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Abbau autoritärer Strukturen

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Wird diese Grundsatzfrage im sozialistischen Sinn entschieden, dann ist die Mitbestimmung nur noch ein Vorwand für die Verwirklichung weiter reichender politischer Ziele, das heißt, daß sie ihren Eigenwert als demokratisches Postulat verliert. Bekanntlich hat der sogenannte demokratische Sozialismus längst von der Vorstellung Abschied genommen, daß es eines Tages zu einem punktuellen Umschlag von der kapitalistischen in die sozialistische Gesellschaftsordnung kommen werde. Statt dessen stellt man sich die Verwirklichung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung in Form einer Entwicklung vor. In diesem Sinn wurde der Marx'sche Entwicklungsgedanke vom Negativen ins Positive gewendet: der „Kapitalismus“ geht nicht mehr an seinen inneren Gegensätzen zugrunde, er wird durch die soziale Entwicklung ausgehöhlt, um sich eines Tages von selbst aufzulösen. Bemerkenswert daran ist, daß durch diese Umkehr die sozialistische Zielvorstellung völlig unangetastet bleibt. In solchem Zusammenhang aber ordnet sich die „Mitbestimmung“ durchaus diesen Zielvorstellungen ein. Sie wird ä la Rakosis Salamitaktik zu einer Etappe auf dem Weg zur sozialistischen Gesellschaftsordnung. Das ist der eigentliche Hintergrund der politischen Auseinandersetzungen um die Mitbestimmung der Arbeitnehmer, bei denen es letztlich nicht um das Postulat der Mitbestimmung selbst, sondern um die Funktion geht, die die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Rahmen einer bestimmten Gesellschaftsordnung ausüben soll.Sie kann im Rahmen der bestehenden Gesellschaftsordnung sehr wohl bejaht werden oder richtiger, es sind noch reichliche Möglichkeiten für eine Ausdehnung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer gegeben, ohne daß durch sie die bestehende Gesellschaftsordnung in Frage gestellt würde; sie kann aber auch jene „Etappe“ auf dem Weg zu einer anderen Gesellschaftsordnung sein, als die sie der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung nicht mehr adäquat wäre.

Nun hat noch kein Programm einer sozialistischen Partei auf die sozialistische Zielvorstellung verzichtet, nicht das Wiener Programm der SPÖ und auch nicht das Godesber-ge Programm der SPD, das noch weit eher als ein reformistisches Programm bezeichnet werden kann. Sozialismus ist von seinen Institutionen her eben etwas grundsätzlich anderes als die gegenwärtige Gesellschaftsordnung — ihm liegt noch immer, wie sehr er sich auch gewandelt haben mag, die Vorstellung von der Gütergemeinschaft zugrunde, von einer Gütergemeinschaft, die durch politische Mittel herbeigeführt werden soll, also ein politisches Kampfziel ist. Der Kampf um die Mitbestimmung, wie er von den sozialistischen Parteien geführt wird, ist daher seinem eigentlichen Sinn nach ein Kampf um die Durchsetzung einer weiteren Etappe auf dem Weg zur sozialistischen Gesellschaftsordnung. Aus diesem Grunde ist es kein Zufall, wenn die Frage der Mitbestimmung im neuen Wirt-schaftskonzept der SPÖ nur am Rande eine Rolle spielt, also keineswegs in den Vordergrund gestellt wird, weil das vor den nächsten Wahlen nur allzu leicht den Verdacht nähren könnte, daß es der SPÖ nach wie vor um ihre früheren Ziele geht. Wenn aber selbst ein so gemäßigter Sozialist wie Dr. Kienzl erst kürzlich in einer Fernisehdiskussion für die Aufstellung von Zielen eingetreten ist, die jenseits der heutigen Gesellschaffeordnung liegen, dann muß man wissen, worauf sozialistische Parteien auch heute noch hinauswollen.

Als Gegenbeispiel sei hier die Haltung der Jungen Union der CDU zur Frage der Mitbestimmung angeführt. Auf ihrem Deutschlandtag am 6. Oktober 1968, wenige Wochen vor dem letzten Parteikongreß der CDU, hat die Junge Union folgende „Zehn Leitsätze zur Mitbestimmung“ beschlossen:

1. Mitbestimmung bedeutet Zusammenarbeit und Partnerschaft.

2. Die Übertragb'arkeit sozialpolitischer Modellvorstellungen und staatsrechtlicher Begriffe , auf die andersgeartete Struktur Wirtschaft muß genau geprüft werden.

3. Die Unabhängigkeit der Sozialpartner voneinander und vom Staat muß gewahrt bleiben.

4. Nur solche Mitbestimmungspläne, die die Partnerschaft von Arbeitnehmern und Unternehmern verbessern, werden unterstützt.

5. Nur Mitbestimmungspläne, welche die Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft nicht beeinträchtigen, werden unterstützt.

6. Auch bei der Entsendung von Vertretern der Arbeitnehmer in die Aufsichtsräte der Unternehmen muß die institutionelle Unabhängigkeit der Unternehmensleitung von den Belegschaftsvertretungen, den Gewerkschaften oder dem Staat gesichert bleiben.

7. Jegliche direkte Beteiligung von Vertretern des öffentlichen Interesses in den Unternehmensorganen wird abgelehnt.

8. Mitbestimmung soll die Gefahr wirtschaftlichen Machtmißbrauches verhindern. Die bisher bekanntgewordenen Mitbestimmungsmodelle sind nicht geeignet, dieses Ziel zu erreichen.

9. Die vom DGB geforderte Ausdehnung der Montan-Mitbestimmung oder andere Modelle der Mitbestimmung, die den vorgenannten Leitsätzen widersprechen, werden abgelehnt.

10. Die Rechtsstellung des einzelnen Arbeitnehmers und seine Aufstiegsmöglichkeiten in der Wirtschaft müssen verbessert, das Leistungsprinzip institutionell gesichert werden. Integration des einzelnen und Abbau autoritärer Strukturen müssen vorangetrieben werden. Das Betriebsverfassungsgesetz bildet den geeigneten Ansaitzpunkt hierfür.

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