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Nicht die Wache von gestern

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FURCHE: 1933 ist der deutsche CV den Gesetzen seiner Zeit gefolgt — und wurde zuerst langsam, dann immer klarer nationalsozialistisch. 1968 scheint das Gesetz der Zeit an den Hochschulen die „Neue Linke“ zu sein. Geht der CV nach links?

RAIDL: Dr. Drimmel versucht ja mit seinem geschichtlichen Rückblick (FURCHE Nr. 37 1968) zu beweisen, daß wir jetzt 1968 ungefähr die Situation haben, die 1933 unter anderen Vorzeichen die damaligen CVer vorgefunden haben. Aber hier glaube ich, daß diese geschichtliche Gleichung also wirklich völlig falsch ist.

F.: Wieso denn?

R.: Ich will ungern um den Begriffssinn eines Wortes streiten. Aber wenn Dr. Drimmel verfsteht, daß links bedeutet, daß wir uns mit unserer Umwelt kritisch auseinandersetzen, dann sind wir links. Wenn Dr. Drimmel versteht, daß links heißt, daß wir in der katholischen Kirche zum Beispiel gewisse Äußerungen und Lehrmeinungen in Frage stellen, dann sind wir links. Wenn Dr. Drimmel versteht, daß links heißt, gegen die Verinstitutionalisie- rung des politischen Lebens und gegen dieses Sich-Absichem und -Rückversichern, dann sind wir links. Yeys|eht., pr. Drimmel aber unter links, daß wir für einen Marxismus daft, wir füp emePrtJWSteriiali - mus sind, daß wir für eine zentral verwaltete Gesellschaftsordnung sind, daß wir für die Diktatur einer Partei sind, weil ja das Kollektiv und die Partei, wie es dort heißt, die Wahrheit spricht, dann sind wir nicht links.

F.: Eine wesentliche Forderung der Linken an der Hochschule ist aber die Demonstration und die Provokation. Finden Sie es als CVer für richtig, daß auch CVer an der Hochschule provozieren und demonstrieren, um gewisse Ziele zu erreichen?

R.: Ja. Also kurz ein Ja. Aber warum? Wenn man sich die Hochschulstruktur, wie sie in Österreich noch herrscht, genauer ansieht, so muß man zugeben, daß mit guten Reden, mit dem Überreichen von Briefen und Protestschreiben an Rektoren, Minister nichts zu erreichen war. Man muß zugeben, daß es den Deutschen gelungen ist, diese Mißstände — und die herrschen an den Hochschulen, darüber gibt's überhaupt keinen Zweifel — aufzuzeigen. Ein Professor in unserer Zeit ist vielleicht noch der letzte, der völlig frei, unabsetzbar und unversetzbar ist, ganz gleich, welche Arbeit er leistet. — In dieser Struktur, finde ich, für mich persönlich — und ich habe auch daran teilgenommen —, Demonstrationen auf jeden Fall für erlaubt. Aber eines, und das müssen wir jederzeit auseinanderhalten, ist wichtig: Die ganze Demonstrationsproblematik kann nur von den in dieser Demokratie zur Verfügung stehenden Mitteln ausgehen, und ich würde jederzeit Gewalt gegen Personen und auch Gewalt gegen Sachen ablehnen.

,F: Es sind nach einer Befragung in einer Verbindung 41 Prozent der aktiven CVer für Demonstrationen. Glauben Sie also, daß es in den Auseinandersetzungen in diesem Herbst und im nächsten Studienjahr auch viele CVer geben wird, die sich da und dort der Provokation und der Demonstration bedienen werden?

R.: Selbstverständlich, und ich hoffe es auch. Wobei nicht nur die Massendemonstration, sondern die qualifizierte, gezielte Demonstration, etwa die Übergabe von Boxhandschuhen an den Unterrichteminister, in Frage kommt. Die Behauptung von Dr. Drimmel, daß der CV bei der Hörsaalbesetzung, wo die Viet- kongfahne gehißt wurde, nur die Staffage und die Zuschauer abgegeben hat, ist wirklich nicht richtig. Es war ein CVer, der die rotweißrote Fahne im Hörsaal gehißt hat, und ich bin selbst bei der Podiumsdiskussion oben gesessen. Es war der CV, der diese Versammlung wirklich in die Hand bekommen hat und nicht die Staffage für den Klamauk der Radaubrüder der Linken abgegeben hat.

F.: Robert Krasser schrieb 1952, daß jene politischen Parteien und Gruppierungen für den CVer nicht wählbar seien, die keinen Zweifel über die CV-gegnerische Einstellung aufkommen lassen. Gilt das für die SPÖ heute?

