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Digital In Arbeit

Die erste Soziale Woche

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Die vom katholischen Sozialwerk in Wien veranstaltete erste Soziale Woche war ein Wagnis. Vielleicht sieht man das besser jetzt, nach Beendigung der Tagung. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß die einstige große Anteilnahme der österreichischen Katholiken an der wissenschaftlichen Diskussion sozialer Fragen, Jahrzehnte genährt von -den Impulsen christlichsozialer Bewegung, fast wie verschwunden ist, das Interesse ist heute vorwiegend anderen Sachgebieten zugewendet. Das zeigte sich in dem äußeren Bild der öffentlichen, im Landhaussaal stattgefundenen Vortragsveranstaltungen. In diesen fehlten Besucherkategorien, die ein der tatsächlichen Verhältnisse Unkundiger erwarten durfte, fast zur Gänze. Es ist notwendig, das festzustellen und alle billigen Illusionen zu vermeiden. Wir wissen, daß wir nun von vorne beginnen müssen, daß der österreichische Sozialkatholizismus am Anfang der zweiten Phase seiner Entwicklung steht. Was vor allem so gut wie fehlte, war die akademische Jugend. (Die Arbeiterjugend war vertreten!) So war bei den öffentlichen Vorträgen eine große Hochschülerorganisalion durch einen Vertreter repräsentiert, andere Hochschulgruppen waren überhaupt nicht vertreten. Was da war, waren im Wesen Relikte jener Massen, die bei der Sozialen Woche 1935 den großen Saal des Landhauses füllten. Dies die kritischen Feststellungen, die wir im Interesse einer wahrheitsgemäßen und nutzenbringnnden Information zu machen schuldig sind.

Das Schwergewicht der Tagung lag offensichtlich auf der Erarbeitung der Probleme im kleinen Kreis. Hier erwuchs der positive Ertrag der Woche. Sämtliche vier Arbeitskreise wiesen einen guten Besuch auf und schlössen, nach erregenden, von allen Teilnehmern geführten Wechselreden mit interessanten Ergebnissen. Das Ergebnis der Beratungen der Arbeitskreise sei hier skizziert.

Der erste Arbeitskreis (Univ.-Prof. Dr. Degenfeld) hatte sich der Behandlung der Frage des Rechtes auf Arbeit und dem Problem Vollbeschäftigung verschrieben. Einleitend befaßte sich der Arbeitskreis (nach einem Referat von Dr. R i 11 i n-g e r) mit der

Arbeitslosigkeit der Jugendlichen, die relativ erheblich größer ist als die der Erwachsenen. Als entsdieidende Ursache für dieses Faktum wurde der Umstand genannt, daß derzeit infolge der erhöhten Entlohnung der Ertrag der Arbeit der Jugendlichen vom Rentabilitätsstandpunkt aus für die Unternehmer zu ) niedrig ist. An Abhilfemaßnahmen wurden vorgeschlagen:

1. Förderung aller Bestrebungen, welche für den Unternehmer einen Anreiz bilden, Jugendliche einzustellen“.

2. Werbung für die landwirtschaftliche Arbeit, in der es bereits die Institution eines Ausbildungsverhältnisses gibt.

3. Errichtung von Werkschulen. In diesen Schulen sollen die Lehrlinge halbtags einen berufsausbildenden Unterricht erhalten. Den Rest des Tages sind die Jugendlichen in einem Betrieb beruflich tätig. Das Entgelt aus der Berufsarbeit wird zum Teil dazu verwendet, die Schulkosten (einschließlich Verpflegung) zu decken.

Am zweiten Tage wandte die Arbeitsgemeinschaft im Zusammenhang mit einem Vortrag von Univ.-Prof. Doktor Tautscher, Graz, ihr Interesse der Frage der Vollbeschäftigung zu. Der Berichterstatter schlug die Erweiterung der aktiven Budgetpolitik und damit die Führung einer aktiven Konjunkturpolitik vor, und zwar etwa derart, daß der Staat in guten Jahren hortet, um dafür in schlechten Jahren eine verstärkte Ausgabenpolitik zu betreiben. Der Präsident der Nationalbank, Doktor R i z z i, gab seinen Bedenken gegen eine Konjunkturpolitik im Sinne des Vorschlages Ausdruck und hob die Bedeutung einer konjunkturlenkenden Kreditpolitik hervor.

Der dritte Arbeitstag befaßte sich mit dem Recht auf Arbeit, wobei festgestellt wurde, daß Staat und Gesellschaft die Pflicht hätten, alles zu unternehmen, um die Vollbeschäftigung zu sichern.

Der zweite Arbeitskreis (o.-ö. Prof. Dr. Heinrich, Hochschule für Welthandel) besann sich der

Aufgaben der betrieblichen Sozialpolitik.

Der insbesondere von Vertretern der Privatwirtschaft (Dienstnehmern und

Dienstgebern) stark besuchte Arbeitskreis faßte abschließend seine Meinung dahingehend zusammen, daß die Wirtschaffsordnung zu ihrem Schaden entper-sönlidit worden sei und ein vergemein-schaftetes Betriebsleben zu bestehen aufgehört habe. Die Arbeit sei nunmehr vereinseitigt und entseelt. Die Arbeitsbedingungen als Reflex der Umv/eltersdieinungen führten zur Vermassung.

