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CV - Progressive Mitte?

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Aufbruch- und Umbruchstimmung kennzeichnet die geistige Situation Europas. Revolutionäre Bewegungen, erstmals in der Geschichte des alten Kontinents nicht aus einer materiellen Notlage heraus geboren, sondern aus der Not des Geistes, der in der Flut gelenkten Konsums zu ersticken droht, sind charakteristisch für die Opposition des Intellekts gegen die etablierten Mächte. Es dürfte in diesen Tagen von besonderem Interesse sein, zu sehen, wie sich eine Gruppe, die nach allgemeiner Ansicht eine der Hauptstützen der überkommenen Gesellschaftsstrukturen ist, zu dieser neuen Realität verhält und welche Aufgaben sie in der aktuellen Situation sich selbst zuerkennt. Die XI. Carfellversammlung der katholischen farbenfragenden Studentenverbindungen Österreichs (vom 22. bis 26. Mal in Wiener Neustadt) sah sich all jenen Herausforderungen gegenüber, die — etwa — das Auftreten der Neuen Linken auf den Hochschulen für einen Studenten — und Akademikerverband darstellt, sah sich — als katholischer Verband — den Problemen der Ökumene konfrontiert.

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Aufbruch- und Umbruchstimmung kennzeichnet die geistige Situation Europas. Revolutionäre Bewegungen, erstmals in der Geschichte des alten Kontinents nicht aus einer materiellen Notlage heraus geboren, sondern aus der Not des Geistes, der in der Flut gelenkten Konsums zu ersticken droht, sind charakteristisch für die Opposition des Intellekts gegen die etablierten Mächte. Es dürfte in diesen Tagen von besonderem Interesse sein, zu sehen, wie sich eine Gruppe, die nach allgemeiner Ansicht eine der Hauptstützen der überkommenen Gesellschaftsstrukturen ist, zu dieser neuen Realität verhält und welche Aufgaben sie in der aktuellen Situation sich selbst zuerkennt. Die XI. Carfellversammlung der katholischen farbenfragenden Studentenverbindungen Österreichs (vom 22. bis 26. Mal in Wiener Neustadt) sah sich all jenen Herausforderungen gegenüber, die — etwa — das Auftreten der Neuen Linken auf den Hochschulen für einen Studenten — und Akademikerverband darstellt, sah sich — als katholischer Verband — den Problemen der Ökumene konfrontiert.

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Der CV, weithin als Vorfeldorganisation der ÖVP betrachtet, verkörpert traditionell das konservative Element im katholischen Lager. Tatsächlich fällt auf, daß der politische Katholizismus, der das Leben der 1. und 2. Republik weitgehend geprägt hat, hauptsächlich von CVem getragen wurde. Es sei hier nur an die Namen Dollfuß, Schuschnigg, Figl, Raab im politischen Bereich, an Friedrich Funder und Gustav Canavalin der Publizistik erinnert. Mit der grundlegenden Änderung der Bedeutung des politischen Katholizismus (oder, wenn man will, mit dem Ende seiner historischen Relevanz) muß auch das Selbstverständnis des CV eine Wandlung erfahren. Die vergangene Cartellversammlung könnte ein Schritt auf diesem Weg gewesen sein.

Die für einen so traditionsschweren Verband bemerkenswert diskussionsfreudige Versammlung brach mit der Wahl dieses Zentralthemas eine Tradition — die des Verbalbekenntnisses zur Aktion auf den Hochschulen. Nunmehr steht der echte Wille, getragen von echten Konzepten, hinter dem Wunsch.

Aktion auf Hochschulboden war wesentliches Element der Gründungsintentionen des CV vor zirka 90 Jahren. Damals galt es, die ausschließliche Vorherrschaft einer weltanschaulichen Ausrichtung auf den Hochschulen zu ändern und die Pluralität der wissenschaftlichen Lehrmeinungen zu sichern. Der Kampf um die Präsenz des Katholizismus war erfolgreich. Mit dessen Etablierung und der Anerkennung des CV als führender Gruppe war zugleich der Umschlag zum Bewahrenwollen des Erkämpften gegeben — die erste Versuchung, die

Aktion zugunsten des Verwaltens zurückzustellen. Ein zweites: Kampfgruppen leiden unter einer gewissen geistigen Verengung. In der gesicherten Position nach 1945 wurde dieses Manko den „Jungtürken des CV“ (Alexander Vodopivec) bewußt. Der Begriff „Bildungsgemeinschaft“ gewann allmählich an Bedeutung. Die erkannte Kultur- und Geistfremdheit führte zur bewußten Begegnung mit Kunst und Wissenschaft, mit den kulturellen Phänomenen Österreichs und der Welt. Man erkannte die Gefahren des „Fachidiotentums“ und suchte die Arbeit in den Verbindungen auf die Erweiterung des durch das Studium vorgezeichneten Horizonts zu richten. Diese Bestrebungen waren allerdings verschieden weit gediehen: Während in manchen Verbindungen noch die Tradition der Kneipe dominierte, hatte (ich skizziere bloß) die Wiener „Norica“ hervorragende Repräsentanten des Wiener Literaturlebens zu Gast (Eisenreich, Dor, Torberg, Csokor, Weigel), veranstaltete (um eine zwar etwas extreme, aber vermerkenswerte Initiative zu erwähnen) die „Austria“ das erste Groß-Happening auf Wiener Boden. Richtungen für eine kulturbetonte Bildungsarbeit waren damit jedenfalls aufgezeigt.

