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Abfertigung seit 1921

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Unmittelbar zum Auftakt für den National-ratswahlkampf hat Sozialminister Gerhard Weißenberg die brisante Forderung nach Einführung der Abfertigung für Arbeiter neuerlich ins Gespräch gebracht. Nach einer langen Kette verschiedener Niederlagen schien die SPÖ damit erstmals wieder Tritt gefaßt zu haben. Dafür hinterließ die ÖVP den Eindruck einer überraschten Partei. Diesmal legt der Sozialminister für die FURCHE seinen Standpunkt klar. In der nächsten Nummer wird dies Zentralsekretär Hans Klingler als christlicher Gewerkschafter tun.

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Unmittelbar zum Auftakt für den National-ratswahlkampf hat Sozialminister Gerhard Weißenberg die brisante Forderung nach Einführung der Abfertigung für Arbeiter neuerlich ins Gespräch gebracht. Nach einer langen Kette verschiedener Niederlagen schien die SPÖ damit erstmals wieder Tritt gefaßt zu haben. Dafür hinterließ die ÖVP den Eindruck einer überraschten Partei. Diesmal legt der Sozialminister für die FURCHE seinen Standpunkt klar. In der nächsten Nummer wird dies Zentralsekretär Hans Klingler als christlicher Gewerkschafter tun.

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Nun sind plötzlich alle für die Arbeiterabfertigung; dem Grund nach; aber der Zeitpunkt wäre denkbar ungeeignet. Er war immer ungeeignet: Während der Ersten Republik, als die Arbeiter “die Angleichung an die Angestellten forderten, in der Wiederaufbauphase nach dem 2. Weltkrieg, als 1958 Sozialminister Proksch einen Entwurf aussendete, als 1966 die Sozialisten einen Initiativantrag im Parlament einbrachten, als ich 1976 vor meinem Amtsantritt ankündigte, mich mit ganzer Kraft dafür einzusetzen, als ich 1977 zur Erleichterung für die Kleinbetriebe einen Fonds vorschlug, als ich 1978 die baldige Aussendung eines Entwurfes ankündigte und 1979 da nun der Entwurf vorliegt.

Die Unternehmerorganisationen „wollten nicht einmal darüber reden“, denn „der Gesetzentwurf sei überflüssig und braucht daher gar nicht erst in Begutachtung gehen“ (Pressedienst der Bundeswirtschaftskammer vom 2. 9. 1977 und 17. 10. 1978). Wer an meiner Entschlossenheit zweifelte, konnte nochmals in der Parlamentarischen Fragestunde am 19. 10. 1978 hören, „daß ich mich bemühen werde, eine Realisierung dieses Vorhabens nach Möglichkeit noch in dieser Legislaturperiode herbeizuführen“.

Nach meinem Konzept, an dem seit meinem Amtsantritt im Sozialministerium unter Mitwirkung der Kodifikationskommission gearbeitet wird, sollte die Arbeiterabfertigung im Rahmen eines Teilstückes der Kodifikation des Arbeitsrechtes, in dem alle arbeitsrechtlichen Normen über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zusammengefaßt werden, enthalten sein.

Die aus guten Gründen erfolgte Vorverlegung der Nationalratswahlen verhinderte die rechtzeitige Verabschiedung dieses Konzeptes; das Herausgreifen der Arbeiterabfertigung ist die Einlösung eines Versprechens. Ein Wahlzuckerl? Doch nur dann, wenn man die Einlösung von Versprechen so ansehen will.

Warum erst nach neunjähriger sozialistischer Regierung? Weil in diesen Jahren neben der Schaffung von 400.000 Arbeitsplätzen das Urlaubsrecht verbessert wurde (1977: vier

Wochen Urlaub), 1974 die Entgeltfortzahlung und 1975 die 40-Stun-den-Woche eingeführt wurde und nach der Angleichung der Arbeiter an die Angestellten im Urlaubsrecht und bei der Entgeltfortzahlung nun als letzter großer Schritt die Abfertigung drankommen sollte.

