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Die „Kleinkapitalisten“ sind noch brav

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Präsident Benya dürfte eben doch der Politiker mit dem besten Gespür für die Volksmeinung sein. Auf den Schock von Salzburg reagierte er blitzschnell und forderte höhere Zinsen für die Sparer. Er erkannte sehr richtig, daß es einem großen Teil der Bevölkerung nicht genügt, wenn die Inflationsverluste auf der Lohnseite abgegolten werden, daß breite Bevölkerungsschichten, darunter auch sozialistische Stammwähler, heute Sparguthaben besitzen und durch deren Wertverlust empfindlich getroffen werden.

Benya ist dieses Eintreten für die Sparer gewiß nicht leichtgefallen, denn gerade er war bisher der Verfechter des Prinzips, daß die Abgeltung nur lohnseitig zu erfolgen habe. Aber er ist Pragmatiker genug, um Prinzipien über Bord zu werfen oder wenigstens vorläufig stillzulegen, wenn er sieht, daß die wahlentscheidenden Bevölkerungsschichten mit der offiziellen Linie nicht mehr konform gehen.

An sich wird der Sparer und das Unrecht, das ihm geschieht, reichlich spät entdeckt. Dies überrascht bei Politikern wie Benya, deren Ideenfundament doch weitgehend marxistisch ist, nicht besonders, ist doch der Sparer dem Marxismus von vornherein suspekt, es fragt sich für diesen sogar, ob er nicht als „Kleinkapitalist“ dem Klassenfeind zuzuzählen ist. Dementsprechend wird der Sparer prinzipiell als „Unper-son“ behandelt, auf deren Bedürfnisse nicht Rücksicht genommen werden muß.

Aber es gibt eine andere politische Gruppierung, die allen Grund hätte, sich intensiv des Sporers anzunehmen, nicht nur aus vorübergehenden wahltaktischen Gründen, sondern auch aus prinzipiellen: die ÖVP, und hier wieder ganz besonders der ÖAAB. Gerade das Eintreten für den kleinen Sparer hätte schon längst Möglichkeiten für ein soziales Kontrastprogramm zum Sozialismus geboten, es hätte dem AAB die Chance gebracht, sich sozial zu profilieren und zugleich gegenüber dem Sozialismus abzugrenzen, sich als Alternative schärfer zu konturieren und die Sozialisten an einer empfindlichen Stelle zu treffen. Die SPÖ wird nämlich infolge ihrer letztlich doch marxistischen Substanz nie imstande sein, ein überzeugendes Spa-rerschutzprogramm zu offerieren oder gar durchzuhalten. Daß aber die Sparer doch keine quantitö negli-geable sind, zeigt der deutliche Niederschlag, den die Inflationsmalaise bei den letzten Lokalwahlen fand.

Vergebens aber hat man bisher auf eine entsprechende Aktivität gewartet — etwa in Form einer Kampagne für höhere Sparzinsen und einer Nichtbesteuerung von Zinsen, die nicht einmal den durch die Inflation erlittenen Substanzverlust kompensieren. Beim letzten Bundestag wurden zwar viele Programme gewälzt, und es fielen harte Worte, aber keines fiel zugunsten der Sparer. Nicht einmal nachgestoßen wurde in diese Richtung, nachdem Benya schon vorher eine Bresche geschlagen hatte.

Dabei wären die Sparer eine Zielgruppe, die für die ÖVP besonders ansprechbar sein würde, mit deren Hilfe sogar ein Einbruch in die sozialistischen Kernschichten gelingen könnte. Die Sparer sind darüber hinaus ein wichtiges konstitutives Element für jede echte Volkspartei: Gerade mit ihrer Hilfe könnte der Antagonismus zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern überbrückt werden.

Es sei hier nicht untersucht, ob eine Erhöhung der Habenzinsen unbedingt auf die Sollzinsen durchschlagen müßte, um so mehr, als diese in den letzten Jahren kräftig erhöht worden sind, ohne daß die Habenzinsen nachgezogen worden wären. Abgesehen davon, gilt Kreditverteuerung in einer inflationären Wirtschaft vielen Nationalökonomen sogar als Mittel der Stabilisierungspolitik.

Auf jeden Fall nimmt sich dieser stabilitätspolitische Purismus gegenüber den Sparern merkwürdig aus angesichts einer Wirtschaftspolitik, die gegenüber viel gravierenderen inflationären Maßnahmen sonst keineswegs rigoros einen Riegel vorschiebt. Gerade gegenüber jener Bevölkerungsgruppe, die an der Inflation am wenigsten schuld ist und die einen moralischen Anspruch auf Inflationsabgeltung hätte, entdeckt man plötzlich das stabilitätspolitische Gewissen. Dabei wäre eine Anhebung des Eckzinsfußes auf 5 Prozent angesichts einer Inflationsrate von nahezu bereits 10 Prozent doch nur ein Minimalangebot, das gegenüber den Sparern kaum noch zu vertreten ist.

Wenn wir schon von Stabilttäts-politik reden, dann sollten wir uns einer viel größeren Gefahr bewußt werden: derjenigen nämlich, daß es die Sparer eines Tages satt haben, die „Deppen der Nation“ zu sein und ein Entsparungsprozeß in großem Stil beginnt. Wenn nur ein Teil von jener Spargeldlawine, die mindestens 200 Milliarden Schilling ausmacht, losgetreten wird und diese unkontrollierten Massen von Liquidität über die Volkswirtschaft hereinbrechen, dann ade, Stabilitätspolitik'. Dann wird die Inflation Ausmaße annehmen, wie wir sie seit den frühen zwanziger Jahren nicht mehr gekannt haben. Die Wirtschaftspolitiker sollten sich daher nicht allzusehr auf die Gutmütigkeit der Sparer verlassen, sondern es lieber zu einem Hauptpunkt ihres Stabilt-sierungsprogramms machen, diese einigermaßen bei Laune zu halten. Es gäbe so viele Möglichkeiten, zu sparen. Am Sparer zu sparen, ist jedenfalls die falsche Politik.

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