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Digital In Arbeit

Das Arbeitnehmerschutzrecht

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Der Arbeitsvertrag wurde aber nicht nur um diese personenrechtlichen Elemente erweitert, sondern auch zugunsten des schwächeren Partners beeinflußt. Das wirtschaftliche und persönliche Übergewicht des Unternehmers gegenüber dem unorganisierten Dienstnehmer hatte die vom Gesetzgeber vorgesehene Vertragsfreiheit und Partnergleichheit in Frage gestellt. So kam es zum Einbau verschiedener Schutzbestimmungen, zur Sicherung von Urlaub und Krankenentgelt, zür bezahlten Freistellung vom Dienst in verschiedenen Fällen, zum Kündigungsund Entlassungsschutz usw. Das Arbeitsrecht, das den Arbeitsvertrag erfüllen sollte, wurde damit vornehmlich zu einem Arbeitnehmerschutzrecht.

Diese Entwicklung wurde aber außerhalb der positiven Rechtsordnung von einem faktischen Geschehen begleitet, das für den Arbeitsvertrag nicht ohne Folgen blieb, nämlich dem unerhörten Erstarken der Gewerkschaftsbewegung. Durch die Tatsache, daß heute hinter dem Arbeiter und neben dem Betriebsrat eine schlagkräftige Interessenvertretung steht, wurde in das Verhältnis Arbeitgeber- Arbeitnehmer eine völlig neue Note gebracht, die die Stellung des Arbeitnehmers zu einer der des Arbeitgebers gleichwertigen gemacht hat.

Bedeutung der Interessenverbände

Diese Entwicklung äußert sich einerseits in der immer stärker in Erscheinung tretenden Regelung der wirtschaftsinternen Probleme durch die Interessenverbände im Wege von Kollektivverträgen, anderseits aber auch durch das überwiegende Mitsprache- recht dieser Interessenverbände in öffentlichen Gremien, beispielsweise in der Paritätischen Kommission für Lohn- und Preisfragen. Aber auch die weitreichenden Mitspracherechte der Betriebsräte und die diesen zu Gebote stehenden rechtlichen und tatsächlichen Mittel zur Durchsetzung ihrer

Wünsche haben den Rahmen des individuellen Arbeitsverhältnisses wesentlich modifiziert. Diese Überlegungen dürfen bei der Beurteilung der Position des Arbeitnehmers nicht fehlen.

Diese Erkenntnisse lassen nämlich den Schluß zu, daß heute durch die wesentlich geänderten tatsächlichen Verhältnisse das Arbeitsrecht kein reines Arbeitnehmerschutzrecht mehr sein darf. Sie erfordern vielmehr, an eine grundlegende Neuorientierung zu schreiten.

Aufgaben einer Neuordnung

Die Erfahrung in Österreich lehrt, daß in einem derart von sozialen Aspekten geprägten Staat der verderbliche Gedanke des Klassenkampfes mehr und mehr aus dem Bewußtsein entschwindet. Immer stärker setzt sich die Idee der echten betrieblichen Leistungsgemeinschaft durch, das Bewußtsein, daß nur durch kombinierten Einsatz von Arbeit und Kapital das Bestehen des Betriebes gesichert werden kann. Der wichtigste soziale Schutz sowohl des Arbeitgebers als auch des Arbeitnehmers liegt eben in florierenden Betrieben und damit in einer gesunden Wirtschaft. Es wäre durchaus bedenklich, wollte man diese Erkenntnis bei der Gestaltung des Arbeitsvertrages außer acht lassen.

Das Recht des Arbeitsvertrages sollte vielmehr auf diesen modernen Überzeugungen aufbauen, dem Gedanken des Klassenkampfes entschieden entgegentreten und die gemeinsamen legitimen Interessen des Arbeitgebers und Arbeitnehmers zum Angelpunkt machen. Dieses Gemeinsame aber ist der Bestand des Betriebes, der die Existenz beider Vertragspartner garantiert. Die gegenseitigen Rechtsverhältnisse sollten daher am Bestand des Betriebes orientiert werden; das bedeutet, daß die beiderseitigen Rechte und Verpflichtungen so zu gestalten wären, daß sie den Fortbestand des Betriebes begünstigen; die personenrechtlichen Elemente und der Gedanke des Arbeitnehmerschutzes würden dabei nicht verloren gehen. Das Weisungsrecht des Arbeitgebers und damit die Betriebshierarchie werden hier genau so notwendig sein, wie etwa die Eigenverantwortung des Arbeitnehmers und ein gerechtfertigter Arbeitsplatzschutz.

Ein Vertrag, der die volle persönliche Mitarbeit und Anteilnahme beider Vertragspartner erfordert, kann heute nicht so konstruiert werden, daß er allein den Schutz des einen vor dem anderen und damit also eine grundsätzliche Disharmonie und das angenommene Bestreben des einen, den anderen zu Übervorteilen, in den Vordergrund stellt. Das Arbeitsrecht dürfte nicht an den trennenden, sondern müßte an den verbindenden Interessen anknüpfen. Geht eine Neugestaltung des Arbeitsrechtes bei der Formulierung jeder Einzelbestimmung von diesen Überlegungen aus, so wird sie der Anerkennung von beiden Seiten gewiß sein können; baut sie dagegen auf sozial überholten Vorstellungen auf, so wird sie keinesfalls das Attribut echten Fortschrittes für sich in Anspruch nehmen können.

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