R.: Wissen Sie, was der Robert Krasser gesagt hat, das ist schon einige Zeit her. Und ich gebe zu, daß sich in dieser Zeit die SPÖ gewandelt hat. Wenn Dr. Drimmel sagt, daß 48 Prozent die Mitgliedschaft bei der SPÖ bejahen, so ist das eine Unterstellung, denn in der zitierten Umfrage war nie von der „Mitgliedschaft“, sondern nur von der „Wahl“ der SPÖ die Rede.

F.: Sie sind also der Meinung, als CVer könnte man SPÖ wählen?

R.: Dies ist natürlich zu allererst eine persönliche Entscheidung jedes einzelnen. Diese Entscheidung hängt sicherlich auch von der Art der Wahl

— etwa Gemeinderat, Bundespräsident, Betriebsrat — ab und kann sich von Wahl zu Wahl ändern. Wenn man sich jedoch die gegenwärtige politische Landschaft Österreichs ansieht, sehe ich keine Notwendigkeit, SPÖ zu wählen. Anders wäre die Situation, wäre die SPÖ so, wie es die SPD nach Bad Godesberg ist.

F.: Haben sich die CV-Mitglieder Prof. Knoll, Heer und Dr. Daim also nicht durchgesetzt, daß man nach links öffnen müsse?

R.: Sie haben sich insofern durchgesetzt, als sich def CV ernstlich mit den Schriften der Linken beschäftigte, denn das fehlt mir ja im Artikel von Dr. Drimmel. Hätte man feÄ Ä ätte mgi. .jTahre 1936 die Schriften der Nationalsozialisten durchgelesen, hätte man damals schon Seminare abgehalten

— so wie wir das jetzt über Mao, Marx, Marcuse machen, um die 3 M zu zitieren, dann wäre uns, so will mir scheinen, vieles erspart geblieben.

Aber man hat das damals nicht getan, weil man einfach in einer Negation steckte. Wir lesen diese Schriften durch, und wir versuchen, so wie Paulus gesagt hat, alles zu prüfen und das Gute zu behalten.

F.: Noch einmal zu den Parteien zurück. Würde das Eintreten eines CVers für eine kommunistische Partei Demissionsgrund sein?

R.: Also hier glaube ich Ja. Die Utopie des Kommunismus ist mit den Menschen, so wie sie heute leben, einfach undurchführbar, obwohl sie an sich wirklich humanistisch und christlich ist. Aber die Durchführung ist, soweit sie uns bis jetzt vorexerziert wurde, für einen CVer völlig, völlig unmöglich.

F.: Glauben Sie also, daß die auf Marx zurückgehenden Theorien der neuen Linken gleichfalls erfolglos sein werden?

R.: Ganz eindeutig. Also ich finde, es gibt nichts Reaktionäreres als zu rufen: Alle Macht den Räten; das ist noch reaktionärer als zu schreien „Hoch lebe die absolute Monarchie!“

F.: Weil es einfach nicht durchführbar ist?

R.: Weil es einfach nicht durchführbar ist. Ich bin wirklich der Meinung, daß Marx seine Zeit scharf kritisiert hat und daß vielleicht seine Voraussagen richtig gewesen wären. Aber da sie geglaubt wurden, hat sich ja vieles geändert.

F.: Glauben Sie, daß die Eindrücke des Einmarsches in der Tschechoslowakei auf die neue Linke einen gewissen Einfluß haben werden?

R.: Ich hoffe es. Ich hoffe, daß sie aufwachen werden aus ihren Utopien.

F.: Nun etwas anderes: Konnte sich die Verbandsführung des CV nicht durchsetzen, als es um die Aufnahme von Protestanten in den CV ging?

R.: Es ging nicht um die Frage des Durchsetzens, sondern es wurde auf der Cartellversammlung eine Kommission eingesetzt, die dieses Problem und diese Fragen in aller Ruhe, fern der Publizität und aller Aufregung überprüfen wird.

F.: Also wartet die Verbandsführung ab. Man weiß noch nicht, ob es zur Aufnahme von Protestanten kommen wird?

R.: Ja, wir in der Verbandsführung werden abwarten, was uns diese Kommission vorlegen wird, und natürlich wird dann ein Beschluß zu fassen sein. Aber zu dieser Frage und zur zweiten Frage, die in letzter Zeit über den Cartellverband in der Presse und in der Öffentlichkeit so rege diskutiert wurde: Das ist die Mädchenfrage. Für mich sind diese beiden Fragen wirklich nicht das Hauptproblem. Ich sehe das Hauptproblem des Carteilverbandes in einer Zeit, da die Hochschulstruktur sosehr der Diskussion unterliegt, ganz woanders, nämlich in der Veränderung denselben.

