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Kuhhandel mit den Bauern?

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Der Präsidentschaftswahlkampf hat nicht alle Wege der Innenpolitik verstellen können, im Gegenteil: Nachdem laut letzten Meinungsumfragen der Abstand zwischen den beiden Kandidaten geringer geworden ist, wirkt dieser Umstand auch auf scheinbar entlegeneren Gebieten belebend. Außerdem stand es schon von vornherein fest, daß nach dem 25. April die aus Opportunitätserwägungen bis dahin zurückgestauten Probleme sehr rasch wieder auftauchen und dringend nach Lösung verlangen werden.

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Der Präsidentschaftswahlkampf hat nicht alle Wege der Innenpolitik verstellen können, im Gegenteil: Nachdem laut letzten Meinungsumfragen der Abstand zwischen den beiden Kandidaten geringer geworden ist, wirkt dieser Umstand auch auf scheinbar entlegeneren Gebieten belebend. Außerdem stand es schon von vornherein fest, daß nach dem 25. April die aus Opportunitätserwägungen bis dahin zurückgestauten Probleme sehr rasch wieder auftauchen und dringend nach Lösung verlangen werden.

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Unter diesen Problemen stehen die Forderungen der Agrarwirtschaft, nicht nur wegen der Traktorendemonstrationen der letzten Wochen, an erster Stelle. Es überrascht daher nicht, daß der ÖVP- Ausschuß für Land- und Forstwirtschaft, des ewigen Kuhhandels wegen der befristeten Marktordnungsgesetze müde, eine dauerhafte Regelung der Agrar- und Emährungswirtschaftsordnung in Österreich gerade zu diesem Zeitpunkt zur Diskussion stellt und den Entwurf eines umfassenden Gesetzeswerkes vorlegt, wodurch er nicht nur eine neue Diskussionsbasis schafft, sondern auch dem

Vorwurf der ständigen Defensivhaltung wirkungsvoll begegnet.

Die Bauern und die Öffentlichkeit standen nach den Traktorendemonstrationen des Vormonats vor der bangen Frage „Was nun?”

An der erstarrten Dieselöl- und Milchfront kam es inzwischen zu Entlastungsversuchen beziehungsweise zu hinhaltenden Operationen der Gegenseite. Bundeskanzler Kreisky wartete in Vorarlberg mit einem „echt Kreiskyschen” — so Bauernbundpräsident Minkowitsch — Vorschlag auf, bei der Dieselölpreisvergütung den ärmeren Berg- bauem, aber nicht den Großbauern entgegenzukommen. Diese Präzisierung auf der Regierungsseite angesichts des „höchsten Dieselpreises in Europa”, den die österreichischen Bauern zahlen müssen, kam drei Wochen vor dem 25. April sicherlich nicht von ungefähr. Wie die Idee Kreiskys konkret verwirklicht werden soll, nach welchen Maßstäben, scheint noch völlig ungewiß zu sein.

Milchpreis und „Bauernräte”

Hinsichtlich der von der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern geforderten und mit 35 Groschen je Liter bezifferten Produzentenpreiserhöhung der

Milch sind die Verhandlungen zur Zeit noch im Gange und wurden gerade wieder auf das Monatsende verschoben. Die kleinen Gruppen der sozialistischen (Arbeitsbauernbund) und freiheitlichen Bauern geben es billiger, sie wären mit 25 Groschen zufrieden, die freiheitlichen als Etappe für dieses Jahr, der eine zweite Erhöhung um 25 Groschen noch folgen müßte. Man kann sich also vorstellen, auf welcher Höhe sich in der Preiskommission des Landwirtschaftsministeriums der Milchpreis einpendeln wird. Die Lohnforderungen der Molkereiarbeiter haben dabei nach den Vorstellungen der Regierung Vorrang, während Molkereien und Handel leer ausgehen dürften. Bauern wie Konsumenten werden sich hier auf Überraschungen gefaßt machen müssen.

Eine Ergänzung und Abrundung besonderer Art aber könnte eine Idee des Landwirtschaftsministers bedeuten, wonach zur Begutachtung der Vergabe aller Förderungsmittel in der Landwirtschaft in den neun Bundesländern „Bundesprüfungskommissionen” errichtet werden sollen. In diesen Kommissionen — wer erinnert sich dabei nicht an die schon einmal leise vorgeschlagenen „Bauernräte”? — hätte der österreichische Bauernbund zwar die Mehrheit, aber der Landwirtschaftsminister könnte dann und wann auch den Minderheitsvoten der anderen kleinen Bauemorgani- sationen Gehör schenken… Die Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern hat diesen Plan bereits als Verletzung der Rechte der freigewählten und gesetzlich vorgesehenen Berufsvertretungen bezeichnet.

Ein Vorstoß der ÖVP-Agrarier

Angesichts dieser Bewegung am Rande kommt dem Vorstoß des Agrarausschusses der ÖVP erhöhte Bedeutung zu.

Dieser ÖVP-Plan soll, nach der Absicht seiner Urheber, die österreichische Landwirtschaft in die Gesamtwirtschaft integrieren; er soll das bestehende weltweite Problem der Umverteilung im agrarischen Sektor seines Akzentes einer gönnerhaften Subvention befreien und somit versachlichen; er soll die gesetzliche Ordnung im Förderungswesen hersteilen; er soll die Ausgleichsleistungen des Staates als notwendige Maßnahmen der Wirtschaftspolitik ausweisen. Und er soll schließlich die Produzentenpreise aus der Erstarrung herausführen und in die Dynamik — aber nicht in die Automatik — der anderen Wirtschaftsbereiche durch Festsetzung von Richtpreisen für landwirtschaftliche Schlüsselprodukte eingliedem. Auf diese Weise soll dem Binkom- mensrückgang der in der Landwirtschaft Erwerbstätigen ein Ende bereitet werden.

Nicht als Polemik gemeint

Die Urheber des Entwurfes legen Wert auf die Feststellung, daß es ihnen dabei um die Interessen der ganzen Bevölkerung geht. Die Ernährungswirtschaft und die damit zusammenhängenden Fragen der Marktordnung dürfen nicht länger Objekte des jährlichen parteipolitischen Kuhhandels bleiben. Der Entwurf ist nicht als Polemik gegenüber sozialistischen Projekten gemeint, zumal man auf der ÖVP-

Seite die angekündigte klare Linie der SPÖ-Agrarpolitik angeblich noch immer vermißt. Mit einer Verlängerung von Verfassungsgesetzen jeweils um ein Jahr wäre aber niemandem gedient.

Man kann gespannt sein, ob die Initiative des ÖVP-Ausschusses in einer spannungsgeladenen Zeit der österreichischen Innenpolitik tat sächlich zur Versachlichung der einschlägigen Diskussionen führen oder als taktischer Zug abgetan werden wird. Die Agrarier der ÖVP, hinter denen in diesem Fall absichtlich nicht die Gesamtpartei steht — denn ein diesbezüglicher Beschluß hätte den Verhandlungsspielraum eingeengt —, sind jedenfalls gesprächsbereit.

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