6876446-1978_45_07.jpg
Digital In Arbeit

Mitbestimmung: Auch mit einfacher Mehrheit

19451960198020002020

Mit 315.106 Mitgliedern (Ende 1977) ist die Gewerkschaft der Privatangestellten mit Abstand die stärkste Teilgewerkschaft in Österreich. Von 12. bis 16. November halten die Privatangestellten im Wiener Konzerthaus ihren 9. Gewerkschaftstag ab. Aus diesem Anlaß führte Alfred Grinschgl mit dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der Privatangestellten, Alfred Dallinger (SPÖ), und mit Privatangestellten-Zentralsekretär Hans Klingler (FCG) die folgenden Gespräche)

19451960198020002020

Mit 315.106 Mitgliedern (Ende 1977) ist die Gewerkschaft der Privatangestellten mit Abstand die stärkste Teilgewerkschaft in Österreich. Von 12. bis 16. November halten die Privatangestellten im Wiener Konzerthaus ihren 9. Gewerkschaftstag ab. Aus diesem Anlaß führte Alfred Grinschgl mit dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der Privatangestellten, Alfred Dallinger (SPÖ), und mit Privatangestellten-Zentralsekretär Hans Klingler (FCG) die folgenden Gespräche)

Werbung
Werbung
Werbung

FURCHE: Sie schließen einen Mehrheitsbeschluß im Parlament also nicht aus?

DALLINGER: Nein.

FURCHE: Im Gegensatz zu den meisten anderen Gewerkschaften ist die der Privatangestellten sehr heterogen. Was hält die 315.000 Mitglieder Ihrer Gewerkschaft zusammen? Was sind ihre gemeinsamen Merkmale?

DALLINGER: Zunächst ist hier die rein funktionale Stellung im Be-

trieb zu nennen. Dann die Tatsache, daß die Angestellten auf wirtschaftlichem und sozialpolitischem Gebiet sehr viele gemeinsame Interessen haben. Schließlich die Frage der Beruflichen Aus- und Weiterbildung sowie insbesondere die starke Bezo-genheit der Angestellten auf den Betrieb und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten des beruflichen Aufstiegs. Das Mobilitätsprinzip ist bei uns in den Hintergrund getreten gegenüber dem Senioritätsprinzip.

FURCHE: Müßten Sie im Sinne der sozialistischen Gleichheitsidee nicht eine totale Angleichung der Arbeiter an die Angestellten befürworten?

DALLINGER: Wir sind für die gleichen sozialen Grundrechte, glauben aber nicht, daß das bedeuten kann, daß die Angestellten zum Stillstand verurteilt sind. Die Forcierung der Anpassung darf wirklich nicht zum Stillstand für die Angestellten führen.

FURCHE: Das Industriegruppenprinzip würde Ihre Gewerkschaft schwächen. Ist dieser Kampf bereits ausgestanden?

DALLINGER: Wir lehnen das Industriegruppenprinzip ab. Die Entwicklung der letzten 33 Jahre gibt

uns recht. Auch die Politik, die wir betrieben haben, und das Faktum, daß die Angestelltengewerkschaft zur größten Gewerkschaft geworden ist, bestärkt uns in unserer Auffassung. Und schließlich wünschen es unsere Mitglieder, die Betroffenen also, auch nicht. Eine starke Tendenz zum Industriegruppenprinzip gab es vor drei oder vier Jahren im ÖGB. Jetzt ist das kaum mehr bemerkbar.

FURCHE: Sie werden immer wieder als möglicher Nachfolger von ÖGB-Präsident Anton Benya genannt. Was sagen Sie dazu?

DALLINGER: Ich glaube, das ist an sich nicht aktuell. Benya hat zu erkennen gegeben, daß er nächstes Jahr auf dem Bundeskongreß wieder kandidieren wird. Für die nächsten fünf Jahre gibt es da keine Diskussion ... Von den Möglichkeiten und Fähigkeiten hergesehen,' halte ich mich genauso geeignet wie viele andere, die genauso in Frage kommen.

FURCHE: Die Gewerkschaft der Privatangestellten ist mit 315.000 Mitgliedern die größte Teilgewerkschaft. Es gibt eine Tendenz, durch eine Vereinheitlichung des Arbeitnehmerbegriffes, die Unterschiede zwischen Angestellten und Arbeitern zu beseitigen. Hat der Angestellte Zukunft?