F.: Wie aber steht es um die Religiosität im CV? Ist der CV noch ein katholischer Verband, wenn nur mehr die Hälfte der jungen Mitglieder jeden Sonntag die Messe besuchen und damit das Minimum ihrer religiösen Pflichten erfüllen?

R.: Wir sind, wenn Sie Zahlen der Umfrage zitieren, vielleicht nicht so katholisch, wie ich trotzdem glaube, daß wir es sind. Um das kurz zu erklären: Wir sind nicht katholisch, wenn man die Katholizität daran mißt, wie oft man an triumphalisti- schen Religionsfeiem, wie der Fronleichnamsprozession, dem Hochamt usw., teilnimmt, wo die Begegnung mit Christus fast unmöglich ist.

F.: Es geht hier um den Besuch der Sonntagsmesse, also der Minimalpflicht des Katholiken.

R.: Hier ist es schon richtig, daß sich der CV, der einzelne CVer, mit der Frage mehr auseinandersetzen muß. Ein schärferes Durchgreifen ist auf jeden Fall zu empfehlen.

F.: Haben Sie also in Ihrem Vor- ortsjähr vor, dem Thema der religiösen Bildung und der religiösen Erziehung mehr Aufmerksamkeit zu widmen?

R.: Selbstverständlich. Wir haben auch im vergangenen Jahr schon sehr viel gemacht. Aber um nochmals darauf zurückzukommen: Unser Prinzip „Religion“ hat nicht den Sinn, an Feiern teilzunehmen, die für die Zeit nach dem Konzil katholisch-repräsentativ nur im Sinn der Testung sind, wie gläubig man ist — etwa eine Fronleichnamsprozession, Männerwallfahrten und dergleichen.

F.: Das ist auch der Grund, warum der CV die Verpflichtung für seine Mitglieder aufgehoben hat, an der Fronleichnamsprozession teilzunehmen?

R.: Richtig.

F.: Und Sie glauben, daß Sie da die Mehrheit der jungen CVer vertreten?

R.: Die Jungen auf jeden Fall.

F.: Ist die „ Academia“ als Zeitung des CV für die Gesamtmeinung im CV repräsentativ?

R.: Wissen Sie, bei einem so großen Verband für die Gesamtleitung vielleicht nicht. Auf jeden Fall für den Redaktionsstab und auch, so glaube ich, für einen Großteil der Jungen.

F.: Ist dieser Redaktionsstab eine Minorität?

R.: Eine Minorität vielleicht im Gesamtverband, eine Minorität für die geistige Haltung der Jungen glaube ich nicht.

F.: Der CVer Dr. Dairn fragt in einem Artikel „Marx im CV“, ob der CV nicht mit dem Marxismus das gleiche tun könnte wie seinerzeit mit dem Liberalismus, also ihn „reinigend zu absorbieren“?

R.: Also das glaube ich — ich möchte fast sagen, leider — nicht. Denn eine Theorie wie der Marxismus, so wie er uns gelehrt wird, ist nicht zu reinigen.

F.: Sie glauben also nicht, daß eine Kombination zwischen Christentum und Marxismus eine Chance hat, für den CV als eine legitime Ideologie

R.: im Sinne des „Reinigens“ nicht, im Sinne der philosophischen Diskussion ja. Hier gäbe es sicher viele gemeinsame Ansatzpunkte. Aber in der Politik, wo es auf die Entscheidung ankommt, so oder so, glaube ich nicht.

F.: Es heißt, viele CVer bekennen sich heute zu einer voraussetzungslosen Wissenschaft. Vor allem an der Hochschule. Stimmt das?

R.: Ich möchte wieder nicht den Begriffsinhalt eines Wortes zu bestimmen versuchen. Aber was ist voraussetzungslos?

F.: Das Herangehen an eine Wissenschaft ohne weltanschauliche Bindung.

R.: Das glaube ich, ist schwer möglich. Jede Wissenschaft und jeder Wissenschafter ist verquickt mit der Gesellschaft, in der er lebt.

F.: Das sagt auch die neue Linke.

R.:. Ja, nur geht sie mit anderen WefrarföilÄf 'an die įhbblėme heran. Meint aber Df. Drtmmol — und er ist ja gegen die voraussetzungslosen Wissenschaften — daß ein wertgebundener Wissenschafter, wenn er an eine Arbeit geht, schon weiß, was am Ende herauskommt, denn er hat ja seine Werturteile, dann würde ich die wertgebundene Wissenschaft selbstverständlich ablehnen. Denn ich bin dagegen, daß einem Katholiken verboten wird, über irgendein Gebiet zu forschen, nehmen wir zum Beispiel die Pille, oder einem Philosophen über die Psychoanalyse, nur weil das mit dem Glauben nicht vereinbar ist. Denn er entscheidet ja nicht, ob sie angewendet wird oder nicht. Aber darüber zu forschen, da hat er schon das Recht.

