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Niemals vergessen!

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An der Stirnseite des Künstlerhauses in Wien prangt seit Mitte September 1946 in blutigen Buchstaben die Aufschrift: „N i e-m a 1 s v e r g e s s e n !“ Sie lädt zum Besuche einer Ausstellung ein, die ihresgleichen nicht hat. Urkunden und Ziffern und Bilder, die von Greueltaten erzählen, die auch inmitten der so blutigen Geschichte der Menschheit unerhört sind, durch ein Jahrzehnt vor aller Welt, im christlichen Europa verübt und nur durch die Kriegsniederlage der Henker beendet. Wie war das möglich? Wie konnten all diese Unmenschlichkeiten geschehen? Wer trägt daran die Schuld?

Die Ausstellung nennt als Schuldigen den Faschismus, sie ist eine einzige öffentliche Anklage gegen den Faschismus, Anklage und Urteil zugleich. Sie macht ihn verantwortlich für den Weltkrieg und alle seine Scheußlichkeiten, sie nennt als Opfer des Krieges 56 Millionen Menschenleben,

12 Millionen KZ-Opfer, 17 Millionen Heimatlose und Materialschäden im Werte von 3000 Milliarden Friedensschillinge. Die Ausstellung in ihrer Gänze ist eine mit großer Umsicht entworfene Anklageschrift. Der Faschismus ist der Verbrecher, der Urheber all dieses Unheils, nie vergessen!

Der Faschismus hat in seinen beiden Hauptländern unter lockenden Losungen begonnen. Gegenüber der Zerrüttung und Auflösung der öffentlichen Ordnung nach dem Kriege in Italien vertrat er mit Geschidt und guter Wirkung die Ordnung und Sauberkeit der öffentlichen Verwaltung und die fleißige Arbeit zum Aufbau der Kriegstrümmer. Im Deutschen Reich versprach er einem von dem Gewaltfrieden von Versailles schwer belasteten Volke Befreiung von diesen unwürdigen Fesseln und Einigung in einer großen Volksgemeinschaft ohne soziale und konfessionelle

Zersplitterung. Hier wie dort wußte er einen großen Teil der Jugend für seine Ziele zu begeistern und frische Arbeitskräfte zu organisieren. Er war nicht sosehr die Frucht einer vorbedachten Staatslehre als die Schöpfung abenteuerlicher Männer, die es vermochten, die Massen zu gewinnen und die Macht im Staate zu erobern. Der Erfolg war anfangs mit ihren Fahnen und mit dem Erfolg wuchs die Kühnheit ihrer Losungen und Unternehmungen.

Was war, was ist der Faschismus? Es gibt viele, die ihn im Munde führen, ohne sich auf diese Frage eine genaue Antwort zu geben. Die Antwort ist auch nicht ganz einfach, denn der Faschismus ist weniger durch bestimmte Lehren, als durch seine Führer repräsentiert, und diese zeigen in den zwei Jahrzehnten ihrer fieberhaften Tätigkeit eine deutliche Entwicklung Immerhin hat sich der Faschismus zu einer bestimmten Weltanschauung gefestigt, so daß seine tragenden Gedanken zu erkennen i sind. Die Ausstellung selbst nennt in einer bildhaften Darstellung als geistige Fundgruben des faschistischen Systems: Führerprinzip, Chauvinismus Militarismus, falsche Philosophie, Rasserhaß. Das alles trifft zu. Aber war das alles? Sind damit die .entsetzlichen Unmenschlichkeiten erklärt, deren sich die Führer und Helfershelfer des Faschismus schuldig gemacht haben? Was i m Faschismus hat die Schwerter und Richtbeile geschärft und die Maschinengewehre geladen, die unzähligen unschuldigen Männern und Frauen und Kindern einen grausamen Tod gebracht? Was i m Faschismus hat die Gewissen so abgestumpft und die Herzen so verhärtet, daß jegliches Gefühl der Menschlichkeit erstorben zu sein sthien? Man mordete und raubte und versklavte ja nicht nur in leidenschaftlicher Wut, man führte einen bewußten, systematischen Vernichtungskampf, sozusagen nach Grundsätzen, und ließ sich als Retter und Befreier feiern. Woraus schöpfte man dazu den frevlerischen ,Mut und die Berechtigung? Wo ist das Grundübel zu suchen? Wer war der Haupt schuldige?

Als einer der „Führer“ seinen Geburtstag feierte, sandte ihm der andere als Angebinde die Prachtausgabe von Nietzsches Werken. Ist damit nicht, namentlich für den deutschen Faschismus, die Antwort auf unsere Frage nach dem Hauptschuldigen gegeben? Der Obermensch im Faschismus und, was daraus sich entwickelt hat, das O b e r v o 1 k war der Haupturheber der faschistischen Greuel.

Im Mittelpunkt der .nationalsozialistischen Gedanken steht die Vergottung, die Ver-götzung des eigenen Volkes. Nicht mehr Menschheit, nur Völker gibt es da, daher keine allgemeine Humanität kein Weltchristentum mehr. „Für den Faschisten existiert überhaupt nichts außerhalb des Staates, weder materiell noch geistig, noch besitzt etwas einen Wert außerhalb des Staates. In diesem Sinne bedeutet Faschismus Ganzheit (Totalität) und der faschistische Staat die Zusammenfassung und Vereinheitlichung aller Werte“ (Mussolini, Dottrina I, 13). Darum „alles für den Staat, nichts gegen den Staat, nichts außerhalb des Staates!“ (ebenda). Und die gleiche Einzigkeit des in der Einschätzung eigenen Volkes und Staates gegenüber anderen Völkern und Staaten, das eigene Volk ist Übervolk, und wie der Obermensch die zwei steinernen Tafeln von Sinai zerschmetterte, so um so mehr das Ober-Tolk; es ist selbst sein Gott und schafft sich selbst sein Recht und seine Sittlichkeit.