KLINGLER: Ich glaube, daß die Zukunft der Angestellten schwieriger werden wird als es die Vergangenheit war. Wenn die Angestellten eine entsprechende gesellschaftliche Position auch in Zukunft haben wollen, brauchen sie eine starke Interessenvertretung. Prinzipiell haben die Angestellten schon deshalb Zukunft, weil ihre Funktion auch in der modernen Wirtschaft nicht wegzudenken ist.

FURCHE: Die Fraktion Christlicher Gewerkschafter bei den Privatangestellten ist der Meinung, das In-

dustriegruppenprinzip brächte nur Nachteile. Warum?

KLINGLER: Wir sind gegen das Industriegruppenprinzip: Weil wir eine starke Interessenvertretung der Angestellten für unabdingbar halten. Das Industriegruppenprinzip wäre auch für den ÖGB sicher nicht von Vorteil, weil die Beispiele im Ausland zeigen, daß nur dort die Organisationsdichte bei den Angestellten relativ gut ist, wo nicht nach dem Industriegruppenprinzip gearbeitet wird.

Übrigens wäre theoretisch nur eine Schwächung der Privatangestellten verbunden mit einer Stärkung einiger Arbeitergewerkschaften drinnen. Nach der Gewerkschaft „Metall, Bergbau und Energie“ sowie „Bau-und Holzarbeiter“ wäre jene der Privatangestellten immer noch die drittstärkste.

FURCHE: Was versteht die Christliche Fraktion unter Gleichheit, konkret auf das Verhältnis Arbeiter-Angestellte angewandt?

KLINGLER: Wir verstehen unter Gleichheit nicht die Gleichheit der Sozialisten. Ich lehne eine nivellierende Gleichheit ab. Ich sehe aber eine notwendige Angleichung in der Richtung, daß es eine Gleichwertigkeit gibt. Eine Gleichheit im Sinne einer Beseitigung von strukturellen oder funktionell bedingten Unterschieden wollen wir nicht. Es steht außer Zweifel, daß sich die Tätigkeit der Angestellten von jener anderer Gruppen unterscheidet. Wir stehen da nicht auf dem Standpunkt, daß die Angestellten etwas Besseres sind.

FURCHE: Wie stehen Sie persönlich zur paritätischen Mitbestimmung?

KLINGLER: Ohne, daß wir uns bereits auf einen Termin fixiert haben, kann man generell wohl sagen, daß wir uns die paritätische Mitbestimmung in naher Zukunft wünschen. Unsere Fraktion ist aus der Sicht der christlichen Soziallehre heraus der Auffassung, daß die Weiterentwicklung der Mitbestimmung notwendig ist, daß sie aber zweckmäßigerweise wachsen soll. Der nächste Schritt in dieser Richtung sollte Von einer möglichst breiten Ubereinstimmung ge-

tragen sein. Ich würde eine Lösung auf der Ebene der Sozialpartner bevorzugen.

FURCHE: 53 Prozent der Angestellten sind Frauen. Sind sie am Arbeitsplatz schlechter gestellt als die Männer?

KLINGLER: Grundsätzlich verdienen die Frauen bei den Angestellten nicht schlechter als die Männer. Faktisch ergeben sich Unterschiede daraus, daß viele Unternehmen für höhere Positionen immer noch Män-

ner bevorzugen, weil sie annehmen, daß sich die Frauen aus familiären Gründen nicht so sehr einer beruflichen Karriere widmen können wie die Männer. Es gibt auch in dem einen oder anderen Kollektivvertrag geschlechtsspezifische Bestimmungen, die aber nach und nach beseitigt werden. Wir setzen uns voll dafür ein, daß für gleichwertige Leistungen auch gleiche Entlohnungen und gleiche Aufstiegschancen geschaffen werden.

FURCHE: Welche Wünsche hat Ihre Fraktion in Sachen Urlaub? Wollen Sie fünf Wochen Mindesturlaub?

KLINGLER: Wir möchten, daß sich für die älteren Arbeitnehmer etwas tut. Derzeit haben wir vier Wochen Mindesturlaub, ab dem 25. Dienstjahr gibt es eine fünfte Woche. Man sollte unserer Meinung nach fünf Wochen Urlaub bereits den Kollegen mit 20 Dienstjahren gewähren, ab dem 30. Dienstjahr sollte es sechs Wochen Urlaub geben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung