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Die Lehren für Österreich

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Als am Donnerstag vergangener Woche auf dem Wiener Zentralfriedhof die sozialdemokratische Anhängerschaft aufmarschierte, ihre roten Fahnen schwenkte und sich vor dem Mahnmal des 15. Juli 1927 aufstellte, glaubte man sich zuerst zeitlich um Jahrzehnte zurückversetzt. „Nein, so konnte es nicht gewesen sein”, schoß dann aber der Gedanke durch den Kopf: Der Lärm der Düsenjets, die vom Schwechater Flughafen aus starteten, die Gendarmeriebeamten, die sich .inmitten der Versammelten aüfgestelit natieri,’ keine revolutionär klingenden Worte in den Reden des Nationalratspräsidenten Benya und des Justizministers Broda.

Die Natur tat das ihre dazu, damit die Kundgebung etwas Würdevolles an sich hatte: Dunkle Wolken lagen am Himmel und kündigten ein schweres Gewitter an, das Grün der umliegenden Bäume strahlte ge spenstisch auf das Denkmal. Und doch lag nichts Drohendes in der Luft…

Die Blicke der ältesten unter den sozialdemokratischen Parteigängern starrten auf das Mahnmal, an dem in langen Reihen die Namen jener angeführt sind, die am 15. und 16. Juli durch die Kugeln aus den Infanteriegewehren der Sicherheitswachebeamten verblutet waren. Gedachte wohl auch jemand der vier Beamten, die an denselben beiden Tagen - ebenfalls schuldlos : niedergestreckt wurden?

Zu unwahrscheinlich klingen für jemanden - der die damalige Zeit nicht miterlebt hat - die Erzählungen von den Ereignissen dieser Tage. So leicht konnte damals politischer Radikalismus in blutigen Terror Umschlagen?

Nationalratspräsident Benya sprach aus, was sich jeder (gleich welcher politischen Gesinnung) bei dieser Kundgebung gedacht haben mag: „Gerade hier, an dieser Grabstätte, und nachdem Generationen nachkommen, die diese schreckliche Entwicklung nicht miterlebt haben, ist es nötig zu sagen, daß man bei silier Gegensätzlichkeit versuchen soll, die Probleme menschlich zu lösen, ohne Gewaltakte zu setzen.”

Alte Wunden wurden an diesem 14. Juli 1977 nicht aufgekratzt. Beide Redner sprachen von Versöhnung. Benyą formuliertem ,^Es konnte’ erreicht werden, daß’ man bei aller Auseinandersetzung aus weltanschaulichen Gründen es immer noch verstanden hat, Kompromisse zu schließen und eine ständige Verbesserung der Lebenshaltung herbeizuführen.” Und: „Demonstrationen sind ein Recht in der freien Gesellschaft. Es ist aber auch Pflicht des Staatsbürgers und der Vertreter der Staatsgewalt immer daran zu denken, daß es mit Gewaltakten keine Dauerlösungen gibt.”

Justizminister Broda schlug in dieselbe Kerbe, wenn er erklärte: „Die Tragödie des 15. Juli ist geschichtlicher Ausgangs- und erster Anknüpfungspunkt unserer späteren Einigung auf dem gemeinsamen Boden der Achtung der gleichen Prinzipien des friedlichen Zusammenlebens im Geiste der Toleranz und der Achtung des Standpunktes des anderen geworden.”

Was trotz all dieser versöhnenden Worte nachdenklich stimmte, war die Reinwaschung der sozialdemokratischen Demonstranten dieses

15. Juli 1927. Sicherlich ist an diesem blutigen Freitag und am nächsten Tag viel unschuldiges Blut geflossen, so friedlich, wie Broda und Benya es darstellten, waren die Demonstranten aber beim besten Willen nicht. Daß der 15. Juli 1927 das Ergebnis einer jahrelangen Hetze von reaktionären Kreisen gegen die Sozialdemokraten war (Benya), ist wohl auch eine ziemlich einseitige historische Interpretation der Schuldfrage. Die sozialdemokratische Anhängerschaft war damals genausowenig lammfromm, wie ihre Führer friedfertige Hirten waren.

Die innenpolitische Situation - dafür war diese Kundgebung der Sozialdemokraten der beste Beweis - hat sich entscheidend gewandelt An Stelle blutiger Eskalation ist die Einsicht getreten, daß man politische Auseinandersetzungen mit geistigen Waffen führen muß. Alle Bürger dieses Landes haben das aus diesem 15. Juli 1927 gelernt.

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