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Der teure Inflationsbumerang

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Vergebens hatten ver den letzten Wahlen sozialistische Fachleute die Parteistrategen der SPÖ davor gewarnt, die Teuerung propagandistisch hochzuspielen; daß sich dies als Bumerang erweisen würde, war spätestens seit der „splendid isolation“ Österreichs bei der D-Mark-Aufwertung Ende Oktober 1969 für jeden Einsichtigen offenkundig. Vergebens haben vor den nächsten Wahlen bürgerliche Fachleute die Parteistrategen der ÖVP davor gewarnt, die Teuerung propagandistisch hochzuspielen; daß sich dies als Bumerang erweisen würde, war spätestens seit dem ersten Anlauf der Regierung, das Preisregelungs- und das Preistreibereigesetz zu verschärfen, für den Einsichtigen offenkundig.

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Vergebens hatten ver den letzten Wahlen sozialistische Fachleute die Parteistrategen der SPÖ davor gewarnt, die Teuerung propagandistisch hochzuspielen; daß sich dies als Bumerang erweisen würde, war spätestens seit der „splendid isolation“ Österreichs bei der D-Mark-Aufwertung Ende Oktober 1969 für jeden Einsichtigen offenkundig. Vergebens haben vor den nächsten Wahlen bürgerliche Fachleute die Parteistrategen der ÖVP davor gewarnt, die Teuerung propagandistisch hochzuspielen; daß sich dies als Bumerang erweisen würde, war spätestens seit dem ersten Anlauf der Regierung, das Preisregelungs- und das Preistreibereigesetz zu verschärfen, für den Einsichtigen offenkundig.

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Wie sich die Bilder gleichein — nämlich die Bilder von Parteien, die ihr Süppchen auf dem Infiations- feuerchen kochen möchten, in das sie ohne Rücksicht auf den Funken- flug aus vollen Backen blasen!

Können sich die (Uh-)Verantwort- lichen, die hüben und drüben auf die ökonomische Unkenntnis des Durchschnittsösterreichers spekulieren, auf die eigene Unkenntnis berufen? Um zu merken, daß man in einem Pulvermagazin mit dem Feuer spielt, wenn ausgerechnet jetzt mit der Teuerung Gimpelfang betrieben wird, braucht man doch weiß Gott kein Hochschulstudium in Nationalökonomie absolviert zu haben.

Da liegen (um in jenem Winkel zu beginnen, an den viele Leute zuletzt denken) auf Sparbüchern 85 Milliarden täglich fälliger Gelder, deren Eigentümer gerade mit dem Verzicht auf eine „teuerungsadäquate“ Verzinsung bekunden, wie entscheidend für sie die Möglichkeit des jederzei- tigen Zugriffs ist. Der gesamte private Verbrauch macht derzeit etwa 19 Milliarden im Monat aus; würde auch nur jeder zehnte Sparer kopfscheu werden und seine Ersparnisse abheben, ehe das Geld noch weniger wert wird, schnellte in diesem Monat die Nachfrage um 50 Prozent in die Höhe. Bedarf es allzu großer Phantasie, sich die Folgen auszumalen?

Gottlob sind die österreichischen Sparer besonnene Leute, und besonnene Leute sind in Österreich — anders als rundum im Ausland — auch die maßgebenden Gewerkschaftler. Aber wie lange kann selbst ein Anton Benya gegen den Strom schwimmen, wenn dieser dank einer noch künstlich angestachelten Teuerungs- psychose Hochwasser führt? Unsere Chance, heuer mit einem blauen Auge davonzukommen — lies: unter der zur Spningflutmiarke deklarierten Teuerungsrate von 5 Prozent zu bleiben — und 1972 zu einem „normalen“ Preisauftrieb von nicht mehr als 3,5 Prozent zurückzufinden, steht und fällt aber damit, daß nicht Preise und Löhne einander gegenseitig aufschaukeln.

An sich hätten wir gute Aussichten, den heißen Sommer ahne preispolitische Hitzekollaps zu überstehen, denn die große Lohnrunde ist im Herbst und im Winter, als den Kollektiwertragäunterhändlem eine keineswegs rosige Konjunkturprognose für 1971 im Magen lag, gut über die Bühne gegangen, so daß lohn- politisch die Weichen bis zum Jahresende und darüber hinaus gestellt sind. (Höchst verantwortungsvoll gestellt, wie man noch hinizufügen müßte, denn die De-facto-Lohnleit- linde, die Präsident Benya mit seinen Metallarbeitern gesetzt hat, fand die staunende Bewunderung der OECD-Dedagation, die Anfang Dezember nach Wien gekommen war, um Nachhilfeunterricht in Einkommenpolitik zu nehmen.)

