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Digital In Arbeit

Über Zeitpunkt verhandeln

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FURCHE: Herr Minister, Sie sind in den letzten Monaten zum Bösewicht der Nation avanciert. Haben Sie das erwartet oder überrascht es Sie?

DALLINGER: Es überrascht mich, weil ich weder von meinen persönlichen Anlagen noch von meinen Vorstellungen her dafür geeignet bin.

FURCHE: Warum, glauben Sie. sind Sie es dann geworden?

DALLINGER: Vermutlich deshalb, weil ich versuche. Vorhaben und Beschlüsse zu realisieren, die in wirtschaftlich schweren Zeiten - aber auch in der Hochkonjunktur - gegensätzliche Auffassungen von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen herbeiführen.

FURCHE: Das erklärt allenfalls Differenzen zwischen den Sozialpartnern oder Regierung und Opposition, nicht aber die gleichfalls deutlich sichtbaren Differenzen innerhalb der spö:

DALLINGER: Natürlich gibt es vom Timing her unterschiedliche Auffassungen, aber man soll vermeintliche oder tatsächliche Unstimmigkeiten im Regierungslager nicht überschauen. Es gibt ja in diesen Fragen grundsätzliche Beschlüsse von Partei-und Gewerkschaftsgremien.

FURCHE: Heißt das, daß Sie solche Beschlüsse verwirklichen wollen, andere Regierungsmitglieder aber nicht oder nur im geheimen?

DALLINGER: Das heißt, daß ich bei den Themen, zu denen ich rede, eben die verfassungsgemäße Kompetenz habe.

FURCHE: Viele argumentieren, daß zwar, langfristig gesehen, eine weitere Arbeitszeitverkürzung logisch ist. nicht aber im Jetzigen Zeitpunkt wachsender wirtschaftlicher Probleme.

DALLINGER: In den Jahren der Hochkonjunktur und des extremen Arbeitskräftemangels mußten wir 250.000 Gastarbeiter ins Land holen. Jetzt, da die technologische Entwicklung, die Rationalisierung und andere Einflüsse am Werk sind, habe ich der Arbeitszeitverkürzung als einem -nicht „dem" - Mittel der Politik ar-beitsmarktverteilende (nicht lebensverbessernde) Funktion zugedacht.

FURCHE: Und das. obwohl laut Umfragen nur zwölf Prozent der Arbeitnehmer darin ein wichtiges Anliegen sehen wollen?

DALLINGER: Politik auf plebiszi-täre Art zu machen, ist falsch. Darüber hinaus kommt es immer auf die Fragestellung an.

FURCHE: Bleiben Sie bei 1983 als Wunschziel der fünften Urlaubswoche?

DALLINGER: Meine Vorstellung bleibt der I. Jänner 1983, aber ich kann und will den Termin nicht dekretieren. Der richtige Zeitpunkt ist eine Angelegenheit der Verhandlungen.

FURCHE: Und die Ausweitung der Mitbestimmung aiif ein paritätisches A rbeitsgeber/A rheitnehmer- Verhältnis: Welchen Termin haben Sie da im Auge?

DALLINGER: Es geht um eine Weiterentwicklung der Mitwirkungsund Mitbestimmungsrechtc. Die paritätische Mitbestimmung ist nur ein Teil davon und würde nur 100 bis 150 Unternehmungen betreffen. Das Ganze ist ein kontinuierlicher Prozeß, bei dem es nicht um eine bestimmte Jahreszahl geht.

FURCHE: Was hatten Sie von einer Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei der Entscheidung über ihre Arbeitszeit? Muß alles von oben verordnet werden?

DALLINGER: Mit der gleitenden Arbeitszeit haben wir schon Ansätze einer individuellen Gestaltung. Bei dieser Entwicklung sind wir noch lange nicht am Ende. Ich bin keineswegs gegen Experimente. Es ist nicht gesagt, daß der Arbeits- und Lebensrhythmus von heute auch der der Zukunft sein muß.

FURCHE: Können Sie sich auch mehr Mitbestimmung der Arbeitnehmer beim Urlaub vorstellen - etwa einen ..Lebensurlaub", von dem einer in einem Jahr nur eine Woche und in einem anderen sechs Monate nimmt?

DALLINGER: Das wäre theoretisch möglich, ist aber ein Finanzierungsproblem. Das Ganze ist noch unausgereift. Aber ich möchte grundsätzlich keine dieser Überlegungen als Phantastereien vom Tisch wischen. Alles, was heute ist, war einmal eine Utopie.

FURCHE: Sind Sie auch för eine Verlegung kirchlicher Donnerstag-Feiertage auf Montage?

DALLINGER: Das ist eine von mehreren Überiegungen, aber angesichts der starken Religionsbezogen-heit in Österreich müßte man dafür eine Vereinbarung mit der Kirche finden.

FURCHE: Viel leichter wäre eine solche für die Abschaffung von Oster-und Pfingstmontag zu haben, die keine kirchlichen Feiertage sind. Da zieht die Gewerkschaft aber nicht mit. .

DALLINGER: Ich leugne nicht, daß die Konsumation von Feiertagen nicht immer ident ist mit der Gläubigkeit der Feiertagskonsumenten. Dennoch: Wenn man sich die Bedeutung der Tradition in Österreich vor Augen hält, kann ich mir eine Änderung nicht so schnell vorstellen.

FURCHE: Sie wollen die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge zur Arbeitslosenversicherung erhöhen und die Öffentlichkeit fragt sich, was mit den in den Jahren der Vollbeschäftigung gesammelten Geldern geschehen ist.

DALLINGER: Ich bin Sozialminister seit 9. Oktober 1980 und habe die Pflicht, mich mit den heutigen Realitäten auseinanderzusetzen ...

FURCHE: Gibt es Ihrer Meinung nach noch Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten, die beseitigt werden sollten?

DALLINGER: Die Harmonisierung der sozialen Grundrechte wird zu Ende geführt werden. Im Herbst tritt die Kodifizierungskommission wieder zusammen. Dann bleiben immer noch berufs- und arbeitsweltspe-zifische Akzentsetzungen übrig.

FURCHE: Wo konkret wird die ,. Harmonisierung'' fortgesetzt ?

DALLINGER: Zum Beispiel bei der Entgeltfortzahlung bei Krankheit sowie bei den Kündigungsbestimmungen.

FURCHE: Glauben Sie, daß die Be-nya-N achfolge als ö G B-Präsident vor allem von der Person oder von der Fachgewerkschaft her entschieden wird?

DALLINGER: Keine Gewerkschaft hat einen Anspruch auf den Präsidentenposten. Das soll eine Frage der Person sein.

FURCHE: Und Sie sind verfügbar, wenn der Ruf an Sie ergeht?

DALLINGER: Ja, aber das ist immer so dargestellt worden, als drängte ich mich danach. In Wirklichkeit habe ich immer gesagt: Wenn ich geeignet bin, Vorsiuender der größten Gewerkschaft und Sozialminister zu sein, kann ich die Frage, ob ich mich auch als ÖGB-Präsident für geeignet halte, doch nicht verneinen! Kennen Sie einen Spitzenjournalisten, der auf die Frage, ob er sich als Chefredakteur für geeignet hält, nein sagt?

Mit dem Bundesminister für soziale Verwaltung sprach Hubert Feichllbauer.

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