Ein unverzichtbarer, stabilisierender Faktor

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Für die Gremien des Nationalrats sind die von den Interessenvertretern eingebrachten Ressourcen unverzichtbar.

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Für die Gremien des Nationalrats sind die von den Interessenvertretern eingebrachten Ressourcen unverzichtbar.

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Die Debatte. Interessenvertreter in den Nationalrat?

zum thema Sozialpartner noch in den Nationalrat?

"Spitzenrepräsentanten der Sozialpartner sollten sich von Entscheidungspositionen in der Politik lösen, denn eine starke Interessenvertretung ist vor die Parteipolitik zu stellen", sprach Christoph Leitl im furche-Gespräch (Nr. 5/2000).

Nach der Wahl zum Wirtschaftskammerpräsidenten macht Leitl ernst und geht nicht ins Parlament. Auch Rudolf Schwarzböck, Vorsitzender der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern, wird sein Nationalratsmandat zurücklegen. Bleibt ÖGB-Chef Fritz Verzetnitsch als Spitzenrepräsentant der Sozialpartner im Hohen Haus übrig. Ein Auslaufmodell? Ist der Auszug der Sozialpartner aus dem Nationalrat an der Zeit und sinnvoll? Darüber debattieren Ilse Mertel und Herbert Kohlmaier. WM Gleich eingangs möchte ich feststellen, dass ich die Anwesenheit von Interessenvertretern im Nationalrat für demokratiepolitisch sinnvoll halte. Folgende Gründe sprechen dafür: Bei einer Vielzahl von Gesetzesvorhaben im Sozialbereich, im Arbeitsrecht, in der Einkommenspolitik ist Sachkompetenz im Detail gefragt. Diese Kompetenz erwerben sich Interessenvertreter durch ihre berufliche Tätigkeit, in der Beratung von Dienstnehmern, der Gesetzesbegutachtung und der wissenschaftlichen Aufarbeitung von aktuellen politischen Fragen. Für die Gremien des Nationalrates sind diese Ressourcen unverzichtbar.

In der Ausschussarbeit im Parlament ist es zweckmäßig, dass jene Personen, die über fachliche Kompetenzen verfügen, mit dem Mandat zur Beschlussfassung ausgestattet sind. Denn obwohl in den Ausschüssen häufig Experten hinzugezogen werden, würde es die gesetzgeberische Arbeit sehr behindern, wenn Sachinformationen grundsätzlich nur "von außen" eingeholt werden müssten.

Weiter ist zu bedenken, dass die Überlegung, Interessenvertreter (oder die Spitzen der betreffenden Organisationen) aus dem Nationalrat auszuschließen, schwerlich mit dem freien Mandat und dem grundsätzlich jedem Bürger offenstehenden passiven Wahlrecht zu vereinbaren wäre. Das österreichische Wahlrecht entwickelt sich immer mehr von einem Listenwahlrecht zu einem Persönlichkeitswahlrecht. Der Ausschluss von Interessenvertretern hätte zur Folge, dass manche Personen, die sich vor Ort - in ihrem Wahlkreis - für die Anliegen der Bevölkerung einsetzen, diese nicht im Nationalrat vertreten könnten. Dabei ist auch zu bedenken, dass die überwiegende Mehrzahl der Gewerkschaftsfunktionäre im Nationalrat ihre Funktion in den Gewerkschaften nicht hauptberuflich ausübt.

Zudem ist es eine - wie ich meine - bedenkliche Auffassung, den Nationalrat als einen Ort zu verstehen, an dem Interessen durchgesetzt werden. Nach meinem Verständnis ist der gesamte Gesetzgebungsprozess ein Verfahren des Interessenausgleiches, und wer sonst als die Interessenvertreter sollte diesen zustande bringen. In diesem Sinn sehe ich Gesetzgebung nicht losgelöst von sozialpartnerschaftlichen Verhandlungen im Vorfeld.

Die Interessenorganisationen sind ein zentraler Bestandteil des österreichischen politischen Systems. Es ist in einem demokratischen System durchaus legitim, dass Erwartungen und Bedürfnisse bestimmter Bevölkerungsgruppen kanalisiert und auf verschiedenen Ebenen vertreten werden. Die Arbeit der Interessenvertreter stellt einen stabilisierenden Faktor innerhalb der politischen Willensbildung dar und ist aus dem System der österreichischen Politik nicht wegzudenken.

Wer - gerade jetzt - einem Ausschluss der Interessenvertreter von der gesetzgebenden Versammlung das Wort redet oder deren legitimen Vertretungsanspruch in Frage stellt, schwächt die sozialpartnerschaftlichen Institutionen. Eine Marginalisierung der Interessenverbände hätte angesichts unserer historisch gewachsenen Verhandlungskultur, vor allem angesichts der aktuell zu bewältigenden Probleme katastrophale Folgen.

Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen, dass die hier diskutierte Frage hauptsächlich innerhalb der ÖVP problematisiert wurde. Und dort scheint man sie nach wie vor zu diskutieren. Das ist verständlich. Denn die Arbeitnehmerverteter innerhalb des ÖVP-Parlamentsklubs sind angesichts des einseitigen Sparkurses der Regierung tatsächlich in ärgste Interessen- und Loyalitätskonflikte geraten. Dieser Konflikt ist aber nicht dadurch zu lösen, dass man die Vertreter von Arbeitnehmerinteressen aus dem Nationalrat aussperrt. Dadurch würde man nur den österreichischen Parlamentarismus schwächen.

Die Autorin ist seit 1990 SP-Abgeordnete zum Nationalrat, Bedienstete des Amtes der Kärntner Landesregierung, Personalvertreterin, ÖGB-Frauenvorsitzende in Kärnten und Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst.

Dr. Ilse Mertel ist seit 1990 Abgeordnete zum Nationalrat. Sie ist Bedienstete des Amtes der Kärntner Landesregierung, und als Personalvertreterin, ÖGB-Frauenvorsitzende in Kärnten und Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst nicht dienstfrei gestellt.

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