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Digital In Arbeit

Mitwissen — mitverantworten

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Freiheit innerhalb der gesellschaftlichen Organisation, in unserem Fall also innerhalb der Unternehmung, soll durch Mitwirkung des Arbeitnehmers bei der Gestaltung seines Arbeitsverhältnisses, darüber hinausgehend aber auch in grundsätzlichen Fragen der Betriebsführung sowie der unternehmerischen Disposition verwirklicht werden. Neben dieser auf „Demokratisierung“ zielenden Forderung, die Freiheit durch materielle Mitgestaltung zu verwirklichen trachtet, kann der individuelle Freiheitsraum innerhalb der Unternehmung aber auch durch formelle, nämlich Verfahrensvorschriften erweitert werden, welche den Arbeitnehmer durch ein System von checks und balances, wie Erfordernisse gewerkschaftlicher Zustimmung, Einführung von Fristen usw. gegen ihm unangenehme Anordnungen schützen sollen. Stellt sich im ersten Fall die Frage nach der sachlichen Kompetenz zur Mitwirkung an Entscheidungen, so stellt sich im zweiten die nach der noch tragbaren Zeitdauer der Verzögerungseffekte. Der Verwirklichung individueller Freiheit in der Unternehmung durch Mitbestimmung sind deshalb Grenzen gesetzt. Dafür wird der individuelle Freiheitsraum allerdings durch Freiheilt von der im Unternehmen organisierten Gesellschaft ergänzt, etwa im Rahmen der heute durch Verkürzung der Arbeitszeit ständig steigenden Freizeit oder durch die Freiheit der Arbeitsplatzwahl und des Arbeitsplatzwechsels.

Zweitens ist zu entscheiden, ob diese Freiheiten vom einzelnen persönlich, dem Muster der direkten Demokratie folgend, ausgeübt werden sollen und in welchen Fällen dies der Schutz von persönlichen Einzelinteressen erfordert; oder ob die Vertretung seiner Interessen durch Interessenverbände, und auf

welcher Verbandsstufe diese genügt. Denn je größer der Verband, desto stärker ist auch seine Durchschlagskraft, desto mehr differieren aber auch die Interessen der einzelnen Verbandsmitglieder untereinander, desto mehr wird das einzelne Verbandsmitglied in der Verfolgung seiner Interessen mediatisiert und desto größere Bedeutung erlangen die Eigenziele des Verbandes. Es ist deshalb für das Ausmaß der durch Mitbestimmung zu verwirklichenden individuellen Freiheit und für die Chancen, Forderungen durchzusetzen, nicht unerheblich, ob Information und Mitwirkung an Entscheidungen des Unternehmens dem einzelnen Arbeitnehmer selbst zustehen oder einer Arbedtspartie, den in einem Teil des Unternehmens Beschäftigten gemeinsam, dem Betriebsrat für das gesamte Unternehmen, der Industriegewerkschaft, dem Gewerkschaftsbund oder einer parlamentarischen Arbeiimehmervertretung, falls eine solche bestehen sollte. Die Frage, wer zur Mitbestimmung berufen sein soll, kann deshalb nicht für alle Fälle einheitlich beantwortet werden, sondern nur im Hinblick auf die individuelle Differenzierung und die Schutzwürdigkeit von Einzelpersonen, kleineren oder größeren Personengruppen und der zu ihrer Durchsetzung erforderlichen Verbandsmacht.

Bei Verwirklichung der Mitbestimmung muß deshalb drittens vorerst entschieden werden, für welche Informationen und Entscheidungen der Unternehmung unmittelbar schutzwürdige Interessen des einzelnen und in welchem Umfang diese anzuerkennen sind, sowie, welche Gruppeninteressen zu berücksichtigen sind. Es wird hierbei zweckmäßig sein, zumindest zwischen Mitbestimmung in die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers betref-

fenden Angelegenheiten, in allgemeinen sozialen Fragen, in Fragen der Betriebsorganisation und in Fragen der Unternehmenspolitik zu unterscheiden. Soll Mitbestimmung der Verwirklichung individueller Freiheit dienen, so wird der Gesetzgeber mehr als bisher die Mitbestimmung als Individualrecht auszugestalten haben. Nur wenn der einzelne Arbeiter oder Angestellte als Person in den innerbetrieblichen Ent-scheidungsprozeß einbezogen wird, kann seiner heute so häufig beklagten Entfremdung wirksam entgegengewirkt werden. Die Interessen des einzelnen Arbeitnehmers dürften sich hierbei unmittelbar vorwiegend auf die Gestaltung der persönlichen Arbeitsverhältnisse, soziale Fragen und auf ihn direkt betreffende Angelegenheiten der Betriebsorganisation richten, nicht sosehr hingegen auf Mitwirkung in den zentralen Gebieten der Unternehmenspolitik, des Produktionsprogramms, des Absatzes und der Finanzierung.

Viertens muß in allen Angelegenheiten, für die eine Mitbestimmung seitens der Arbeitnehmer vorgesehen ist, deren Inhalt und Umfang näher bestimmt werden. Soll es sich um Information handeln, also um Mitwissen, um Mitberatung, um Mif-entscheidung oder auch um Mitverantwortung? Auch diese Frage kann nicht für alle Angelegenheiten gleich beantwortet werden. Je stärker der einzelne Arbeitnehmer persönlich unmittelbar betroffen ist, um so stärker und anspruchsvoller wird sein Wunsch nach Mitbestimmung sein, um so mehr dürfte er allerdings auch bereit sein, Mitverantwortung zu tragen. Denn auch aus der Sicht des einzelnen Arbeitnehmers gilt der Satz, daß nur das mitverantwortet werden kann, was bewußt, in Kenntnis der Konsequenzen, mitentschieden worden ist.

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