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Macht mit Progression

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Man darf schon annehmen, daß der pragmatische ÖGB-Präsident Benya am nicht minder pragmatischen SPÖ-Vorsitzenden Kreisky einiges von Belang auszusetzen hat; man kann auch unterstellen, daß insbesondere unter den sozialistischen Arbeitnehmern eine gewisse Enttäuschung über die bisherigen Leistungen der sozialistischen Regierung herrscht — immerhin werden die Gewerkschaftsfunktionäre gebeten, bei stark steigenden Preisen aus stabilitätspolitischen Gründen „normale“ Lohnerhöhungen bei den nächsten Lohnverhandlungen hinzunehmen —, aber man braucht deshalb noch lange nicht zu vermuten, daß Benya ausgerechnet im Wahlkampf Streit mit dem Regierungschef riskiert, um so die Wahlkampfarbeit der ÖVP zu erledigen. Genau diesen Eindruck versucht die ÖVP-Bundesparteileitung zu vermitteln, genau dieser Eindruck aber ist falsch.

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Man darf schon annehmen, daß der pragmatische ÖGB-Präsident Benya am nicht minder pragmatischen SPÖ-Vorsitzenden Kreisky einiges von Belang auszusetzen hat; man kann auch unterstellen, daß insbesondere unter den sozialistischen Arbeitnehmern eine gewisse Enttäuschung über die bisherigen Leistungen der sozialistischen Regierung herrscht — immerhin werden die Gewerkschaftsfunktionäre gebeten, bei stark steigenden Preisen aus stabilitätspolitischen Gründen „normale“ Lohnerhöhungen bei den nächsten Lohnverhandlungen hinzunehmen —, aber man braucht deshalb noch lange nicht zu vermuten, daß Benya ausgerechnet im Wahlkampf Streit mit dem Regierungschef riskiert, um so die Wahlkampfarbeit der ÖVP zu erledigen. Genau diesen Eindruck versucht die ÖVP-Bundesparteileitung zu vermitteln, genau dieser Eindruck aber ist falsch.

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Worum geht es? Benya verlangt im Namen der gewerkschaftlich organisierten österreichischen

Arbeitnehmer eine Abgeltung für die ausgerechnet unter einer sozialistischen Regierung außerordentlich hohe Rate der Geldentwertung in Form einer Progressionsmilderung für die Bezieher mittlerer Einkommen (4500 bis 6000 Schilling) bereits im nächsten Jahr. Finanzminister Dr. Androsch verweigert dies mit dem Hinweis, daß sein Soll- Budget für das Jahr 1972 unter der Bedingung automatisch steigender Einnahmen aus der Einkommensteuer, also eines Einnahmenzuwachses von rund 3 Milliarden Schilling, erstellt wurde, und er keine Möglichkeit sieht, einen stabilitätskonformen Staatshaushalt bei gleichzeitigem Ausfall eines Betrages etwa in dieser Höhe zu garantieren.

Man kann Benya ganz gewiß nicht unterstellen, daß seine Forderung maßlos sei. Sie bewegt sich durchaus im Rahmen dessen, was ein tüchtiger Arbeitnehmervertreter bei der aktuellen und absehbaren Konstellation der ökonomischen Daten verlangen kann. Man kann aber anderseits auch Androschs Beharrungsvermögen gut verstehen, wobei freilich noch zu berücksichtigen ist, daß der erste sozialistische Finanzminister im Grunde seines Wesens ein äußerst konservativer Fiskalist und alles andere denn ein moderner Finanzpolitiker ist. Gerade deshalb verteidigt er den von ihm präli- minierten negativen Budgetsaldo in der Höhe von etwa 10 Milliarden Schilling. Gerade deshalb auch scheint er nicht geneigt, sogar in einer ökonomisch äußerst dubiosen Zukunft mit dem Budgetsaldo als Restgröße zu kalkulieren. Der von Benya gefürchtete längerfristige Trend einer Geldentwertung von jährlich 4 bis 5 Prozent spielt in den Berechnungen Androschs vor allem insofeme eine Rolle, als dadurch in folge des im Fiskalsystem eingebauten Progressionsmechanismus mit höheren Steuereinnahmen zu rechnen ist. Hantiert er also mit der aktuellen und künftigen Inflationsrate als einer strategischen Größe bei der Kalkulation der Steuereinnahmen, so weiß er nur zu genau, daß die Geldentwertung zwar die Kalkulation der Budgetausgaben verteuert, aber doch infolge der Machtposition des Staates (insbesondere angesichts seines hohen Anteils an der österreichischen Wirtschaft) keine ebenso große Rolle spielt.

Der sozialistische Steuerkrieg zwischen Androsch und Benya ist also, wie man sieht, kein Krieg um Prinzipien allein, sondern eine Auseinandersetzung zweier Parteifreunde mit verschieden gelagerten Interessen. Wägt man die wichtigsten ökonomischen Pro und Kontra kurz ab, so ist man geneigt, die Position Benyas als die ökonomisch vernünftigere zu beurteilen. In diese Beurteilung spielt sicherlich auch die nüchtern-seriöse Funktionsauffassung des ÖGB-Präsidenten Benya mit hinein. Angesichts der Macht, die er repräsentiert, und der Seriosität, die er garantiert, und schließlich auch angesichts der Tatsache, daß er großen Wert darauf legen dürfte, Kreiskys Team die Macht des Gewerkschaftsbundes (gerade vor zu erwartenden langwierigen Parteienverhandlungen um die Regierungsbildung um die Oktobermitte) vor Augen zu führen, so kann mit großer Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden, daß Benya sich gegen „seine“ Regierung durchsetzen wird. Dabei ist allerdings noch zu bedenken, daß diese Regierung nicht unbedingt mit jener identisch zu sein braucht, die schließlich auch eine Milderung der Lohnsteuerprogression zu vertreten hat. Der 10. Oktober wird freilich ein Entscheidungsdatum auch in dieser Frage sein. Erhält Kreisky ein überzeugendes Votum zur absoluten Mehrheit, muß Benya, dessen Vorliebe für eine große Koalition be kannt ist, wahrscheinlich etwas zurückstecken. Ist das nicht der Fall, dann steht zu erwarten, daß der ÖGB-Chef massiv in das Geschehen eingreifen wird. Und dann könnte unversehens die Frage der Steuerprogression zu einem Anlaßfall für eine handfeste Strategiedifferenz werden.

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