Der Arbeitskreis forderte:

In den Mittelpunkt des Betriebes ist wieder der Mensch zu stellen. Daher:

1. Schaffung kleinerer Gemeinschaften auch innerhalb des Betriebes, wie Arbeits-kameradsdiaften, Werkstattgruppen und ähnliches.

2. Dezentralisierung der Industrie.

3. Die Sozialpolitik ist aus den zen-tralistischen Massenbetreuungsanstalten teilweise auszugliedern und in die Betriebe rückzuvedegen.

4. Schaffung von Betriebsausschüssen (neben den Betriebsräten), deren Aufgabe es wäre, die Beziehung der Arbeiter zum Betrieb zu verstärken.

Abschließend gab der Arbeitskreis die Anregung, Möglichkeiten zu schaffen, damit er seine Arbeit über die Soziale Woche hinaus fortsetzen und auf diese Weise zu praktisch verwertbaren Resultaten im Rahmen der Vertiefung der Einsichten kommen könne.

Mit der aktuellen und heiß umstrittenen Frage der

Arbeitsgenossenschaften beschäftigte sich der dritte Arbeitskreis (Dr. Kummer, Arbeiterkammer). Nach einer theoretischen Darstellung des Ge-r.ossenschaftsproblems berichteten Praktiker von den positiven Erfahrungen bei ihrer Tätigkeit in den Arbeitsgenossenschaften. Der Arbeitskreis war der Ansicht, daß die Institution der Arbeitsgenossenschaft einen Weg darstelle, auf dem die Unselbständigen zu Produktiveigentum und zu wirtschaftlicher Mitbestimmung kommen könnten. Vorsorglich wurde festgestellt, daß der Genossenschaftsgedanke keineswegs die private Initiative aufheben, sondern im Gegenteil auf einen größeren Personenkreis ausweiten solle. Gleichzeitig wurde nachdrücklich auf den Umstand hingewiesen, daß der Effekt der Leistung der Arbeiter, seit sie eine Art Unternehmerfunktion innehaben, relativ erheblich gestiegen sei. — Trotz der optimistischen Prognosen war sich der Arbeitskreis voll dje r vor allem psychologischen Schwierigkeiten bewußt, die der Durchsetzung des Gedankens der Arbeitsgenossenschaften noch entgegenstehen. Eine andere, nicht unbeträchtliche Schwierigkeit wurde in der Tatsache gesehen, daß die für Kreditgewährungen üblichen bankmäßigen Sicherungen nicht verfügbar sind. Hier stellte sich der

Arbeitskreis auf den Standpunkt, daß die starke Bindung des Arbeitnehmers an „seinen“ Betrieb in einem gewissen Umfang wenn schon keine Kreditsicherung, so doch eine K r e d i t garanlie darstelle. Ebenso wie vom zweiten Arbeitskreis wurde audi hier abschließend das Sozialwerk gebeten, die Voraussetzungen zu, schaffen, damit die Diskussion über die so wichtige Frage der Arbeitsgenossenschaften fortgesetzt werden könne.

Der vierte Arbeitskreis (Zentraldirektor K a m s c h a 1, Steiermark) hatte die Frage der

Arbeitersiedlung zum Gegenstand seiner Beratungen gemacht. Vom Arbeitskreis wurde unter anderem angeregt:

1. Förderung insbesondere der Eigentumssiedlung (von der Kleinstwohnung bi zum mehrgeschossigen Bau auf Basis dei Wohnungseigentums).

2. Errichtung diözesaner Siedlungswerke, um konkrete Siedlungsvorhaben auch von katholischer Seite durchzuführen.

3. Finanzielle Unterstützung der Siedlungsbauten durch öffentliche Kredite, durch Notopfer und durdi Widmung von über-stundenerlösen der Arbeiter für die Siedlungsvorhaben von Werksangehörigen.

4. Von den Finanzbehörden wird verlangt, daß sie die Aufwendungen für Siedlungsbauten steuerfrei stellen. Abschließend erwog der Arbeitskreis Maßnahmen zur Beseitigung der juristisdi-technisdien Behinderung, welche der Durchführung von Siedlungsprojekten oft in den Weg gelegt werden.

Wenn wir die Ergebnisse der Beratungen der Arbeitskreise zusammenfassen, können wir die erfreuliche Feststellung machen, daß die anwesenden Vertreter des österreichischen Sozialkatholizismus sich auf den Standpunkt stellten, daß nicht allgemeine Meditationen, sondern der unmittelbare Bezug der Ideen auf die sozialökonomischen Fakten die Aufgabe der Stunde sei, nicht Erwägungen über Fernziele, sondern konkrete Bewältigung der Nahaufgaben. Hier deutet sidr ein erfreulicher Strukturwandel der katholischen sozialreforma-torischen Bestrebungen an, der Ertrag dieser Sozialwoche.

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