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Auftakt zur Sozialoffensive

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Eine Reihe wichtiger sozialpolitischer Fragen wird der neue Nationalrat aus der Erbmasse des alten Parlamentes übernehmen müssen, wobei die Sozialpolitik der neuen Legislaturperiode nach dem Kurs gesteuert werden wird, der im September 1965 auf dem 10. Bundestag des ÖAAB in Krems festgelegt wurde. Die „Soziaioffenaive“ — eine eher unschöne Wortneubildung —, die spätestens in der Nacht vom 6. auf den 7. März aus den Panzerschrän- ken der Offensivstrategen geholt wurde, hat als Ziel die endliche Lösung einer Reihe von Fragen, die durch die Blockade der Koalition auf die von Tag zu Tag länger werdende berühmte Bank geschoben wurden. Mit entscheidenden Vorarbeiten zur Verabschiedung dieser Gesetzeswerke wurde zum Teil schon vor Jahren im Wiener Institut für Sozialpolitik und Sozialreform unter der Leitung von Dr. Karl Kummer begonnen.

Wer darf Angestellter sein?

Wie richtig und richtungsweisend diese Vorarbeiten waren, beweist der kürzlich von der OECD fertiggestellte Bericht zur Situation auf dem österreichischen Arbeitsmarkt, der zu ähnlichen Ergebnissen gekommen ist wie die Fachleute im „Kummer-Institut“. Ein im Institut ausgearbeiteter Gesetzentwurf über die Neuordnung der Arbeitsmarktverwaltung, der auch weitgehend die Forderungen des OECD-Reports berücksichtigt, wurde in der vergangenen Gesetzgebungsperiode im Parlament eingebracht, wurde ein Opfer der Krise und wird dem neuen Nationalrat nochmals vorgelegt werden.

Der „Stehkragenproletarier“ von einst ist heute längst ein selbstbewußter „white collar man“ geworden, der mit der Aktentasche — heute ein Statussymbol — ins Büro geht, in ein Büro, das oft schon so stark mechanisiert ist, daß die Arbeit weniger selbständig ist als etwa die eines Facharbeiters, dem Millionenwerte anvertraut sind, der oft auch Dispositionsbefugnis besitzt. Das „Unter-einen-Hut-Bringen“ sämtlicher Arbeiter und Angestellten, wie es der erste Teil des vom Sozialministerium ausgearbeiteten Ge setzentwurfs zur Kodifikation des Arbeitsrechtes vorsieht, wird von den Experten um Dr. Kummer als ungenügend angesehen. Ein von ihnen ausgearbeiteter Entwurf ist ein Versuch, dieses Problem im Weg eines Bewertungssystems nach Punkten zu lösen.

Die Eigentumspolitik soll durch ein Gesetz über Vermögensbildung der Arbeiter und Angestellten im Betrieb gefördert werden. Ein Gesetzentwurf, ähnlich dem 312-DM- Gesetz in Deutschland, das bereits starke Anwendung gefunden hat, liegt bereits vor.

Weitere Initiativen

Ein Berufsausbildungsgesetz ist derzeit Gegenstand von Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern. Der in Kürze fertiggestellte Gesetzentwurf wird eine Ausbildung anerkennen, die auch außerhalb der bisher in der Gewerbeordnung festgelegten erfolgen kann, schließlich auch einen Katalog der Lehrberufe bringen.

Weitere Initiativen gelten der seit einiger Zeit zum Stillstand gekommenen Familienpolitik, der Sozialgerichtsbarkeit, die derzeit in einem stark kritisierten Gesetzentwurf des Justizministeriums niedergelegt ist, den Studienbeihilfen, deren Anwendung reformbedürftig ist, und der Dienstpragmatik der Staatsbeamten. Diese vor allem — aus dem Jahre 1914 stammend — hat sich schon längst als reformbedürftig erwiesen, vor allem, was die Versetzung und Qualifizierung von Beamten betrifft. Auch das Disziplinarrecht bedarf einer Neuordnung, das Personalvertretungsgesetz — eine alte Forderung — gehörte längst verabschiedet. Wenigstens zur Diskussion gestellt soll die Schaffung einer Beamtenkammer werden.

Der amtliche Stimmzettel und die Vereinfachung des Wahlverfahrens bei den Arbeiterkammerwahlen sind durch eine Novellierung des Arbeiterkammergesetzes zu erreichen, während ein weiterer Punkt, der bei der Sozialoffensive unter Feuer genommen wird, das Urlaubsrecht ist, das in Österreich derzeit keineswegs einheitlich geregelt ist. Vor allem die Saisonarbeiter sollen mit einer ähn lichen Regelung wie dem Bauarbei- terurlaubsgesetz bedacht werden.

Die mögliche Vermögensbildung im Betrieb wird dadurch erschwert, daß es im Augenblick noch nicht möglich ist, den Abschluß von Betriebsvereinbarungen auf eine rechtlich einwandfreie Basis zu stellen.

Gedruckte Kollektivverträge

Wer ein Exemplar seines Kollektivvertrages haben will, macht sich beim Arbeitgeber nicht selten verdächtig. Offiziell aber wird der Inhalt von Kollektivverträgen nirgends publiziert, und die gedruckten Exemplare, die gelegentlich — von besonders aktiven Gewerkschaften — an ihre Mitglieder ausgegeben werden, sind nach Ansicht des Instituts für Sozialpolitik und Sozialreform vom verfassungsrechtlichen Standpunkt her anzuzweifeln.

Eine notwendige Novellierung des Betriebsrätegesetzes fehlt unter den Initiativen ebensowenig wie eine Novelle zum Jugendschutzgesetz, die durch das 9. Schuljahr notwendig geworden ist: Da die Arbeit von Jugendlichen nur bis zum 14. Lebensjahr verboten ist, könnte es durchaus vorkommen, daß ein Schüler, der eben die letzte Pflichtschulklasse absolviert, nachmittags etwa als Hilfsarbeiter oder Tankwart vom Wirtschaftswunder nascht…

Schließlich fordert Abg. Dr. Kummer auch ausreichende Maßnahmen zur Beseitigung von Gefahren für das Leben und die Gesundheit der Menschen, eine Forderung, die angesichts der steigenden Wasserverschmutzung und Luftverpestung, der Lärmschäden und des Arzneimittelmißbrauchs als durchaus einleuchtend scheint. Kompetenzkonflikte haben sich da freilich schon ergeben, die Kompetenzen wären also genau abzugrenzen und in einer Hand zu vereinigen. Ob das die Hand eines künftigen Gesundheitsmini- sters sein könnte?

Ein Katalog ungelöster sozialer Fragen: Ebensowenig aber wie die ebenfalls ausständigen Wirtschaftsgesetze Thema der Parteipolitik, denn die endliche Verabschiedung dieser Gesetze liegt im Interesse aller Arbeitnehmer, ohne „Farbunterschied“.

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