu. Für das Ka-

1 Siehe Hansjörg Koch, „Im Ringen um ine neue Sozialordnung“, „Furche", 5. Jahrg. Nr. 14. — Michael Waldegg, „Um den gerechten Lohn“, „Furche", S. Jahrg., Nr. 16.

pital ergibt sich als Risikoprämie eine zusätzliche Verzinsung, der Gewinn, für die Arbeit ein zusätzlicher Lohnanteil, der als Ergebnislohn bezeichnet wird. Der Tariflohn, vermehrt um den Ergebnislohn, ist nun der eigentliche gerechte Lohn. Di praktische Durchführung erfolgt durch ein Punktesystem. Interessant ist die Auffassung, daß das System des gerechten Lohnes nicht als Gewinnbeteiligung aufzufassen ist. Das wäre der typische Ausdruck jener falschen Einstellung, die im Kapital den alleinigen Träger der Wirtschaft sah und infolgedessen ihm allein einen Anspruch auf das Ergebnis zubilligt. Die Arbeit hat also nur Anspruch auf Lohn. Daraus ergibt sich auch die meiner Meinung nach unrichtige Auffassung, daß der Gewinn nur aus dem Kapital erfließt, denn der Begriff der Gewinnchance setzt als Korrelat das Verlustrisiko voraus. Dieses soll und kann der Arbeiter nicht tragen. „Er soll nicht Miteigentümer, sondern Mitunternehmer sein.“ Darin zeigt sich auch der wesentlich Unterschied zwischen dem Weg der Kupferhütte Duisburg und unseren Bestrebungen in Österreich. Bei uns soll der Arbeiter Mitteilhaber sein, nicht nur am Ertrag des Unternehmens, sondern auch an der Substanz, während er ach dem Duisburger System nicht durch Miteigentum am Unternehmen, sondern durch den gerechten Lohn, der die Möglichkeit gibt, Ersparnisse zu machen, zu diesem Ergebnis kommen soll.

Der zweite Fragenkomplex, um den es sich hier handelt, ist durch den Begriff „Mitbestimmung“ gekennzeichnet. Dies wird bei der Hütte Duisburg folgendermaßen verwirklicht: An der Spitze des Werkes steht die Direktion, die sich aus den Abteilungsleitern zusammensetzt und die der Vorstand als primuš inter pares leitet. Auf Grund einer Vereinbarung hat der Betriebsrat als Betriebsratsabteilung die vollen Rechte und Pflichten einer Werksabteilung übernommen. Er bildet also so wie die übrigen Abteilungen einen Teil der Direktion. Diese Betriebsratsabteilung bildet gewissermaßen das Parlament, das nach parlamentarischen Grundsätzen über Ausschüsse arbeitet. Die Mitglieder der Direktion entscheiden mit an allen wirtschaftlichen, technischen und sozialen Fragen. Der Betriebsratsvorsitzende ist Direktionsmitglied mit allen Rechten und über ihn erhält daher die Belegschaft in vollendetster Form das Mitbestimmungsrecht. Der Verfasser nennt diesen Aufbau „betriebsdemokratisch im besten Sinne des Wortes“. Diese Auffassung muß zu schweren Bedenken Anlaß geben. Man muß sich fragen, was un diese Betriebsratsabteilung bearbeitet, denn es handelt sidi hier nicht um eine Fadi- abteilung wie bei allen übrigen. Es ist richtig, daß der Belegschaftsvertreter sich grundsätzlich in keiner schlechteren Lage befindet wie seine Direktionskollegen. Aber der Vertreter der Belegschaft von 2700 Menschen ist nur eine Person, die vielen anderen Abteilungsleitern gegenübersteht. Er kann also in allen Fragen überstimmt werden. Daß es bei einer vernünftigen Zusammenarbeit nicht da- zukommen wird, ist leicht gesagt. Wer gibt aber auch die Sicherheit, daß Beschlüsse nach den Grundsätzen der Vernunft und des größten Vorteils für das Werk, das heißt also auch für die Belegschaft, einstimmig gefaßt werden? E ist zwar erstaunlich, daß bisher Be schlüsse immer einstimmig gefaßt worden sind, aber wer gibt die Gewähr, daß es immer so bleibt? Durch die Verwirklichung des Mitbestimmungsrechtes in einer zweckmäßigen Form und das System des gerechten Lohnes wird aus dem Arbeitnehmer der Mitunternehmer, aus dem Proletarier die freie Persönlichkeit. Auch hier besteht der Unterschied zu unseren Bestrebungen in Österreich. Ist es wirklich möglich, jemanden zum Mitunternehmer zu machen, ohne ihm auch gleichzeitig in irgendeiner Form den Anteil an der Substanz zu gewährleisten? Es ist auch bei uns so, daß sich in allen Betrieben, wo Arbeitsgenosssenschaften bestehen, ein Wandel in der geänderten Haltung der Arbeiter zum Werk vollzogen hat. Ich glaube,

daß wir in Österreich die Frage gründlicher behandelt haben, als dies bei dem gegenständlichen Experiment der Fall ist.

Trotzdem bleibt der Versuch in Duisburg beachtenswert. Wir suchen und tasten, wir können nicht genug versuchen. Aus allen Möglichkeiten, die sich heute bereits in der Praxis anbahnen, wird letzten Endes jene zum Durchbruch kommen, di sich bewährt hat, die der Wirtschaft, aber vor allem dl e m Menschen dient, denn nur dann kann ein Experiment als gelungen bezeichnet werden. Würde es der Wirtschaft allein dienen, so wäre damit noch nicht gesagt, daß es dem Menschen, und zwar allen Menschen, dient. Denn erst wenn die Wirtschaft dem Menschen dient, hat sie ihren Zweck, erfüllt.

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