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„A bißl bleichgesichtig“

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Junge Löwen waren zusammengekommen, um dem Dompteur das Gruseln beizubringen. Fortan, so träumten sie, sollte es ihm unmöglich sein, ungestraft seinen Kopf in ihren Rachen zu stecken. Daß es anders kam, verwundert den nicht, der weiß, daß der Dompteur mit bürgerlichem Namen Bruno Kreisky heißt, die Höhle der Löwen, in die er sich bemühte, die „Bude“ der CV-Ver-bindung „Austria“ war und der Dressurakt als Diskussion begann: „Sozialismus ä la SPÖ — Utopie oder Realität?“

Der Meister knallte gleich zu Beginn die Peitsche: Weitausholend ließ er — darum gebeten — eine Definition der Sozialdemokratie niedersausen: „Der Weg zum Sozialismus ist die Verwirklichung der sozialen Demokratie in allen Phasen. Das ist, wenn Sie so wollen, ein dialektischer Prozeß, der nie zu Ende ist. Und das unterscheidet uns ja auch von den Kommunisten.“

Dieses Modell einer sozialen Demokratie wird wortreich und geschliffen aufgebaut, da werden Demokratisierung aller Lebensbereiche, Humanismus, Transparenz, Freiheitsräume und Selbstbestimmung des einzelnen postuliert und eine bunte Palette von Kronzeugen zum Beweis oder Gegenbeweis, je nach dem, zitiert: Kelsen, Marcuse, Dom Helder C&mara, Marx, Hegel, Carl Schmidt, die Austromarxisten usw. Die Löwen, dornengekrönt, schicken sich an, durch die Reifen zu springen, mögen diese auch brennen: Mit dem Bekenntnis zum notwendig Unvollendeten jeglichen politischen

Bemühens wird die Mitbestimmung angerissen: „Mitbestimmung ist ein Postulat sozialdemokratischer Politik, aber das Wie ist erst am Anfang der Diskussion. Wir haben noch nicht die Klarheit, um Institutionen zu schaffen, die echte Mitbestimmung ermöglichen. Das sind Probleme, die man noch breit diskutieren muß. Übrigens ist

Diskussion — diesmal ein Sprung des Meisters — meiner Meinung nach bereits Mitbestimmung.“

Doch in der Manege darf (oder soll?) auch gefaucht werden, das erhöht den Nervenkitzel. Wie sind die Zielvorstellungen der Regierung, wenn die SPÖ lange genug ihre Mehrheit erhält? Werden die Eigentumsverhältnisse geändert? „Schauen Sie, das Eigentum am Kapital und die Verfügungsgewalt darüber sind nicht ident. Anonyme Herrscher, Manager also, haben oft maximale Verfügungsgewalt, obwohl ihnen das Eigentum am Kapital sehr oft verboten ist. Daher Mitbestimmung. Und: In Österreich bietet sich fast keine Industrie für die Verstaatlichung an. Da bin ich nicht der Meinung meines Freundes Häuser, der einmal — ich glaube, das war in Ihrer CV-Zeitung — die Verstaatlichung der Heilmittelindustrie gefordert hat. Die großen Firmen sind im Ausland und was sollen wir mit den kleinen österreichischen Firmen? Ich kann beim besten Willen keine Industrie angeben, die man verstaatlichen soll. Vielleicht bietet sich einmal eine an, man soll in der Politik niemals „nie“ sagen. Aber gegen die organische Ausweitung der bestehenden Verstaatlichten will ich damit nichts gesagt haben...“

Das Programm war so vielfältig, daß man nur einige weitere Kunststücke reproduzieren kann: Die Abgrenzung der SPÖ nach rechts? „Die SPÖ ist keine linke Volkspartei und, soll auch keine werden wollen. Es ist unser erklärter Wille, die soziale Demokratie zu verwirklichen. Etwas, das die ÖVP nicht will, das zeigt die tägliche Politik ...“ Und die Trennlinie zur neuen, zur extremen Linken? „Na ja, die Spartakisten, die wurln immer a bißl bleichgesichtig herum.“

Darauf eine weltpolitische Tour d'horizon: Nixon, Palme, Brandt, Breschnjew, Mao, Tito und Pompi-dou wirbeln durch die Luft; sie werden interpretiert, daß die CV-Löwen raunen...

Zurück nach Österreich: Wie verträgt sich die Definition der Sozialdemokratie, wie die Demokratisierung aller Lebensbereiche mit dem Wiener SPÖ-System?

„Zuerst ist mir nichts Konkretes bekannt und außerdem bin ich kein Wiener Funktionär. Da müssen Sie mit Leuten aus dem Rathaus sprechen.“

Warum, Herr Bundeskanzler, heißt Ihre Partei noch immer Sozialistische Partei und nicht Sozialdemokratische Partei Österreichs?

„Das hat historische Gründe, ich verwende die Bezeichnung „sozialdemokratisch“, weil sie klarer ist. Aber, schauen Sie, die Sozialistische Partei hat bei der letzten Wahl mehr als 50 Prozent aller Stimmen erringen können. Viel mehr braucht sie ja nicht. Und warum sollen wir uns da offiziell umbenennen?“

Wie wahr, am Namen kann es nicht liegen, das wurde auch den Löwen vom CV schmerzlich bewußt.

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