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Das unbekannte Vaterland

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In aller Stille arbeitet seit einigen Jahren der Arbeitskreis für österreichische Geschichte, eine für Österreich durchaus neuartige Organisation, die sich von anderen kulturellen Vereinigungen weitgehend unterscheidet.

Der Arbeitskreis entstand aus dem schon lange vorhandenen Notstand der österreichischen Geschichte. Professor Scheidl stellte seinerzeit als Jugendbildner fest, daß die grundlegenden historischen Kenntnisse fehlten, um den österreichischen Staatsgedanken verstehen zu können. Einerseits wirkte die deutschnationale Betrachtungsweise, die ja schon seit einem Jahrhundert herrschte, anderseits bestand eine starke Neigung, den Europagedanken übermäßig zu betonen, so daß das eigene Vaterland zu kurz kam. Es ergab sich also die Notwendigkeit, zunächst der Lehrerschaft das nötige Rüstzeug zu geben, aber auch an die Jugend selbst heranzukommen. 1955 fanden Vorbesprechungen und die ersten Historikertagungen im Beisein des Unterrichtsministers statt, 1956 begann sich das Bundesministerium für Unterricht für das Projekt zu interessieren. Durch die Heranziehung von Fachleuten entstand zunächst ein locker gefügter Kreis. Die Gründung des Vereines selbst konnte erst Ende 1957 vorgenommen werden, die ersten Wahlen fanden 1958 statt. Wie schon angedeutet, sahen sich die Gründer des Arbeitskreises der Tatsache gegenüber, daß, abgesehen von wenigen, zumeist ziemlich unbekannten Werken, die Geschichte unseres Vaterlandes kaum jemals von unserem eigenen Standpunkt aus behandelt worden war. Die österreichische Jugend wußte nach sieben Jahren der Fremdherrschaft so gut wie nichts über das Land, das sie als Vaterland und Heimat gestalten und nötigenfalls verteidigen sollte. Selbst Tatsachen, wie etwa, daß die Erfinder der Schiffsschraube, der Nähmaschine und der Schreibmaschine Österreicher waren, waren und sind vielfach selbst noch heute jüngeren Leuten unbekannt — von der eigentlich politischen und der Kulturgeschichte ganz zu schweigen. Während etwa Engländer oder Franzosen ganz allgemein ein vielleicht hier und da ideologisch verzerrtes, aber deutliches und wirksames Geschichtsbild haben, mußte ein solches in Österreich erst geschaffen werden. Diese Aufgabe übernahm der Arbeitskreis. Möglichst weite Kreise sollen mit der Geschichte des Vaterlandes bekanntgemacht werden, die Leistungen Österreichs und der Österreicher im eigenen Land und vor der Welt sollen soweit wie möglich Eigentum aller werden.

Zur Erreichung dieses Zieles begnügte man sich nicht, nur einen Weg zu beschreiten. Vielmehr wird schon bei der schulpflichtigen Jugend begonnen mit den bunten Heften der Reihe „Frische Saat“. Hier werden in wissenschaftlich zuverlässiger, aber novel- listisch-jugendtümlicher Art einzelne Episoden der österreichischen Geschichte geschildert.

Andere vom Arbeitskreis unternommene Werke wenden sich an die gebildeten Erwachsenen. Die Reihe „Österreich-Archiv“ bringt gehaltvolle, aber knappe Spezialarbeiten, so die Arbeit Prof. Fichtenaus über das Privilegium minus von 1156, die klärenden Ausführungen Prof. Lhot- skys über das Privilegium maius, die verdienstvolle Darstellung Hans Sturmbergers über Ferdinand II., die legendenzerstörende „Zensur im Vormärz“ von Julius Marx und — geistesgeschichtlich besonders interessant — Anna Coreths Untersuchung „Pietas Austriaca“.

Dazu kommen zwei ebenfalls schon lange fällige knappe Darstellungen des österreichisch-ungarischen Anteils am ersten Weltkrieg von General Kiszling und über die Kultur des Barocks in Österreich von Therese Schüssel. Eine weitere Schriftenreihe, die besonders Hochschülern eine rasche Orientierung über Tatsachen und Tendenzen der österreichischen Geschichte ermöglichen soll, wird von Prof. Lhotsky vorbereitet. Das schon erwähnte Vereinsorgan „Österreich in Geschichte und Literatur“ bringt außer zahlreichen interessanten Einzeldarstellungen auch Buchbesprechungen und eine Kulturchronik.

Der Arbeitskreis begnügt sich aber nicht mit der Verbreitung seiner Absichten durch den Druck. Er legte von jeher Wert auf eine intensive Vortragstätigkeit auf größeren Historikertagen, wie 1958 und 1959 in Sankt Wolfgang, wo unter anderem über die Erste Republik referiert wurde, aber auch auf kleineren Veranstaltungen. Das Interesse für die Arbeit des Verbandes ist beständig im Wachsen und ist gerade in dem jüngsten der österreichischen Bundesländer, dem Burgenland, so stark, daß Vortragsabende in den Bezirken veranstaltet werden konnten. Aber auch mit dem Ausland, mit deutschen und schweizerischen Historikervereinigungen, wurde Fühlung genommen, um in diesen Ländern verbreitete Irrtümer und Zweifel auf dem Gebiet der österreichischen Geschichte bekämpfen zu können.

Die Gründung eines Seminars für Zeitgeschichte, die einem dringenden, auch von der Unterrichtsverwaltung anerkannten Bedürfnis entgegenkommt, gelang erst vor kurzem.

Alle diese Unternehmungen des Arbeitskreises haben vor allem die Stärkung des österreichischen Staatsbewußtseins und den Dienst an der echten historischen Wahrheit zum Ziel. Er vertritt daher nicht einseitig eine bestimmte Methode oder Ideologie und bemüht sich immer, Fachleute verschiedener Richtungen und Weltanschauungen zur Mitarbeit heranzuziehen. Der Europagedanke wird freudig bejaht, aber Österreich steht im Mittelpunkt der Verbandsarbeit, die sich durch Patriotismus ebenso wie durch Sachlichkeit auszeichnet.

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