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Die große Lizitation

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Am 20. September endet die Begutachtungsfrist für die Novelle zum Angestelltengesetz, die Angestellten bei Selbstkündigung nach Erreichung des Pensionsalters und weiblichen Angestellten bei Geburt eines Kindes oder Heirat, wenn sie aus dem Dienstverhältnis ausscheiden, eine Abfertigung in Aussicht stellt. Der Gesetzentwurf soll gleich zu Beginn der Herbstarbeit im Nationalrat behandelt werden.

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Am 20. September endet die Begutachtungsfrist für die Novelle zum Angestelltengesetz, die Angestellten bei Selbstkündigung nach Erreichung des Pensionsalters und weiblichen Angestellten bei Geburt eines Kindes oder Heirat, wenn sie aus dem Dienstverhältnis ausscheiden, eine Abfertigung in Aussicht stellt. Der Gesetzentwurf soll gleich zu Beginn der Herbstarbeit im Nationalrat behandelt werden.

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Der von Justizminister Broda versandte Entwurf ist eine Novellierung zum Angestelltengesetz 1921. Indem ein begünstigter Abfertigungsanspruch für jenen Dienstnehmer geschaffen werden soll, der mit dem Pensionsalter selbst kündigt, versucht die Angestelltengesetznovelle eine mögliche Lücke, den Realitäten angepaßt, zu schließen.

Mit der Regelung aber (die von der Regierungspropaganda besonders unterstrichen wird) sollte freilich vorsichtig umgegangen werden: Die zweite „Verbesserung“ sieht nämlich vor, daß weibliche Angestellte eine Abfertigung auch dann erhalten, wenn sie anläßlich der Geburt eines Kindes oder der Heirat aus dem Dienstverhältnis ausscheiden. Die Bresche, die von Minister Doktor Broda in dieser Frage geschlagen wurde, ist sofort von der ÖVP zum Nachstoßen benützt worden: Der VP-Politiker Dr. Kohlmaier beteuerte sofort nach Bekanntwerden der sozialistischen Initiative, daß „die Verbesserung des Abfertigungsrechtes ein alter Herzenswunsch des ÖAAB sei“. Er dokumentierte damit, daß sich die Volkspartei auf dem Gebiet der Sozialpolitik nicht überholen lassen will.

Damit sind aber die beiden großen politischen Parteien bei jenem Punkt angelangt, bei dem sie schon vor wenigen Monaten in der Diskussion um die Steuerbefreiung von Uberstundenzuschlägen gestanden waren, nämlich beim Lizitieren. Die Abfertigung geht nämlich auf die wirtschaftlich schwierige Nachkriegszeit des Jahres 1921 zurück und war als Sonderzuwendung für Angestellte bei Verlust des Arbeitsplatzes gedacht, als Überbrückungshilfe für die Arbeitslosigkeit also. Zudem stellt sich die Frage, warum im Fall der Abfertigung nach Eheschließung oder Geburt nur der Dienstgeber zahlen muß — ist doch die Familienpolitik Anliegen und Aufgabe der Allgemeinheit. Ganz unbeachtet scheinen die politischen Gunstwerber den Umstand zu lassen, daß durch eine jährliche Besserstellung von rund 6700 Österreicherinnen — so viele sind nämlich auf Grund statistischer Erfahrungswerte betroffen — alle anderen Frauen einer neuen Diskriminierung unterstellt werden. Jeder Dienstgeber wird verständlicherweise weibliche Angestellte lieber nur dann in ein Dienstverhältnis nehmen, wenn diese schon verheiratet sind und die Geburt eines Kindes nicht mehr zu erwarten ist. Frauen über 40 haben dann jene Chancen, die man den jungen normalerweise gerne einräumt. Eine Überalterung des weiblichen Angestell-tenstaibes wäre die unweigerliche Folge.

Ob sich das letztlich auszahlt, werden die Parlamentarier entscheiden. Sie entscheiden aber auch, ob die österreichische Wirtschaft künftighin jährlich 1,2 Milliarden Schilling mehr zu zahlen hat.

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