Damit ist alles göttliche und menschliche Recht außer Kraft gesetzt, ja damit das Obervolk im totalitären Staat höher als alles Recht gestellt, dessen „Führer“, auf den göttlichen Thron erhoben, schrankenlos, verantwortungslos. Gut und Blut Unzähliger im eigenen Volke sind seiner Willkür überantwortet, auch der Friede und Wohlstand anderer Volker sind ihm ausgeliefert, wenn seine Macht sie überwältigen kann. Der Staat, das heißt das Übervolk im Staate, ist alles, kann alles, darf alles; bei ihm liegt es auch, die Mitted zm bestimmen, und der totalitäre Staat kennt da keine Grenzen. „Der Zweck heiligt die Mittel“, konnten wir im Wartesaal der Prager Gestapo lesen, wenn wir aas dein grünen Wagen zum Verhör abgeladen wurden, und die zerschlagenen Jammergestalten, die zuweilen aus den Verhörzimmern schwankten, waren sprechende Zeugen dafür, daß man sich nicht scheute, diesen Grundsatz blutig auszuwerten.

Eine unausweichliche Folge davon war das Abrücken von Kirche und Religion, ja deren offensichtliche Bekämpfung. In seinem Buch „Mein Kampf“ hatte bekanntlich der deutsche „Führer“ zu Beginn seiner politischen Tätigkeit die Worte niedergeschrieben: „Dem politischen Führer haben religiöse Lehren und Einrichtungen seines Volkes immer unantastbar zu sein, sonst darf er nicht Politiker sein, sondern soll Reformator werden, wenn er das Zeug dazu hat.“ Und in seiner großen Programmrede im Reichstag am 23. März 1933 hatte er erklärt: „Die nationale Regierung sieht in den beiden (christlichen) Bekenntnissen die wichtigsten Faktoren zur Erhaltung unseres Volkstums. Ihre Rechte sollen nicht angetastet werden.“ In diesem Sinne schloß er bald darauf das Konkordat mit dem päpstlichen Stuhle. Die Wirklichkeit war wachsende Anfeindung und Unterdrückung beider Bekenntnisse durch die Partei- und Staatsgewalt, Einkerkerung von Tausenden ihrer Geistlichen, Aufhebung der konfessionellen Schulen, Ausschließung von Ordensleuten vom Schulunterricht, Behinderung des Religionsunterrichtes, Aufhebung von Klöstern und kirchlichen Anstalten, Ersatz der christlichen Kirchen durch eine verschwommene „Gottgläubigkeit“ mit allerlei pseudoreligiösen Feiern. Und das alles inmitten des Krieges. Was wäre erst nach einem siegreichen Kriege zu fürchten gewesen. Aber es mußte so kommen, neben dem Gotte Volk war für Gott, wie ihn das Christentum lehrt, kein Platz mehr.

Von all diesen antireligiösen Maßregeln im Bereich des deutschen Faschismus berichtet die Ausstellung nichts. Gerade sie bieten aber einen deutlichen Fingerzeig, was im Faschismus, wenigstens im deutschen, die Hauptschuld an seinen Greueltaten trägt. Politisch war der Faschismus antiliberalistisch und antidemokratisch zugleich, sozial antisozialistisch und antipazifistisch, aber alles das begründet nidit seine erbitterte Gegnerschaft gegen alles' Positiv-Religiöse, ebensowenig sein Antisemitismus. Er war in sicli selbst nicht nur kirdienfeindlich — in seinem Totalitarismus mußte er das sein —, sondern auch religionsfeindlich, Feind jedes positiven religiösen Bekenntnisses, er mußte auch das sein, warum? Weil Religion seine Anklägerin war. Er wollte keinerlei sittliche Bindungen anerkennen.

„N iemalsvergessen!“ — mahnt die Ausstellung. Ganz mit Recht. Alles, was wir im letzten Jahrzehnt erlebt und erlitten haben, darf nicht vergessen werden, vor allem nicht der entsetzliche Krieg selber. Das lebende Geschlecht muß das schreddiche Kriegserlebnis unauslöschlich in seiner Erinnerung tragen. Der Krieg muß auf absehbare Zeit den Krieg erschlagen haben. Nicht vergessen sollen und dürfen wir auch nicht das Unheil, das der Faschismus über Europa gebracht hat und im Faschismus jener Irr- und Aberglauben, der am meisten die zerstörenden Mächte entfesselt hat. Die

Gottlosigkeit nncl die in ihrem Gefolge schreitende Sitten- und Rechtlosigkeit, sie war nicht einzig das Werk des Faschismus, dieses Gift wühlte schon lange im Leibe der christlichen Völker. Seine mörderische Wirkung ist auch nicht auf den Faschismus beschränkt, auch unter anderen Formen kann diese Pest in ähnlicher Weise zum Ausbruch kommen. Ohne Gott herrscht die Bestie im Menschen und es bewahrheitet sich Griil-parzers Wort: „Von Humanität durch Nationalität zur Bestialität!“

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