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Wirtschaftskommentar

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Das wesentliche Manko der österreichischen Wirtschaft ist derzeit ihr Mangel an risikobereitem Kapital. Aus diesem Grunde können Projekte, deren Ausführung lediglich durch langfristig gebundene Mittel zu finanzieren ist, vor allem Projekte, die zur Kostenminderung und zum Wachstum beitragen, nur unzureichend gefördert werden. Wenn irgendwo im Land die Erzeugung völlig neuer Produkte begründet wird, steckt dahinter meist ausländisches Kapital. Die Folge ist, daß die Wirtschaft Österreichs trotz aller Beschönigungsversuche von seifen jener Personen, die oft aus sehr durchsichtigen Gründen am Import ausländischen Kapitals (um jeden Preis!) interessiert sind, in eine Verfremdung absinkf, die bereits politische Folgen hat. Die Beschlagnahme der letzten Nummer der „Furche" ist ein Anzeiger für diesen Sachverhalt. Die Überfremdung ist kein österreichisches Phänomen. Ebensowenig die Abwehr gegen ein unangemessenes Ansässigwerden ausländischen Kapitals. Auch die BRD ist, wie vorher Frankreich, nicht mehr gewillt, jede Etablierung ausländischen Kapitals zu dulden.

Warum fehlt es an risikobereitem Kapital in Österreich? In Österreich wird heute relativ sehr viel gespart. Vergleichsweise ungemein mehr als in jener Zeit, die für Traditionalisten die „gute" ist, einfach weil sie „alt" ist. Das Sparen erfolgt aber meist kurz- und mittelfristig. Das von Unternehmungen für die Durchführung von Investitionen benötigte (Kredit-)Kapi- fal fließt dagegen nur langsam zurück. Einlagen und benötigtes Kapital weisen daher keine synchronen Fristen auf (Problem der Fristentransformation). Zweitens sind wir, erst zehn Jahre nach Kriegsende freigeworden, zu spät in das internationale Geschäft eingestiegen und müssen uns allzusehr mit der Produktion und dem Export von Dingen begnügen, die keine große Rentabilität abwerfen, also auch nicht zur Kapitalbildung wesentlich beifragen. Das gilt auch für den Fremdenverkehr, der wohl hohe Umsätze verzeichnet, aber wenig zahlungskräftige Gäste hat. Die zahlungskräftigen Fremden deponieren ihr Kapital höchstens in Form von Villen und Erwerb von Grundstücken, die sie entgegen der Vermutung naiver Gemeindeväter fast nie betreten. Driftens aber wird auch von den sogenannten Massen zuwenig, und wenn, dann meist nur mit der Absicht gespart, die akkumulierten Ersparnisse zum Ankauf von Gebrauchsgütern des gehobenen Konsums zu verwenden. Wenn der Österreicher im Durchschnitt weniger spart, als dem internationalen Standard entspricht, hängt dies auch mit dem nicht sehr stark entwickelten Risikobewußtsein der Massen zusammen, die in einer langfristigen Bindung von Sparvermögen eine Gefahr an sich sehen.

Angesichts der prekären Lage, in der sich die österreichische Wirtschaft von der Kapitalausstattung her befindet, verdient ein Vorschlag des ÖGB („Rednerdiensf", 2/66), das Institut des Invesfitionslohnes auch in Österreich zu fördern, Beachtung.

Unter dem Terminus „Vermögensbildung in Arbeiterhand" verbergen sich sowohl eine gute Portion Sozial- romanfik, die ihre Wurzel u. a. im christlich-sozialen Denken des 19. Jahrhunderts hat, als auch nüchterne betriebswirtschaftlich und finanzwissenschaftlich begründete Überlegungen: Das Interesse der Arbeitnehmer am Produktionsprozeß ist ein völlig anderes, wenn sie an diesem Prozeß auch als Eigentümer beteiligt sind und durch Miteigentum zumindest im Finanzierungsbereich des Unternehmens eine eigenständige Position erhalten. Wenn Arbeitervermögen etwa nur in der Form langfristiger Gebrauchsgüter dargestellf ist (Siedlungshäuser), wird die Neigung der Arbeitnehmer steigen, trotz erhöhter persönlicher Kaufkraft ihr Einkommen zumindest für den Eigengebrauch zu binden und in Vermögen umzuwandeln. Insgesamt zielen die mit der Marke „Vermögensbildung in Arbeiterhand" versehenen Vorschläge darauf hin, die Massen der Arbeitnehmer anzuregen, mehr als bisher von jener Quote des Einkommens zu sparen, die nach Deckung des Existenzbedarfes frei verfügbar ist (= sogenanntes „vagabundierendes Einkommen").