Die Frage ist aber: Wie lange darf man ungestraft Sparer und Lohnempfänger einem pausenlosen Trommelfeuer aussetzen? Selbst wenn dieser Propagandarummel seinen Zweck erfüllen, das heißt die Adressaten davon überzeugen sollte, daß die Schuld ausschließlich bei der Regierung zu suchen Sei — die Rechnung für die Teuerung würde nicht der Regierung präsentiert, sondern den Arbeitgebern. Vor allem also den Mitgliedern der B und esk ammer der gewerblichen Wirtschaft; diese können dann, während sie das für Investitionen bestimmte Geld statt dessen in Lohnsackerln füllen, darüber nachdenken, ob es besonders klug ist, wenn just beamtete Unternehmer- Vertreter nach — und sogar vor — Lohnverhandihmgen die Arbeitnehmer mit der Nase auf die Tatsache stoßen, daß ihnen der Preisauftrieb von der Lohnerhöhung die Hälfte oder zwei Drittel wegfrißt?

Wie aber, wenn der auf die Regierung gezielte Schuß nach hinten losgeht? Jene Passariteninterviews, mit denen sich die Regierung in SPÖ-Be- langsendungen die Notwendigkeit einer verschärften Preiskontrolle bestätigen läßt, brauchen gar nicht gestellt zu sein. Neun von zehn Österreichern, dank mittelalterlichen Lehrplänen von jeder ökonomischen Bildung unbeleckt und ohnedies gewohnt, immer gleich mit der Galle zu denken, empfinden die jetzige Teuerung als Machination von Hinauf- numerierem, denen das Handwerk zu legen nicht nur das gute Recht, sondern sogar die Pflicht des Staates wäre; wenn die Bundeskammer glaubt, beim bloßen Wort „Preisstop“ müßte jedem Österreicher ein kalter Schauer über den Rücken rieseln, schließt sie völlig zu Unrecht von ihren Mitgliedern auf die Masse der Konsumenten, die man auch mit dem Ausdruck „Dirigismus“ nicht das Gruseln lehren kann.

Daß im Verfassungsausschuß dem Wirtschaftsbund mit Assistenz der FPÖ (und unter stillschweigender Duldung des Gewerkscbaftsbundes, der das Monieren der Preisadmini- stration nicht ungern-der Arbeater- kammer überläßt) auch die zweite Abtreibung am Preisregelungsgesetz gelungen ist, schließt freilich nicht aus, daß die Regierungspartei zu gegebener Zeit wieder mit dem Paragraph 3 a schwanger gehen wird, der die befristete Einbeziehung beliebiger Produkte in die amtliche Preisregelung auf Antrag auch nur einer Interessenvertretung vorsieht. Das einzige wirksame Vorbeugungsmittel für die Bundeskammer ist hier nicht das Predigen von preispolitischer Enthaltsamkeit, sondern der Sprung über den eigenen Schatten:

Zu vertreten hat sie nämlich von Gesetzes wegen nicht das Einzel- interesse jedes Mitgliedsbetriebes inklusive jenes, der sich über die Paritätische Kommission hinwegsetzt und damit auch die eigene Interessenvertretung desavouiert —, sondern nur das gemeinsame Interesse aller Kammermitglieder. In diesem gemeinsamen Interesse aller Kammermitglieder aber läge es, einem Preis-Lohn-Wetüauf vorzubeugen: einerseits’ dadurch, daß die Bundeskammer im Palle besonders eklatanter Verstöße gegen die gerade jetzt gebotene Preisdisziplin auf ihr Vetorecht verzichtet und so den Arbeitnehmervertretungen ein preispolitisches Alibi für ihre lohnpolitische Zurückhaltung verschafft, und anderseits — wenn nicht sogar vor allem — durch sofortige Tabuisierung jenes Teuerungs-Bumerangs, der zwar möglicherweise die SPÖ ein paar tausend Stimmen kosten könnte, viel wahrscheinlicher aber die Wirtschaft ein paar tausend Millionen als Teuerungsabgeltung…

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