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„Ein Kabarett“
Wer heute noch die parteipolitischen Auseinandersetzungen um die sogenannten Wirtschaftsgesetze ernst nimmt, kann bengalisches Feuer nicht von Abendröte unterscheiden. Vor allem aber bleiben ihm Einsichten in das Wesen und die Beweggründe heimischer Politik verwehrt.
Auch der Bundesregierung ist klar — Landwirtschaftsminister Weihs hat das auch ohne Zögern eingestanden —, daß nach dem Auslaufen der Marktordnungsregelungen ein Preischaos bei Grundnahrungsmitteln entstehen müßte. Erst recht klar ist, daß die Hauptbetroffenen davon die Konsumenten in den Städten wären und daß anderseits die Existenz zahlreicher Bauern gefährdet würde.
Dennoch: Die Regierung scheint auf diese Karte zu setzen, drei, sechs oder neun Monate vor der nächsten Nationalratswahl. Nach allen Erfahrungen im Ausland ist allen klar, daß ein administrativ verfügter Preisstopp die Inflationsrate auch nicht im Bereich der Hundertstelprozente ändert, im Gegenteil: die inflationären Tendenzen aufstaut, bis sie mit doppelter Wucht durchbrechen.
Dennoch, die Bundesregierung be hauptet, damit das Ei des Kolumbus im Kampf gegen die Inflation gefunden zu haben. Je stärker der Widerstand der Opposition und der Wirtschaft gegen das Preisdiktat der Regierung wird, desto radikaler formuliert die Bundesregierung die einschlägigen Bestimmungen. Handelsminister Staribacher, ein ungewöhnlich humorvoller Mann, meint denn auch leutselig: „Wir haben alle Wünsche, die uns im Laufe des letzten Jahrzehnts eingefallen sind, in dem neuen Preisgesetz zusammengefaßt“.
Während die Bundesregierung den beiden Monopolbetrieben Tabakwerke und Post erst in diesen Tagen Preiserhöhungen von 20 und mehr Prozent zugesteht, begründet der volkswirtschaftliche Referent des ÖGB, Thomas Lachs, die Preisgesetze mit der Notwendigkeit des verstärkten Wettbewerbs. Wörtlich meint er: „In jenen Bereichen, wo es keinen Preiswettbewerb gibt, muß dieser Mangel durch administrative Maßnahmen ausgeglichen werden. Der Umfang der Branchen ohne Preiswettbewerb nimmt laufend zu“.
Wie das zusammenpaßt, sollte selbst dem Zaubermeister der öster-
reichischen Innenpolitik, Bundeskanzler Kreisky, zu erklären schwerfallen. Und dennoch setzt die Regierung auf diese Karte, hoffend, damit die Absprungsbasis für Neuwahlen zu erreichen.
Bezweifelt werden muß allerdings, ob Bruno Kreisky in dieser Frage die Entwicklung tatsächlich noch übersieht oder auch nur beeinflußt. Denn er zuallerletzt dürfte an frühzeitigen Neuwahlen interessiert sein.
So scharf wie nie zuvor schießen die Wirtschaft und ihre Vertretung aus allen Rohren, um die Regierungsabsichten zu verhindern. Dabei ist von einem „klassenkämpferischen Schikanegesetz“ ebenso die Rede wie von einer „diffamierenden Klassenjustiz“. In der oppositionellen ÖVP steht heute selbst der Arbeitnehmerflügel auf Seiten der Wirtschaft und der Landwirtschaft. Für alle Teile der Wirtschaftsgesetze im Parlament eine Zweidrittelmehrheit zu erhalten, ist für die Regierung unerreichbarer als je zuvor. Aber auch die Öffentlichkeit scheint von Preisgesetzen nicht mehr das zu halten, was sie der Regierung einst zu glauben bereit war.
Was auf den ersten Blick einem Polit-Kabarett mit wechselnden
Hauptrollen-Darstellem gleicht, dürfte einen sehr ernsten politischen Hintergrund haben. Dabei sieht es fast so aus, als betrieben die Sozialpartner verbale Scheingefechte, um einen vorverlegten Nationalratswahltag durchzusetzen. Im Interesse einer gedeihlichen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung sollte diese Wahl besser früher als später eine stabile Regierung auf der Basis einer großen Koalition bringen. Die Frage, welche Partei in dieser großen Koalition den Bundeskanzler stellt, ist dabei zweitrangig. Wichtig ist nur, daß tiefgreifende Entscheidungen auf Konsensbasis getroffen werden können.
Jüngst erst meinte Bruno Kreisky, daß er kein Interesse an einer Mitarbeit in einer großen Koalition hätte, weil diese Regierungsform in Krisenzeiten zu teuer käme. Die Sozialpartner sind in dieser Frage ganz anderer Meinung und es scheint, als würde die Zahl der Wähler, die eine große Koalition bevorzugen, von Stunde zu Stunde größer.
Dabei erscheint heute Bundeskanzler Kreisky mehr denn je als Vollzugsorgan der Sozialpartner. Das ist insofern ein Abweg, als er noch vor Monaten die Regierungsgeschäfte als Generalbevollmächtigter des Gewerkschaftsbundes führen durfte. Reibungslos ist dieser Übergang nicht vor sich gegangen, den politischen Hintergrund der Auseinandersetzung um den Einfluß in der „Kronen-Zeitung“ mag man da als letztes Aufflackern betrachten.
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