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Der Seiltanz geht weiter

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Wer sich nach der Wahl des Bundespräsidenten eine Bereinigung der innenpolitischen Szene Österreichs erhofft hat, dürfte enttäuscht werden.

Da es nach dieser Wahl weder eindeutige Sieger noch eindeutige Verlierer gibt, keine der beiden Großparteien (bedeutend) besser oder schlechter nach dem 23. Juni liegen als sie vor diesem Datum lagen, hat sich auch für die längst notwendige Bewältigung der tatsächlich wichtigen politischen Probleme — also insbesondere die wirtschaftliche Konsolidierung Österreichs — keine grundlegende Situationsänderung ergeben. Auch wenn die „Arbeiter-Zeitung“ schreibt, daß nun „halb Österreich hinter der SPÖ steht“, dürfte Bruno Kreisky das Risiko nicht ohne weiteres auf sich nehmen, die Nationalratswahlen auf den Oktober 1974 vorzuverlegen.

Aus ökonomischer Sicht würde allerdings vieles für eine rasche Lösung der Probleme sprechen. Da auch der Ausgang der Präsident-sdhaftswahl keine entscheidenden Weichen gestellt hat, ist zu befürchten, daß aus propagandataktischen Gründen die Probleme weiter zer-

redet beziehungsweise verschoben werden. Vier bis fünf Monate vor der nächsten Wahl ist keine Regierung stark genug, auch unpopuläre Maßnahmen zu riskieren, aber auch fünfzehn bis sechzehn Monate dürften dafür ein zu knapper Zeitraum sein.

Für die eben laufenden Parteienverhandlungen über das Stabilisierungsabkommen IV stehen die Chancen auf erfolgversprechende Ergebnisse demnach denkbar schlecht. Die Bundesregierung wird weiterhin eine äußerst expansive Wirtschaftspolitik betreiben, um so ihrem Vollbeschäftigungspostulat zu entsprechen; sie wird weiterhin ein Wahlgeschenk nach dem anderen (Geburtenbeihilfe usw.) präsentieren; sie wird weiterhin (und wider besseres Wissen ,behaupten, daß allein ein verschärftes Preisregelungsgesetz die Inflation in Österreich bremsen könne. Die ÖVP wird dagegen weiterhin auch oft ökonomisch sinnvolle Tarif- und Gebührenerhöhungen bekämpfen, das Preisregelungsgesetz verdammen und im übrigen das Bundesbudget generell verurteilen, ohne konkrete Maßnahmen zur Ein-

dämmung bei den diversen Ressorts zu liefern.

Zumindest ebenso problematisch wie die von vornherein zur Erfolglosigkeit verurteilten Parteienverhandlungen über das Stabilisierungsabkommen TV ist das Verhältnis zwischen Bundeskanzler Kreisky und dem ÖGB. Selbst dann, wenn Kreisky bereit wäre, den unpopulären Weg in der Stabilisierungspolitik zu gehen, das heißt: kurzfristig Wachstumsverluste mit allen arbeitsmarktpolitischen Konsequenzen auf sich zu nehmen, würde er damit auf ein Unverständnis in der ÖGB-Führung stoßen. ÖGB-Präsident Benya wird weiterhin kein Jota von seiner „Formel“ (jährlich 3 Prozent Reallohnerhöhung) abweichen. Das läuft auf eine nominelle Zuwachsrate von fast 18 Prozent hinaus. Bedenkt man, daß jedes zusätzliche Prozent der Lohnwelle auf den Verbraucherpreisindex mit 0,7 Prozent wirkt, dann kann man sich die Inflationsrate für dieses Jahr ausrechnen. Dennoch besteht der ÖGB darauf, daß im Stabilisierungsabkommen IV das Wort „Lohn“ nicht vorkomme.

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