F.: Fast ein Drittel der jungen CVer wollen eine radikale Gesin- nungs- und Strukturreform. Hat der CV mit der Abschaffung des Farbtragens an den Hochschulen auch die Gesinnung abgelegt?

R.: Also zur Strukturreform. Natürlich gibt es auch in einem Verband wie dem Cartellverband Vorschläge, die auf eine Reform der Struktur abzielen. Sie sind zum großen Teil gut. Und dann gibt es natürlich die Reform der Strukturen der Hochschule und der Gesellschaft. Bleiben wir kurz beim Cartellverband. Natürlich wird sich ein Verband, der über 100 Jahre existiert, über seine Erscheinungsformen Rechnung stellen müssen. Ich bin überzeugt, daß wir hier gewisse For- men abschaffen müssen. Aber das führt nicht so weit, daß wir Drogen konsumieren, wenn wir den Bierkonsum absčhaffėn. Denn was ist schon dieses reglementierte Biertrinken? Das ist in unserer Zeit nicht mehr angebracht.

F.: Sie meinen also, daß derKneip- Comment, die Übung des Kommerses, die studentische Geselligkeit in gewissem Maße reformbedürftig ist?

R.: In sehr großem Maße. Diese versteinerten und alten Formen, die wir nicht mehr erklären können, belasten uns nur.

F.: Und haben wesentlich zu einem schlechten Prestige des CV in der Öffentlichkeit beigetragen.

R.: Leider. Aber nun zur Struktur der Hochschule. Und hier sind wir uns mit vielen anderen studentischen Gruppen einig. Die Hochschule ist in unserer Gesellschaft das letzte Überbleibsel einer Idee von Staateauffas- sung und Gesellschaftsstruktur, die reformiert gehört. Nur darin unterscheiden wir uns sofort von den Linken in einer Auffassung: Daß wir überzeugt sind, daß diese Hochschulreform mit den uns in dieser Gesellschaft, in dieser Republik Österreich, zur Verfügung stehenden Mitteln durchgebracht werden kann. Und wir werden sie auch durchbringen. Daß die Hochschulreform nicht nur der Beginn und Anstoß für eine unheimlich nebulöse, aber doch auf alle Fälle geforderte Gesellschaftsreform ist

F.: eine Gesellschaftsreform im Sinn einer umfassenden Demokratisierung? Sie sind also der Meinung, daß es auf der Hochschule autoritäre Strukturen gibt?

R.: Leider j a.

F.: Und daß diese autoritären Strukturen durch einen Demokratisierungsprozeß umgestaltet werden müssen?

R.: Ganz eindeutig. Vor allem, was die Prüfungen und die Berufungen der Professoren betrifft. Auch das Kontrollrecht über die Verwendung der Gelder und das Zustandekommen der Berufungen würde bei einer Partizipation, einer Teilnahme der Studenten, nicht nur diesen das Gefühl geben, daß sie emstgenommen werden, sondern die Professoren dazu zwingen, viel ehrlicher, viel offenemundrfviel rationaler ihre;'Enf? Scheidungen zu treffgru.ww ' ,iiSniJyG

F.: Würde das bedeuten, daß die Form einer Drittelparität wünschenswert wäre?

R.: Es muß ja nicht gerade Drittelparität sein; aber Parität von Professoren, Assistenten und Studenten in Departments, in Großinstituten oder im akademischen Senat.

F.: Und in dieser Auffassung treffen sie sich mit der Linken und können sich auch vorstellen, daß es zu einer gemeinsamen Aktion mit der Linken kommen könnte?

R.: Was die Hochschule betrifft, ja.

F.: Ist der CV eigentlich noch eine geschlossene, einige Gemeinschaft, die Disziplin besitzt oder nur mehr ein Verein wie andere auch?

R.: Der CV ist vielleicht nicht mehr so geschlossen wie vor 50 Jahren. Aber auch die katholische Kirche, und das sagt wirklich viel, ist nicht mehr so geschlossen wie vor 50 Jahren. Aber mit einer gemeinsamen gesellschaftlichen Basis, mit einem gemeinsamen ideologischen Überbau sind wir noch immer in unserer Zeit eine Eiche, die zusammenhält und noch immer viel geschlossener wirkt als etwa Interessengruppen oder politische Parteien. Drimmel hat recht, wenn er sagt, der CV habe nicht die Wache von gestern zu schieben. Und — der CV muß aus der „Negation in eine Position finden.“

.F: Herr Dkfm. Raidl, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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