Nun zeigte sich aber die große Gefahr, die die noble Konsumation erfreulicher Früchte der verfeinerten Bildungsarbeit mit sich brachte, die Gefahr der Selbstbeschränkung und Selbstgenügsamkeit, die Gefahr, auf das Engagement auf den Hochschulen zu vergessen. Es begann die Zeit (die nun zu Ende ist), da es in einer Verbindung höher geschätzt wurde, Dichterlesungen und Chansonabende zu organisieren, als sich der Hochschulpolitik zur Ver-

fügung zu stellen. Die damalige Aktionsfremdheit war allerdings für die gesamte Studentenschaft typisch. „Die Atmosphäre in der österreichischen akademischen Jugend ist im allgemeinen eher flau“, schrieb Michael Mitterauer noch 1965. Jetzt, in diesen Tagen, erfolgte der erhoffte und notwendige Durchbruch im CV: Zugleich mit der nunmehr allgemein anerkannten Forderung, Bildungsgemeinschaft zu sein, wird erneut eine der Zeit adäquate Form der Aktionsgemeinschaft gefordert. Anpassung des Gründungsgedankens an die heutige Realität. Ein neues Bewußtsein um die studentische Situation fand ihren Niederschlag in der Formulierung der von der CW einstimmig beschlossenen Resolution „Zur Lage an den österreichischen Hochschulen“, die unter anderem folgende Forderungen der Studentenschaft unterstützt:

„ — die Universität wieder zum Ort kritischer Meinungsbildung zu machen,

— die Hochschulen als den ureigensten Lebensraum der Studenten verantwortungsbewußt mitzugestalten,

— den Anliegen der hohen Schu-

len vordringliche Bedeutung zuzumessen,

— die Interessenvertretung der Studenten, die österreichische Hochschülerschaft nach eigenen Vorstellungen zu erneuern.“

Außerdem wird in diesem Dokument festgestellt, es sei „Verdienst der Studentenschaft“, „die in der Vernachlässigung geistiger Werte gelegenen Mißstände der Wohlstandsgesellschaft“ aufgezeigt und der Gesellschaft „immer wieder vorgeworfen zu haben“.

Trotz dieser CV-ungewohnten Formulierungen erscheint eine andere Reaktion des Carteilverbandes auf die derzeitigen hochschulpolitischen Aktivitäten verschiedener Studentengruppen als viel wesentlicher: Die Mithilfe an der Ablöse des durch eine komplizierte Verbändestruktur immobil gewordenen „Wahlblocks“ durch eine neue Studentenpartei, die „österreichische Studenten Union“ (ÖSU). War es bis jetzt nur denjenigen Studenten, die Mitglieder der den „Wahlblock“ konstituierenden Verbände waren, möglich, in dieser das Zentrum repräsentierenden Gruppe mitzuarbeiten, so steht es nun jedem frei, der die Grundsätze der ÖSU (progressiv-christlich, österreichisch, antiautoritär, demokratiebewußt, planungsfreundlich, kritisch, reformfreudig) bejaht, aktiv an der studentischen Mitgestaltung der Hochschulen teilzunehmen. Dipl.-Ing. Schattovits, der von CV- Seite her als einer der Väter der ÖSU gilt, sieht die neue „Partei“ als eine Gruppe der progressiven Mitte, „einer Mitte, die sehr weit verstanden sein will, sich jedoch scharf und eindeutig gegen Extreme abgrenzt“. Peter Diem („österreichische Monatshefte“, 24 5) formuliert es folgendermaßen: „…Es ist der Versuch, die bisherigen .konservativen' Studentenverbände zu einer auch ideologisch schlagkräftigen, modernen studentischen Bewegung zusammenzuschließen, dabei aber die Auswüchse des Revoluzzertums um jeden Preis zu vermeiden. Fortschrittlich, ja radikal in der Einstellung, realistisch und tatkräftig in der Durchführung müßte die künftige Politik in der ÖSU sein. Nicht bequem für das Establishment, aber erfolgreich für alle — für die Studenten und für die Gesellschaft…“

Man hat aus schlechten Erfahrungen gelernt, scheint es. Vielleicht läßt sich durch die Konstruktion der ÖSU einer der Hauptfehler der Hochschulpolitik des CV vermeiden: die Mißachtung der grundsätzlichen Reformkonzeptionen, die — von den CVern Burian, Leeb, Mitterauer, Vogt, ausgearbeitet — durch ihre Durchführung viele lautstarke Kritik an den bestehenden Zuständen von Haus aus ausgeschlossen hätte — wäre es nicht von den aktiven CVern im Wahlblock als wichtiger angesehen worden, mit den anderen Verbänden um Posten von Fachschaftsleiter und Vorsitzenden zu streiten.

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