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Digital In Arbeit

Buntes Federkleid

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Die Sommermonate hindurch klang nur dumpfes Hämmern aus dem Trockendock: Der Programmausschuß der ÖVP arbeitete am neuen Profil der großen Oppositionspartei. Das Ergebnis dieser Arbeit, der zweite Entwurf des Grundsatz-programmes, entfachte eine neuerliche Diskussion um das Fundament, die Grundsätze der Partei. In wenigen Wochen, am Bundesparteitag, der Ende November in Salzburg stattfinden wird, soll — nach Schleinzers Worten — die innerparteiliche Nabelschau beendet, Programm und Statut von den Delegierten angenommen werden.

Es scheint, daß die Kritik am ersten Entwurf, der arg zerzaust wurde, eine konstruktive war: Viele Einwände, Bedenken, Ideen und Vorschläge findet man in dem überarbeiteten Papier verwirklicht. Das bunte Federnkleid einer schillernden Sprache, böswillig: eines Soziologen-Chinesisch, wich klarer Terminologie und verständlichen Begriffen. Die Systematik kann als geglückt bezeichnet werden, wiewohl Überschneidungen einzelner Sachbereiche völlige Klarheit (des Systems) vermissen lassen. Soviel zur Form.

Im Grundsätzlichen wird der Gedanke der Partnerschaft und der der Partizipation durchgezogen: „Die ÖVP will die partnerschaftliche Gesellschaft verwirklichen. Unter Partnerschaft versteht sie eine soziale Struktur, die gekennzeichnet ist durch das freiwillige Zusammenwirken von Personen, die in ihrer Würde und Freiheit gleich geachtet, in ihren Eigenarten, Interessen und Funktionen aber als verschieden erkannt werden.“ Ein brauchbares Modell, um Interessenkonflikte demokratisch auszutragen, um Demokratie und soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen. Und überdies ein Instrument, das, durch Realpolitik konkretisiert, die Einbindung sozialer Aufsteiger ermöglicht. Leute, auf die einiges in diesem Programmentwurf zielt: „Die ÖVP will die Voraussetzung für die Selbstverwirklichung des Menschen dadurch verbessern, daß sie den persönlichen Leistungswillen und die Initiativen herausfordert.“ Oder: „Die persönliche Leistung muß der Maßstab für Arbeitseinkommen, beruflichen Aufstieg und gesellschaftliche Anerkennung des einzelnen sein.“ Also zügelloses Leistungsstreben, vielleicht Leistungsterror? „Wer zur Leistung nicht befähigt ist, hat Anspruch auf die Hilfe der Gesellschaft.“

Das Bekenntnis zur Partizipation, zur Teilnahme am demokratischen Willensbildungsprozeß, erlaubt eine aktuelle Verwirklichung der alten Idee der Volkssouveränität, der Identität von' Herrscher und Beherrschtem: „Mehr Demokratie ist mehr Teilnahme von mehr Menschen an mehr gesellschaftlichen Entscheidungen.“ Das Prinzip der Partizipation sichert „allen Partnern die Teilnahme an den vielfältigen“, wohl immer komplexer und komplizierter werdenden Entscheidungsprozessen. Diese Idee führt auch die Forderung nach einer dynamischen Weiterentwicklung der Demokratie und nach Ausbau der politischen und sozialen Grundrechte fort. Freilich enthält der Entwurf gerade bei der Behandlung des demokratischen Gemeinwesens zwar eine Fülle von Aufzä' lungen in Bekenntnisform, jedoch nur zaghafte Ansätze und Andeutungen über echte Erweiterungen und zukunftweisende Ausbaupläne des demokratischen Modells an sich. Hier wäre ein mutiges Wort oder ein konkreter Plan zur Dimensionserweiterung der parlamentarischen Demokratie wohl nicht zuviel verlangt.

Auch zum Problemkatalog Massenmedien vermißt man eine klare Stellungnahme. Immerhin handelt es sich bei den Medien um ein Phänomen, dessen Bedeutung für die Demokratie, ein funktionierendes Gemeinwesen, gerade jetzt ganz klar zutage tritt. Ja mehr noch: Die informierte Gesellschaft ist die notwendige Infrastruktur für Partizipation und Selbstverwirklichung.

In der Frage einer „höheren Lebensqualität“ erweist sich die programmatische Fixierung neuester Erkenntnisse: „Die mit den Lebensformen der Wohlstandsgesellschaft verbundenen Belastungen und die natürlichen Grenzen des Wachstums sind sichtbar geworden. Politik kann sich deshalb nicht länger im rein quantitativen Übertreffen des Erreichten erschöpfen. Das wichtigste Ziel einer modernen Gesellschaftspolitik ist heute die Herstellung einer höheren Lebensqualität, die auch das körperliche, seelische und geistige Wohlbefinden des Menschen einschließt. Die Erhaltung der menschlichen Gesundheit, ihre Bewahrung vor Zivilisationsschäden und die Nutzung der wachsenden Möglichkeiten der Lebensverlängerung sowie der Schutz der natürlichen Umwelt werden zu Vorrangaufgaben der Gesellschaft.“

Die Aussagen zum „hohen C“, zur christlichen Basis politischer Entscheide, sind, wie ein Programmschmied formulierte, so, daß sie niemanden verbittern, aber auch niemanden begeistern. Die ÖVP „ist sowohl für Christen als auch für jene offen, die sich aus anderen Beweggründen zu einem humanistischen Menschenbild bekennen“.

Abseits jeder weiteren Detailkritik bleibt der vom ÖVP-nahen Akademikerbund geäußerte Vorbehalt im Raum, den Generalsekretär Schragl formulierte: „Wir freuen uns zwar, daß in den nun vorliegenden Entwurf viele Verbesserungsvorschläge eingearbeitet sind, glauben jedoch, daß es notwendig sein wird, vor der endgültigen Endfassung noch einige Leerformeln neu zu überdenken. Wir denken hier vor allem an das Kapitel Kunst und die Vorstellungen zum Ausbau, zur Dynamisierung der Demokratie, oder das fast völlige Ausklammern der Massenmedien.“ Immerhin ist noch fast zwei Monate Zeit zu Diskussionen, dann sind „die Gedanken dieses Grundsatzprogramme bindende Grundlagen“.

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