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Nicht wie ein Formel-I-Wagen

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Unsicherheit ist derzeit auf politischer und wirtschaftlicher Ebene jene Kategorie, mit der man am stärksten rechnen muß. Am 9. Dezember scheiterten die Parteien- und Sozialpartnerverhandlungen über eine Veränderung oder Verlängerung der Wirtschaftsgesetze an festgelaufenen Fronten: der ÖGB wollte ein Weisungsrecht des Landwirtschaftsministers in den Agrarfonds, einen geänderten Abstimmungsmodus und eine stärkere Vertretung in diesen Fonds; die ÖVP meinte, daß damit ein integrierendes Element der Sozialpartnerschaft fallen würde, die nun einmal auf Kompromiß und nicht auf Mehrheitsentscheidungen beruhe. Ein Ende der Marktordnung war in Sicht, die Gefahr, daß für Milch, Brot, Butter und Zucker in Bregenz und Innsbruck völlig andere Preise als in Wien und Linz verlangt und bezahlt würden, lag nahe. In dieser Situation forderte Bundeskanzler Kreisky eine unveränderte Verlängerung der Wirtschaftsgesetze auf ein Vierteljahr, ÖVP-Obmann Schleinzer erklärte, daß für seine Partei die untere Verlängerungsgrenze bei einem Jahr liege, jede andere Entscheidung würde die ÖVP ablehnen.

Am 13. Dezember 1974 fiel im „Weihnachtspoker“ die Entscheidung: Substantiell nicht wesentlich verändert, werden die Wirtschaftsgesetze am 17. Dezember im Parlament auf eineinhalb Jahre verlängert. Die Sozialpartner, allen voran ihre Vertreter Bundeskammer- Generalsekretär Mussil und ÖGB- Zentralsekretär Hofstetter, haben sich auf einen Konsens geeinigt. Bundeskanzler Kreisky, der noch wenige Tage zuvor erklärte, daß eine Verlängerung Über drei Monate hinaus nicht in Frage komme, blieb nichts anderes übrig, als gute Miene zu mimen.

Die „Arbeiter-Zeitung“, in diesem „Pokerspiel“ publizistisch federführend, mußte am 14. Dezember einge- stehen, daß sich die ganze Sache für die SPÖ nicht gelohnt hat: Die strittigen Fragen in den Fonds müs sen zuerst in einem Gipfelgespräch der Sozialpartner erörtert werden: „Weder der ÖGB wird in den Fonds vertreten sein noch ändert sich am Abstimmungsmodus etwas.“ Der Handelsminister kann für die Dauer von sechs Monaten dort einen Höchstpreis festsetzen, wo die Erhöhung über das betriebswirtschaftlich gerechtfertigte Maß hinausgegangen ist (wer wird nun in den Kalkulationen der Unternehmen schnüffeln?), wo es sich um Leistungen in örtlichen Bereichen handelt (Friseure, Fremdenverkehr, Installateure usw.) kann der Handelsminister die Landeshauptleute mit der Wahrnehmung der Preiskompetenz beauftragen.

Fazit: Fast alles beim alten! Aber doch mehr als eine Hornberger Schießübung. Die Diskussion um die Veränderung oder Verlängerung der Wirtschaftsgesetze begann im Sommer 1974, verhältnismäßig früh, unvermittelt, löste in den Parteien und bei den Sozialpartnern Aggressionen aus, führte zu sogenannten grundsätzlichen Standpunkten und schien am 9. Dezember endgültig, und zwar zu Lasten der österreichischen Produzenten und Konsumenten, beendet. Ganz offensichtlich war man in beiden Lagern bereit, über diese Diskussion eine Entscheidung über den nächsten Nationalratstermin zu erreichen. Vor allem auf seiten der Sozialpartner tendierte man eher zu vorzeitigen Wahlen und zur Bildung einer großen Koalition. ÖGB-Präsi- dent Anton Benya kennt in diesem Punkt nur eine Partei, und das sind die Arbeitnehmer in Österreich. Wahrscheinlich erklärt sich daraus seine immer vehementere Abneigung gegen Finanzminister Androsch, die zuletzt dazu führte, daß er dem jungen Polit-Aufsteiger das „Du“-Wort entzog. Unter diesen Gesichtspunkten ist sein „Kampf bis aufs Messer“ zu verstehen, dieser Kampf hatte insofern Methode, als er dem Bundeskanzler die politischen Grenzen seines vom Nebel der Unsicherheit verhangenen Spielraums deutlich zeigte. Deshalb forderte Anton Benya ein Maximum, aus dem schließlich ein Minimum wurde, das Bundeskanzler Kreisky auch noch als Erfolg seiner Partei und seiner Regierung verkaufen mußte.

Bundeskanzler Kreisky darf sich nun eine „Dämpfung des Preisauftriebs“ erwarten. Daß diese Interpretation des Ergebnisses der Parteien- und Sozialpartnerverhandlungen über die Wirtschaftsgesetze wenig mit der wirtschaftlichen Wirklichkeit zu schaffen hat, zeigt die geänderte Prognose des Wirtschaftsforschungsinstituts über die Höhe der Inflationsrate im kommenden Jahr. Vor drei Monaten hieß es noch, daß diese Rate bei 9,5 Prozent liegen werde, nun heißt es, daß

11 Prozent wahrscheinlich und

12 Prozent möglich sind.

Aus einem offensichtlich als Absprungbasis für die Vorverlegung von Neuwahlen gedachten Plan ist nichts geworden, so wie es überhaupt scheint, daß der SPÖ, ihrem Vorsitzenden und der Bundesregierung die Wahlschlager rascher da- vonlaufen als Formel-I-Wagen in der Geraden. Über die Wirtschaftsgesetze wird wieder, höchstwahrscheinlich in einer neuen Koalition, im Frühjahr 1976 diskutiert werden, denn per 1. Juli 1976 müssen sie verlängert und sollten sie verändert werden. Über das Wie werden dann wahrscheinlich andere diskutieren als jene, die heute den Diskussionston angaben. Sicherlich mit von der Partie sein werden die großen Sieger im „Weihnachtspoker“ 1974: ÖVP- Obmann Schleinzer, dessen Taktik aufgegangen ist, sicherlich auch Bauembundobmann Minkowitsch, der Nerven bewies und — Handelsminister Staribacher, deren Kompromißbereitschaft schließlich der Schlüssel zur Verlängerung der Wirtschaftsgesetze wurde.

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