In der BRD wird über das Institut des Investivlohnes seit Jahren diskutiert. Nun greifen also auch die österreichischen Gewerkschaften die Forderung nach Gewährung eines Investivlohnes auf, den (dessen Gewährung) sie vorsorglich kollektivvertraglich zementieren wollen. Investiv- lohn heißt allgemein: eine Lohnerhöhung, die nicht den Charakter einer Abgeltung von „Teuerung" hat, wird zum Teil oder zur Gänze für die Finanzierung der Investitionen des lohnzahlenden Unternehmens oder der Betriebe eines Landes (dann: Bildung eines überbetrieblichen Fonds) gebunden. Das bedeutet, daß zumindest eine bestimmte Quote des Mehrlohnes von den Arbeitnehmern nicht oder nicht unmittelbar in Nachfrage nach Konsumgüfern umgesefzf, sondern für produktive Zwecke zurückbehalten werden kann.

Der Arbeitnehmer wird dadurch sowohl Kreditgeber seines Unternehmens oder der Unternehmungen seines Landes als auch indirekt Investor.

Die zweite Folge der Gewährung von Investivlohn ist, daß es als Folge eines mit Zustimmung der Gewerkschaften erzwungenen Konsumverzichts der Arbeitnehmer zu einer teilweisen Änderung der Nachfragesfruktur der Haushalte im Sinn westlicher Verhaltensweisen käme. Der Lohn würde bei Einführung eines Investivlohnes aus zwei Teilen bestehen: aus einem Konsumtivlohn (Konsumquote) und aus einem Investivlohn (Sparquote); die Gegenleistung für den Konsumverzicht der Arbeiter-Investoren bestünde aus relativ hohen (Kredit-) Zinsen und auf Umwegen über gestiegene Kapazitäten und konformes Wirtschaftswachstum aus realen Lohn- sfeigerungschancen. Selbstverständlich muß angenommen werden, daß die unter dem Titel „Investivlohn" angesammelten Mittel rasch in Investitionen umgesefzt werden. Wenn nicht, kommt es zu Nachfragereduk- fionen gerade im Bereich der Produktionsmittelindustrie.

Die offenen Probleme, die noch einer eingehenden Erörterung bedürfen und keineswegs lediglich unter parteipolitischen Aspekten zu untersuchen sind, dürfen jedoch nicht übersehen werden: Soll der Investivlohn aus bereits „verdienten" Löhnen (als Folge eines für Lohnzahlungen disponiblen Effektes von einzelbetrieblichen Produktivitätssteigerungen) gezahlt werden oder im Sinn des Gewerkschaffsvorschlages durch Übergabe von Vermögensteilen des lohnzahlenden Unternehmens in Form von Wertpapieren? Ich nehme an, daß es sich im Vorschlag um Kapitalanteile des jeweiligen arbeitgeberischen Unternehmens handelt. In diesem Fall kämen für das Projekt nur Kapitalgesellschaften und vor allem solche in Betracht, die Kapitalmarktpapiere emittieren (Aktien und Obligationen). Die zweite und gesellschaftspolitische Frage ist die: Wer wird den Invesfiv- lohn, also den von den Arbeitnehmern über eine gebundene Lohnwidmung gebotenen Investitionskredit, verwalten? Das lohnzahlende Unternehmen (das den Kredit unter Umständen nicht benötigt) oder ein gesamtstaatliches Institut, das Investitionskredite (— „Arbeitsgelder") vergibt und deren Verwendung streng auf Zweckwidmung und Rentabilität wie Sicherheit des Mitfeleinsafzes prüft? Diese Fragen bedürften einer ernsten und raschen Erörterung — mit Blickrichtung auf das Ganze der österreichischen Wirtschaft, deren Effekte ihren Niederschlag auch im Versorgungsbereich der Massen der Erwerbstätigen und der Rentner finden.

Anton Burghardt

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