Wer ständig schreit, daß der böse Wolf kommt, den nimmt man nicht mehr ernst. Eine Wirtschaft, die vor der Einführung sozialpolitischer Neuerungen ständig den Weltuntergang beschwört, braucht sich nicht zu wundern, daß es bei ihr wie mit dem „bösen Wolf ist. Wie sollte man auch die Belastungsberechnungen der Bundeswirtschaftskammer seriös nennen, wenn sie einmal (1977) von 10 Milliarden und ein anderes Mal (1978), von 3 Milliarden spricht? Solche Toleranzen können sicherlich nicht bei Berechnungen, sondern nur bei Zahlenspielen eintreten.

Wie gesagt, jetzt sind aber alle dafür, nur sind sie halt doch wieder wegen der Belastungen dagegen.

Die Angestelltenabfertigung beträgt nach dreijähriger ununterbrochener Betriebszugehörigkeit zwei Monatsbezüge und erhöht sich nach fünf Dienstjahren auf das Dreifache, nach zehn Dienstjahren auf das Vierfache, nach 15 Dienstjahren auf das Sechsfache, nach 20 Dienstjahren auf das Neunfache und nach 25 Dienstjahren auf das Zwölffache des Monatsbezuges. Sie gebührt nur, wenn der Arbeitgeber kündigt oder unbegründet entläßt, bzw. der Angestellte begründet vorzeitig austritt.

Durch eine Novelle 1971 zum Angestelltengesetz wurde der Abfertigungsanspruch auch dem Angestellten zugebilligt, der mit Erreichung des Pensionsalters selbst kündigt. Dieser Anspruch soll nun auf besondere Initiative des Vorsitzenden der Privatangestelltengewerkschaft Dal-linger auf die Erreichung der „Frühpension“ ausgedehnt werden.

Die Arbeiterabfertigung soll nun in halbjährigen Etappen zu je 15 Prozent des Angestelltenanspruches ab 1. 7. 1979 anwachsen, die 7. Etappe und damit der volle Anspruch wird am 1. 7. 1982 erreicht sein.

Die Angestelltenabfertigung

wurde (soweit nicht bereits auf

Grund des Handlungsgehilfengesetzes schon früher ein Abfertigungsanspruch bestand) im vollen Umfang -mit einem Schlag - am 1. 7. 1921 eingeführt. 1921 war noch mitten in den harten Nachkriegsjahren.

Die Arbeiterabfertigung wird ab 1979 in Etappen aufgebaut, wo es der Wirtschaft unvergleichlich besser geht, wo die Wirtschaft es seit über 57 Jahren gelernt hat, mit der Angestelltenabfertigung zu leben, wo die Wirtschaft für den Aufbau von Abfertigungsrücklagen (wenn auch seit 1978 reduziert) steuerliche Begünstigungen erhält, wo die Wirtschaft auf Grund kollektiwertraglicher Regelungen bereits in vielen Fällen für Arbeiter Abfertigungen bezahlt und vor allem viele Betriebe Arbeiter dem Angestelltengesetz schon längst unterstellt haben.

1975 veröffentlichte die Bundes-wirtschaftskammer eine Studie „Die Arbeitskosten in der österreichischen Industrie“. Die Kosten für die Angestelltenabfertigungen betrugen 1,6 Prozent, die für Arbeiter 0,4 Prozent. Für 1978 wurde die Abfertigung für Arbeiter bereits mit 1,5 Prozent angesetzt. Seit 1975 hat sich die Bundeswirtschaftskammer also darauf vorbereitet, daß die Arbeiterabfertigung 1978 voll wirksam sein wird. Sie wird erst am 1. 7.1979 starten - wirklich zur unrichtigen Zeit?

Wie lange noch sollten die österreichischen Arbeiter warten, daß auch ihre Leistungen für die österreichische Wirtschaft voll anerkannt werden?

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