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Soll und Haben

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Die Zinsfußspannen, die Differenzen zwischen den Zinsen für Einlagen (Habenzinsen) und den genommenen Krediten (Sollzinsen), sind in Österreich relativ hoch. Man könnte aber eher sagen, daß die Habenzinsen im Vergleich zu dem, was die Einleger durch ihre Kaufkrafthergabe bieten, zu gering sind. Diese Tatsache war in jüngster Zeit Gegenstand von Untersuchungen von Finanzzeitungen und wurde auch von der „NZZ“ aufgegriffen.

Je höher die Abwertungsrate des Geldes ist, um so mehr wirkt diese Tatsache nunmehr auf den Sparwillen und fördert die Konsumfreudigkeit.

In der Sozialpolitik vollzieht sich ein Einkommenstransfer, die Übertragung von Einkommen aus dem Verfügungsbereich jener, die es durch ihre Arbeitsleistung oder als Folge von Eigentumstitel erworben haben, in den Verfügungsbereich von Personen, die Gegenstand der Begünstigungen der Sozialpolitik sind. Ein ähnlicher inoffizieller Transfer vollzieht sich aber auch zwischen Schuldnern und Gläubigern, zwischen Sparern und Kreditnehmern. Nicht in Form nomineller Wertübertragungen, wohl aber in der Weise, daß die Sparer, die in der Mehrheit sicher nicht den „Reichen“ zuzuzählen sind, den Kreditnehmern ohne Abgeltung Kaufkraft im Ausmaß der jeweiligen Kaufkraftverminderung übereignen. Nun sind die meisten Kreditnehmer nicht die „Ärmsten der Armen“, sondern im Sinn der Konstitution der modernen Kreditwirtschaft Personen, die ausreichend substantielle Deckung als Sicherheit bieten können.

Eine überwiegend von Konsumgier bestimmte Lohn- und Preispolitik erweist sich auf diese Weise nicht selten als eine besondere Form der Ausbeutung. Nicht die Proletarier im klassischen Sinn werden ausgebeutet, sondern die vielen kleinen Sparer, die auf der anderen Seite nicht selten selbst wieder, als Greißler oder als Angestellte, unangemessenen hohe Lohn-und Preisforderungen stellen, die ihren Niederschlag in einer Reduktion der Kaufkraft finden.

Die kontinuierliche Verminderung der Kaufkraft läßt es geboten erscheinen, Betrachtungen über eine Änderung der bisherigen Zinsfußpolitik anzustellen, aus ökonomischen, aber noch mehr aus sozialen Gründen.

Unter Bedachtnahme auf die gegebene durchschnittliche Abwertungsrate des Geldes (in allen Ländern) muß von einem Mißverhältnis zwischen dem Preis gesprochen werden, den die kleinen Kreditgeber für ihre Verzichtleistung auf Eigennutzung ihrer Barmittel erhalten, und jenem Preis, den die Kreditnehmer für die erworbene „Ware“ Kaufkraft zahlen müssen. Das wäre das soziale Argument für die Änderung der Zinsfußpolitik. Dazu kommt, daß aus volkswirtschaftlichen Gründen offenkundig neuartige Sparanreize geschaffen werden müssen, um das Kapitalanbot mit dem wachsenden Kapitalbedarf abzustimmen. Durch eine Steigerung der Sparrate kann einerseits potentielles Kapital geschaffen und anderseits geradezu gleichförmig die private Massennachfrage, welche preissteigernd wirkt, vermindert werden. Diese Tatbestände werden in der Wirtschaftspresse immer wieder herausgestellt, ohne daß ausreichende Maßnahmen getroffen werden, welche ein Mehrsparen als sinnvoll erscheinen lassen.

Nun kann die Sparfreudigkeit nicht allein durch agitatorische Anrufe an den Sparsinn gefördert werden. Der „Sparsinn“ ist nicht vorweg bei allen Menschen gegeben, sondern muß bei den meisten Menschen durch bestimmte Attraktionen begründet werden, durch Anreize, die beachtliche sachliche Vorteile verheißen. Der Kreditnehmer, der Kaufmann, denkt selbstverständlich durchaus rational. Niemand mutet ihm anderes zu. Nur der kleine Sparer soll emotional bestimmt sein und bei seinem Verhalten lediglich an die nationale Kapitalvermehrung und an die Stabilität des Schilling denken. Das zumuten, bedeutet ein Ungleichgewicht in den Zumutungen. Eine Steigerung des Habenzinsfußes, seine vorsichtige, stufenweise und nur teilweise Anpassung an vollzogene Kaufkraftminderungen, kann, entsprechend publik gemacht, nicht der, wohl aber ein wirksamer Sparanreiz sein, wenn und soweit eben die Manipulation des Einlagenzinsfußes eine psychologische Reizschwelle überschreitet.

Gegen den Kaufkraftschwund von Krediten gibt es im allgemeinen keinen

„Gläubigerschutz“. Dem Gefühl, bei Kredithergabe auf Kaufkraftsicherung verzichten zu müssen, kann unter Umständen dadurch Rechnung getragen werden, daß dem konventionellen Zinsfuß, der eine Belohnung für die zeitweise Hergabe nomineller Werte ist, für die Dauer der sukzessiven Kaufkraftminderung des Geldes eine Vergütung für einen erfolgten Kaufkraftschwund angefügt wird. Diese Frage sollte zumindest Gegenstand von Erwägungen sein, wenn auch zugegeben werden muß, daß sie eine Reihe von juristischen und banktechnischen Problemen aufwirft und keinesfalls ein Mißtrauen in die Währung geradezu formell begründen dürfte.

Die mittelalterliche Zinsdebatte war sozial fixiert und hatte die Bewuche-rung des (Konsum-) Kreditnehmers zum Gegenstand. In der Gegenwart kann man — im Rahmen einer „Zinsdebatte“ neuer Art — eher von einer Übervorteilung der Einlagen-Sparer reden, die zu beseitigen nicht nur aus sozialen, sondern auch aus volkswirtschaftlichen Erwägungen heraus geboten erscheint.

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