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Vereins-Krimskrams

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Der SPÖ-Parteitag 1972 in Villach war der Parteitag der Parteiprogrammatik; der Parteitag 1974 sollte der Parteitag der Organisationsreform sein.

Tatsächlich besteht ein dringendes Bedürfnis nach Wiederbelebung und mehr Profilierung in allen Parteien — sie sind ja von den Sozialpartnern schon weltgehend machtpolitisch überholt. Aber der SPÖ-Parteitag 1972 wurde so sehr von der ORF-Problematik und der Forderung nach der Fristenlösung überschattet, daß für eine umfassende Programmdiskussion kaum noch Raum war. Und in der Zwischenzeit haben weder eine Parteilinke noch die österreichischen Jusos um den Abgeordneten Blecha auch nur annähernd jene ideologische Hektik entwickelt wie ihre bundesdeutschen Vorbilder. Auf diesem Parteitag scheint jedes Interesse an der Ideologie überhaupt erkaltet zu sein — ist ja doch etwa die Mitbestimmungsfrage durch einen sozialpartnerschaftlichen Kompromiß vom politischen Tisch.

Der Anstoß zur Organisationsreform-Diskussion in der SPÖ stammt vom Politikwissenschafts-Ordinarius an der Universität Salzburg, Norbert Leser. Leser gehört zu jenem Kreis weitgehend fortschrittlicher Sozialisten, die seinerzeit zu einer Öffnung zur Kirche und zu einem stärker „humanistischen“ Gesellschaftsbild des Sozialismus tendierten. Leser ist allerdings der wohl beste und prominenteste Kenner des Austromarxismus und setzt immer mehr als einziger die geistigen Traditionen eines Viktor Adler, Benedikt Kautsky und Otto Bauer fort. Zum Unterschied von diesen hat er es aber innerparteilich zu wenig Lorbeeren gebracht. Seine Thesen zur Parteireform druckte deshalb auch die „Zukunft“ nur teilweise und unter dem Rubrum „Diskussion“ ob, während Leser ungekürzt und in Fortsetzungen die Neujahrsnummern der parteiunabhängigen, bürgerlichen „Salzburger Nachrichten“ füüte.

Nun ist Leser der Auffassung, daß der Typ der traditionellen Mitgliederpartei überholt ist. Die Parteiorganisation ist ein Staat im Staat, in dem keine politische Willensbildung mehr erfolgt und die deshalb zu einem vereinsähnlichen Etwas wird. Die Sucht, immer mehr Mitglieder zu bekommen, die nicht selten nur noch aus Karrieregründen zur SPÖ stoßen, lähmt die Parteiarbeit; Karteileichen und mit ver-einsmeierischem Krimskrams beschäftigte Basis-Funktionäre stören nicht mehr die „neue Klasse“ von politischen Funktionären — eine, nach Leser, antiegalitäre und damit antisozialistische Entwicklung. Dem Parteiobmann Kreisky wirft Leser vor, daß dieser seine Autorität nicht dafür eingesetzt habe, daß autoritäre Strukturen in Partei und Gewerkschaft abgebaut werden und die „Demokratisierung“ sich auch auf den eigenen Bereich erstreckt.

Lesers Kampf gegen den Apparat ist freilich schon deshalb zum Scheitern verurteilt, toeil gerade die Vertreter dieses Apparates und der in Frage gestellten Basis das Gros der Parteitagsdelegierten stellen. Versteinerte Strukturen lassen sich jedoch erfahrungsgemäß von jenen, die selbst zur Versteinerung beitragen, am wenigsten aufbrechen. Und die Kraft des Parteivorsitzenden dürfte doch nicht ganz dazu reichen, neben der aufreibenden Regierungstätigkeit mit eisernem Besen im Parteiquartier zu reformieren.

Nun steht es allerdings der ÖVP schlecht an, die Probleme, auf die Norbert Leser hinweist, nur in der derzeitigen Regierungspartei zu suchen. Tatsache ist, daß die Partei-apparate am gleichen Leiden laborieren:

• Die großen Mitgliedschaften erzwingen, daß sich die Apparate mehr mit der Mitgliederbetreuung herumschlagen als mit der Gewinnung der Wähler. Die Organisation von Muttertagsfeiern und Bällen beschäftigt die Bezirks- und Ortsparteileitungen derart, daß es zu keiner politischen Willensbildung kommt. Der Wähler bleibt außerhalb der Wirksamkeit. • Die Funktionäre sind immer mehr in Interessengruppierungen vereinigt, (Gewerkschaft, Kammern, Bünden) als in der Partei selbst; die „neue Klasse“ sucht in der Parteibasis nur eine Bestätigungsmaschine. • Entscheidungen werden, weil sie schnell getroffen werden müssen, durchwegs von immer kleineren Eliten getroffen.

Zu diesen allgemeinen Feststellungen kommen im Fall der ÖVP auch noch die Probleme der Parteifinanzierung und der bündischen Aufsplitterung. Aber zum Unterschied zur SPÖ gibt es in der ÖVP nicht einmal einen lauen Lufthauch innerparteilicher Diskussion. Die „Parteieinheit“ wird durch die Parteiführung über alle anderen Fragen gestellt und es ist deshalb am ÖVP-Parteitag — vierzehn Tage nach dem SP-Parteitag — mit keiner ähnlich gelagerten Grundsatzdiskussion zu rechnen. Insider verraten sogar, daß die ÖVP-Parteileitung den Bünden nahegelegt hat, gar keine Anträge am Bundesparteitag der ÖVP zu stellen.

Aber auch Lesers Angriff auf geheiligte Tabus wird in der SPÖ voraussichtlich keine Wandlungen schaffen. Denn wie der — ähnliche Thesen vertretende — steirische Gewerkschafter Gmoser und der „Wurschtl“ Nenning, steht auch Leser mehr oder weniger am Rande der Partei. Keiner der Parteikritiker hat eine gehobenere Parteifunktion inne und keiner hat — realistischerweise — eine Chance, von der SPÖ in eine gesetzgebende Körperschaft entsandt zu werden.

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