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Digital In Arbeit

Nicht Arbeiter, nur noch Angestellter

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Das IFESJinstifut des sozialistischen Abgeordneten Blecha veröffentlichte dieser Tage das Ergebnis einer „Repräsentativuntersuchung” über hierzulande grassierende Ansichten über den Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten. Auf eine einfache Formel gebracht, wollte IFES erfahren haben, daß solche Unterschiede, wenn überhaupt, nur noch im arbeitsrechtlichen Bereich wahrgenommen werden. Nur 40 Prozent der Befragten vermuten weitere Unterschiede, während 55 Prozent solche Unterschiede verneinen. Fach- und Hilfsarbeiter sowie die Beschäftigten in Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern neigen stärker zur Annahme, daß neben der differenzierten arbeitsrechtlichen Behandlung von Arbeitern und Angestellten noch weitere und teilweise gravierende Unterschiede innerhalb der Arbeitnehmerschaft existieren. Es ist anzunehmen, daß dieses von der Tagespresse kaum beachtete Ergebnis der Untersuchung nicht ohne Absicht gerade jetzt, wo eine ökonomisch und ideologisch hochexplosive Novelle zum Betriebsrätegesetz diskutiert wird, veröffentlicht wurde. Die SPÖ->Regierung dürfe die Novelle zum Betriebsrätegesetz in ihrer jetzigen Form nur als sozialistische Alibihandlung gegenüber dem Gewerkschaftsbund verstanden haben. Diese Annahme wird durch Ce- rüchte aus sozialistischen Kreisen bestätigt, daß Sozialminister Häuser die Novelle zum Betriebsrätegesetz unter dem Druck der Sozialpartner bereits zurückgezogen hat.

Zweifellos würde eine forcierte ÖGB-Politik der Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten die Zahl der ÖGB-Mitglieder gewaltig sen ken, beträgt doch die gewerkschaftliche Organisationsdichte bei Arbeitern rund 75 und bei Angestellten weniger als 50 Prozent.

Es ist unbestritten, daß die Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten für die Arbeiter gewichtige Verbesserungen hätte, insbesondere im Bereich der betrieblichen Sozialleistungenf bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bei den Ferien- und Feiertagsregelungen, bei den Abfertigungsansprüchen und beim ausgedehnteren Kündigungsschutz) des sozialen Status.

Die technische Entwicklung hat auf vielen Gebieten zu einer Annäherung der Funktionen von Angestellten und Arbeitern geführt. Nicht nur aus diesem Grund läßt sich heute keine — weder eine rechtliche noch eine soziologische — Trennung rechtfertigen, sondern die „Angestelltenschaft” ist auch eine heterogene Gruppe, deren Spektrum von bildungsmäßig wenig gerüsteten und lohnmäßig tief eingestuften über ein breites Mittelfeld bis zu einer Spitze von Managern reicht, deren Verhalten eher dem Unternehmertyp au-

zurechnen ist. Auf der anderen Seite greift die Arbeiterschaft bei dieser Betrachtungsweise bis weit in die Einzelgruppen von Angestellten hinein. Vor allem spezialisierte Facharbeiter, die über einen abgeschlossenen Berufslehrgang verfügen und sich auch entsprechend weitergebildet haben, stehen soziologisch nicht hinter kaufmännischen Angestellten und ähnlichen Berufsgattungen zurück. Auch das teilweise herrschende Bild, das besagt, der Angestellte sei ein Arbeitnehmer mit größerer Verantwortung und einem größeren Verantwortungsbewußtsein ist ein von empirischen Forschungsergebnissen nicht bestätigtes ausgeprägtes Klischee. Was die Problematik des unterschiedlichen Lohnbildungssystems betrifft, so gibt es heute in der betriebswirtschaftlichen Forschung schon praktikable Methoden, auch die Arbeit des Angestellten leistungsmäßig zu erfassen.

Ist also der Begriff des Angestellten bloß ein festverwurzelter Irrtum? Im österreichischen Sozialgefüge gibt es zweifellos eine „Angestelltenschaft”, deren Einheit weder durch die

Gleichheit innerhalb der Gruppe noch durch die Unterscheidbarkeit gegenüber anderen Gruppen hergestellt wird, sondern historisch und psychologisch motiviert ist. Entwicklungsgeschichtlich hat sich die sozialvertragliche Stellung der Angestellten gegenüber derjenigen der Arbeiter positiv hervorgehoben, psychologisch ist die Besonderheit der „Angestelltenschaft” durch die Idee des „gleichen Standes” motiviert. Gesellschaftliche Konventionen, Lebensgewohnheiten, Wahnsitten und ähnliche Faktoren, die psychologisch bedeutungsvoll sein können, zeigen auch heute noch das Bestehen eines „Angestelltenbewußtseins” das durch die Entwicklung der funktioneilen Beschäftigungsgliederung und der wirtschaftlichen Kraft von Arbeitern und Angestellten in weiten Bereichen überholt ist.

Die rechtliche, soziologische und sozialvertragliche Trennung von Arbeitern und Angestellten kann unter den gegebenen ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen nicht mehr zwingend aufrechtgehalten werden. Heute werden in einer vollbeschäftigten Wirtschaft Arbeiter mit der Zusage, sie monatlich zu entlohnen, also in ein Angestelltenverhältnis zu übernehmen, bereits abgeworben. Dieses soziologisch bedenkliche Wettbewerbsmotiv sollte gerade den Gewerkschaftsbund veranlassen, seine vereinspalitisch motivierte Haltung zu überdenken und schließlich zu ändern. Die Zeichen der Zeit lassen sich durch keine bestellten und manipulierten Meinungsumfragen verschleiern. Es ist bezeichnend, daß die Arbeitgeberorganisationen in der Frage der Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten praxisnäher und fortschrittlicher denken. Sicherlich gibt es eine vom SPÖ-Institut für empirische Sozialforschung heute noch aus geschäfts- und parteipolitischen Gründen bestrittene Kluft zwischen Arbeitern und Angestellten, die zu überbrücken erstes sozialpolitisches Anliegen des Gewerkschaftsbundes sein sollte.

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