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Digital In Arbeit

Der Einzelne und der Apparat

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Die Würdigung der in knapper Form erwähnten vorgesehenen Vorschriften ergibt sich weitgehend aus ihrem Sinn selbst, auch für den Rechtsunkundigen. Sie sind gekennzeichnet durch eine weitgehende Herausnahme der gesamten Rechtsmaterie aus dem im Naturrecht verankerten klassischen Verlagsrecht von Treu und Glauben und gehen von der unverkennbaren und im amtlichen Kommentar auch hervorgehobenen Absicht aus, den unselbständig Arbeitenden in erster Linie vor drohenden Übervorteilungen zu schützen. Zu diesem Zweck soll nunmehr bei der gegenseitigen Rechtsabstimmung der Arbeitnehmer insofern zum Stärkeren gemacht werden, als er jede seiner Erklärungen einer nach- herigen Überprüfung nach sozialen Gesichtspunkten anheimstellen kann, der Dienstgeber aber auf jeden Fall festgelegt ist. Dies unter Ümständen sogar mit freiwilligen, widerruflichen Leistungen. Es darf keineswegs übersehen werden, daß die dem Arbeitnehmer hier zugebilligten Rechtsvorteile Anreiz und Handhabe in hohem Grade liefern würden, das entgegenkommende Gesetz auch zu einem ungerechtfertigten Vorteil anzuwenden. Man bedenke etwa nur die praktische Auswirkung eines ‘ Rechtssätzes, der unklare ‘Vereinbarungen für einen der Vertragspartner zum absoluten Vorteil macht! Besonders bemerkenswert ist aber auch die Tendenz, das Schwergewicht im „Arbeitsplatzdreieck“, wie es bei Untersuchungen über das moderne Arbeitsverhältnis erfaßt wurde, zum dritten Punkt, dem Kollektiv, beziehungsweise den Vertretern der Betriebs- und Berufskollegen zu verschieben. Wie erwähnt, ist eine zwingende Mitwirkung von Berufskörper- schaften bei Vergleichsabschlüssen, geplant, ein selbständiges Klagerecht des Betriebsrates mit Rechtswirkung für den Arbeitnehmer selbst und ein Vorbehalt der sehr bedeutsamen Kündigungsanfechtung für Fälle, da der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung widersprochen hat. Damit erhalten die an sich außer jedem Zweifel in ihrem Wert kaum zu überschätzenden Arbeitnehmerinstitütionen außer der freiwillig in Anspruch genommenen, unterstützenden Aufgabe eine echte stellvertretende und damit gegenüber dem Vertretenen autoritätsgespeicherte Funktion. Die hinter diesen Plänen stehende Absicht scheint nicht von ungefähr zu kommen, sondern im Einklang mit einem Konzept zu stehen, das die gewaltige Gruppe der Arbeitnehmer immer stärker unter die Führung eines mächtigen Apparates stellen soll. Je stärker allerdings die Führer, um so schwächer die Geführten. Am Ende könnten für die Betroffenen Einbuße an Selbständigkeit und Entmündigung stehen.

Um nicht ein Mißverständnis hervorzurufen, muß an dieser Stelle betont werden, daß der natürliche Interessengegensatz zwischen Lohnzahlendem und Lohnempfangendetn keinesfalls unterschätzt und die ursprünglich gegebene Überlegenheit des Unternehmers und Betriebsinhabers nicht übersehen werden soll. Es wird jedoch gerade mit diesem Punkt Absicht und Ziel einer gerechtigkeitssuchenden Sozialpolitik erfaßt: die Schaffung eines Kräftegleichgewichtes und die Erzielung einer vertretbaren Verteilung des Arbeitsproduktes. Für alle anderen kann zur Umschreibung der sozialpolitischen Zielsetzung auf den Sozialhirtenbrief der österreichischen Bischöfe hingewiesen werden — Sozialordnung des Maßes, Verbindung von menschlicher Selbstverantwortung mit sozialer Verantwortung, betriebliche Partnerschaft als mögliches Konzept für die Behauptung gegenüber der Gefahr des autoritären Kollektivismus.

Kein regulierter Klassenkampf

Diesen Gedanken gegenübergestellt, müssen die vom Sozialministerium geplanten Gesetzesregelungen zum Schutz des Unselbständigen doch stark von zunächst positiv scheinendem Gehalt verlieren. Scheinen sie doch in der bekannten Ansicht verfangen zu sein, ein jegliches soziales Problem sei auf die unüberwindliche Feindseligkeit der besitzenden und der besitzlosen Klasse zurückzuführen, denn sie sehen die Partner des Arbeitsverhältnisses einander mißtrauend, ja sich geradezu belauernd. Es drängt sich der Vergleich mit der Situation auf, daß eine krieg- führende Partei versucht, eine günstige Kampfsituation für einen Waffenstillstand zu benützen, der dem Gegner möglichst harte Bedingungen diktiert.

Die Geschichte lehrt jedoch, daß diktierte Frieden nicht dauerhaft sind. Es wird nötig sein, dem wohl einseitig gezeichneten Plan auch im Konkreten ein bestimmtes und konstruktives Konzept entgegenzusetzen. Gewarnt muß davor werden, dem Beharren bei den geltenden Regelungen und Bestimmungen, die zum Teil jüngeren Ursprungs, zum Teil aus dem vorigen Jahrhundert stammend, unorganisch gewachsen sind, das Wort zu reden. Ein steriler Konservatismus würde die Entwicklung zu einem freien, den christlichen Grundsätzen entsprechenden modernen ArbeitsVerhältnis ebenso hemmen wie das Akzeptieren von Reformen im Sinne eines regulierten Klassenkampfes.

Bei den Auseinandersetzungen um das künftige ArbeitsTecht, die mit Fortschritt der Vorarbeiten immer weitere Kreise deT Öffentlichkeit erfassen werden, wird es die Aufgabe “ein, eine wahrhaft fortschrittliche Rechtsschaffung zu befürworten. Diese wird nicht nur von den erstarrten Kategorien einer quantitativ planenden Sozialpolitik ausgehen dürfen, sondern auch geeignet sein müssen, eine Wesensverbesserung der Sozialordnung zu bewirken. Der Plan zu einer Kodifikation des Arbeitsrechtes stellt sich damit als Gelegenheit und Aufgabe dar, das wertvolle christliche Gedankengut zur sozialen Frage bei der Rechtsohaffung wirksam zu machen. Daß dem unselbständig Arbeitenden Gerechtigkeit, aber nicht eine Einbuße seiner freien Persönlichkeit zugunsten des Kollektivs widerfahre, wird hierbei ein besonderes Anliegen sein.

Vgl. „Die Furche“ Nr. 9 vom 4. März 1961.

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